An Rhein und Ruhr. Nach dem Flüchtlingsgipfel sind viele Städte und Gemeinden vom Ergebnis enttäuscht. Die Kapazitäten zur Unterbringung von Flüchtlingen schwinden.

Die Enttäuschung in der Mülheimer Stadtverwaltung ist groß. „Wir befinden uns in einer Dreifach-Krise von Pandemie, steigenden Energiepreisen und Geflüchtetenzahlen. Als Kommunen müssen wir hier Probleme bewerkstelligen, für deren Lösung die Entscheidungskompetenz auf ganz anderen Ebenen liegt“, sagt Dr. Daniela Grobe, Sozialdezernentin der Stadt Mülheim und Krisenstableiterin für die Ukrainekrise im Nachgang des Flüchtlingsgipfel in der vergangen Woche. Die Menschen stünden nicht irgendwann vor der Tür, „sondern jetzt.“ Da sei die Vertagung der notwendigen Finanzierungszusagen bis in den November verdammt spät. Die angekündigte Aufstockung der Aufnahmekapazitäten im Landes-System von jetzt rund 25.000 auf gut 28.000 Plätze bis März 2023 werde nicht ausreichen. Zumal die Landesregierung mit rund 40.000 Asylanträgen bis Ende des Jahres rechne.

Auch Mülheim stoße an seine Grenzen. 100 belegbare Plätze stehen aktuell in der Stadt noch zur Verfügung. „Das klingt noch ganz komfortabel, ändert sich aber täglich.“ Insgesamt sind in Mülheim 1.613 Geflüchtete, aus der Ukraine und aus weiteren Krisengebieten der Welt, wie Syrien, Afghanistan, Iran, Irak und anderen Ländern städtisch untergebracht.

Gebäude müssen umgerüstet werden

Auf die sich aktuell zuspitzende Lage habe man reagieren müssen. Flüchtlinge aus der Ukraine, die ohne Zuweisung nach Mülheim kommen, werden nur dann aufgenommen, „wenn hier bereits Familienangehörige leben, sie einen Miet- oder Arbeitsvertrag haben oder bei Ankunft akut medizinische Hilfe benötigen“, erklärt die Sozialdezernentin. Die übrigen Ukrainerinnen und Ukrainer werden an die Landeserstaufnahmestelle in Bochum weitergeleitet, „eine Möglichkeit die das Land seit Kurzem für besonders belastete Kommunen eröffnet hat.“ Diese gesteuerte Aufnahme soll dafür sorgen, dass die freien Restplätze in den Unterkünften für die vom Land zugewiesenen Menschen ausreichen, bis eine neue Notunterkunft eingerichtet werden kann. Man sichte alle möglichen Optionen bis hin zur Gewerbeimmobilie und Industriehalle. Aber gerade solche Gebäude müssten umgerüstet werden, bevor sie von Menschen – auch als Notunterkunft - bewohnt werden können.

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Deutliche Worte fand auch Xantens Bürgermeister Thomas Görtz in der jüngsten Ratssitzung der Kommune: „Die Situation ist dramatisch. Wir saufen vor Ort ab“, wird er zitiert. Lebten 2021 noch 191 geflüchtete Menschen in der Stadt seien es heute wieder mehr als 320. Bisher sei die Stadt noch nicht zu Entscheidungen gezwungen worden, „die anderswo schon Realität seien. Görtz spielt damit auf Notunterkünfte an, die in Turnhallen eingerichtet worden sind.

Moers beispielsweise rechnet damit, das „voraussichtlich in der kommenden Woche die erste Turnhalle mit 36 bis maximal 72 Plätzen in Betrieb genommen werden muss“, wie ein Stadtsprecher auf NRZ-Anfrage erklärt. Die Vorbereitungen dazu stehen kurz vor dem Abschluss. 65 Plätze seien derzeit frei, 33 Personen für die kommenden beiden Wochen angekündigt. Es bestehe aktuell eine Aufnahmeverpflichtung für 136 Personen. Zurzeit seien 1461 Personen unter einem „Geflüchteten-Status“ bei der Ausländerbehörde erfasst, darunter 857 ukrainische Staatsangehörige, die teilweise auch privat untergebracht sind.

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Insgesamt sind im Kreis Wesel derzeit rund 2.200 Geflüchtete aus der Ukraine gemeldet. Von einer Dunkelziffer sei auszugehen, da sich nicht jede Person meldet und einige Fälle noch in Bearbeitung sind, teilt die Kreisverwaltung mit. Ähnlich sieht es im Kreis Kleve aus, wo (Stand: 17.10.) 623 Asylbewerber, 1165 geduldete Personen und etwa 2885 Ukraine-Flüchtlinge zuzüglich etwa 400 aus der Ukraine geflohene Drittstaatsangehörige betreut werden. Die Tendenz sei deutlich steigend.

„Situation der Unterbringung ist angespannt“

Das spürt auch die Stadt Dinslaken, in der über 1000 geflüchtete Menschen registriert sind. Zu Beginn der Woche gab es noch insgesamt 21 freie Betten in den Gemeinschaftsunterkünften, wobei „uns bereits acht Zuweisungen für die kommende Woche vorliegen“, erklärte ein Stadtsprecher. Bislang habe es von Beginn des Angriffskrieges in der Stadt dank einer „breiten Unterstützung“ durch Wohlfahrtsverbände und soziale Träger ein „gutes Krisenmanagement“ gegeben. Dennoch: Die Unterbringungssituation sei auch hier „sehr angespannt.“

Auf eine „dezentrale“ Unterbringung von Flüchtlingen in festen Gebäuden (Wohnungen, Hotels und Pensionen) setzt die Stadt Duisburg in der kalten Jahreszeit. „Allerdings sind auch diese Kapazitäten begrenzt“, erklärt Stadtsprecher Peter Hillbrands. Deshalb prüfe die Stadt derzeit, „ob für den Fall des Eintretens einer größeren Flüchtlingswelle“ einige Unterkünfte eines Zeltlagers, das derzeit als Erstaufnahmestelle dient, verbleiben können – sozusagen als „Puffer“ Derzeit sind in Duisburg 6000 Flüchtlinge aus der Ukraine und 2.500 Flüchtlinge aus anderen Staaten registriert. Maximal stehen 280 Freiplätze zur Verfügung.

Auch die Stadt Essen hat ihre Kapazitäten an Flüchtlingsunterkünften „sukzessive“ ausgebaut. Zurzeit sind in ihnen 1.532 Personen untergebracht, davon 878 aus der Ukraine und 654 aus anderen Herkunftsländern (vor allem aus Syrien, Afghanistan und Irak). Seit März wurden über 6.800 Menschen aus der Ukraine erfasst, davon über 2.300 Minderjährige.

Die unsichere politische Lage in der Ukraine macht es den Kommunen schwer, neuen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. In Voerde sind derzeit in verschieden Notunterkünften noch rund 90 Plätze frei. Gleichwohl werden aber weitere Einrichtungen für die Unterbringung von Flüchtlingen vorbereitet, wie eine Alte Polizeiwache. Ähnlich sieht es in in Kamp-Linfort aus. Dort leben aktuell 559 geflüchtete Menschen, 378 aus der Ukraine. „Bisher können wir noch alle Flüchtlinge unterbringen, ohne Sporthallen in Anspruch zu nehmen. Ob das auf Dauer so bleibt, lässt sich nicht sagen“, heißt es auf NRZ-Anfrage aus dem Rathaus.

„Viele Kommunen stoßen an ihre Grenzen“, warnte auch Christof Sommer, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, jetzt am Rande einer Präsidiumssitzung des kommunalen Spitzenverbandes in Jüchen. „Das Land muss die Kapazitäten in den eigenen Einrichtungen deutlich erhöhen. Die bisher in Aussicht gestellten 3.850 zusätzlichen Plätze werden nicht ausreichen“, sagte Sommer. Umgerechnet seien dies noch nicht einmal zehn Plätze pro Kommune. Benötigt würden aber mindestens 10.000 weitere Plätze. Zudem forderte Sommer eine klare Zusage des Bundes für eine verlässliche Finanzierung auch über 2022 hinaus. „Die Kommunen stehen vor einer weiteren Herkulesaufgabe“, so Sommer. Hierzu gehöre auch, dass das Land endlich eine Regelung zur Refinanzierung der Vorhaltekosten schafft. Die Kommunen müssten finanziell in die Lage versetzt werden, Wohnmöglichkeiten bereitzuhalten – auch wenn sie nicht durchgehend belegt seien.