An Rhein und Ruhr. Füchse, Wildschweine und Waschbären suchen vermehrt die Nähe zu den Innenstädten in NRW. Gründe dafür gibt es genug, wie Experten erklären.

Ein Eichhörnchen in der Stadt hat vermutlich jeder schon einmal sehen können. Doch kuriose Beobachtungen von einem Fuchs in Duisburg, der erst kürzlich am helllichten Tag durch eine Siedlung streift, über Dächer von Gartenhütten spaziert und einem Wildschwein, das Ende 2020 in ein Dinslakener Kaufhaus eindringt und dort Schaden anrichtet, könnten vermuten lassen, dass auch große Wildtiere immer häufiger die Nähe zum urbanen Raum suchten.

Die Formulierung sei jedoch nicht ganz korrekt, klärt der Leiter der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) NRW, Dr. Michael Petrak, auf: „Es ist eher so, dass der Mensch in den Wildtierlebensraum eindringt als andersherum.“

Durch Wohnbebauung und Ansiedlung in den eigentlichen Lebensräumen der Tiere würden ihnen oftmals Rückzugsräume, Brutstätten und Nahrungsquellen genommen werden, weiß Birgit Königs, Sprecherin des Nabu NRW.

Phänomen der Wildtiere in Großstädten gebe es schon jahrzehntelang

Und ganz neu sei das Phänomen nicht, wie Petrak weiter berichtet. „Die Tiere suchen schon seit Jahrzehnten die Städte auf, Menschen wird das nur bewusst, wenn sie vermehrt in Erscheinung treten, zum Beispiel im Winter“, so der Wildbiologe und Jagdwissenschaftler.

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Gerade Nordrhein-Westfalen sei so dicht besiedelt, dass die Tiere im Großstadtdschungel Deckung, Schutz und Futter fänden. Dabei sei es aber wichtig, zwischen zwei Arten der Lebewesen zu unterscheiden: Auf der einen Seite Wildtiere wie Füchse, die anpassungsfähig seien und ihr Futter auch in Städten fänden, auf der anderen Seite Pflanzenfresser wie Hasen, die Schwierigkeiten mit dem Leben im urbanen Raum hätten, erklärt Petrak. „Der Fuchs kann von Fastfood leben, der Hase nicht“, veranschaulicht der Wissenschaftler sein Beispiel.

Menschen sind Schlüsselfaktor

Für Petrak seien die Menschen der Schlüsselfaktor des Problems. Den Tieren fehlten Nistmöglichkeiten und freie Räume in der Natur, ausgelöst durch Baumfällungen, Heckenrodungen und Ackerbebauung, erklärt Birgit Königs. „Die Tiere machen das ja nicht freiwillig, die machen das, weil die Bedingungen im Umland so schlecht geworden sind. Wenn die Tiere genügend Raum in der freien Natur finden würden, würden sie gar nicht erst in die Städte kommen“, so die Sprecherin weiter.

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Unter anderem in kleinen Gärten, auf Streuobstwiesen in Siedlungsnähe und in Parkanlagen würden Wildtiere eben diese Rückzugsorte finden, so Königs. Und nicht nur Eichhörnchen, Füchse und Wildschweine würden am Niederrhein in den urbanen Raum vordringen, Waschbären und Rehe würden ebenfalls häufiger gesichtet, heißt es seitens des Nabu und des Lanuv.

Der Uhu sucht Ruhrgebiets-Städte auf

Auch Nutrias, Steinmarder und Siebenschläfer seien längst im urbaneren Raum angekommen. Laut Königs dürfe man sich aber nicht nur auf die Säugetiere beschränken. „Auch Wildvogel-Arten suchen vermehrt die Großstädte auf, so zum Beispiel der Uhu, den es in Städte des Ruhrgebiets zieht“, erklärt sie.

Die Entwicklungen seien nicht rein positiv, findet Königs, denn: „Je enger die Wildtiere mit dem Menschen zusammenleben, desto eher kann es auch zu Krankheiten kommen.“ Deshalb sei es wichtig, bei der Sichtung eines Wildtieres Ruhe zu bewahren: Die Tiere sollten nicht angefasst, gestreichelt oder gefüttert werden. „Beobachten ist natürlich in Ordnung“, so Königs. „Man sollte die Tiere in den Städten aber eben auch wie Wildtiere behandeln“, sagt sie weiter. Dr. Michael Petrak rät dazu, beim Fund von Fuchskot schnell zu handeln und diesen zu beseitigen, zu groß sei die Gefahr eines Fuchsbandwurmes.

Trend wird zunehmen

Blickt der Wildbiologe in die Zukunft, sieht er keine schnelle Lösung des Problems: „Solange Menschen zunehmend in Wildlebensräume eindringen, wird auch der Trend der Wildtiere in Menschennähe zunehmen“, vermutet er. Um die Entwicklungen aufzuhalten, oder gar in die andere Richtung zu forcieren, brauche es laut Birgit Königs vom Nabu vor allem eine andere Landwirtschaft mit geringerer Nutzung von Pestiziden und Räume, die der Natur alleine zur Verfügung stünden.