Düsseldorf. Eine Aktion von Fiftyfifty am Bahnhofsvorplatz sollte aufzeigen, was das 9-Euro-Ticket für arme und obdachlose Menschen bedeutet.
Ein paar Wolken sorgen gerade für eine Auszeit von der knallenden Sonne, als sich am Donnerstagmittag Fiftyfifty-Verkäufer und -Mitarbeiter auf dem Bahnhofsvorplatz sammeln. Sie wollen darüber reden, was das bald endende 9-Euro-Ticket für Obdachlose und arme Menschen bedeutet. Plötzlich gehen die Blicke gen Innenstadt – ein schwarzer Porsche fährt auf den Hauptbahnhof zu. Die Nobelkarosse bahnt sich ihren Weg bis vor das Bahnhofsgebäude. Und aus dem Wagen steigt: Christian Lindner! Sozusagen. Ein kostümierter Mann mit Pappmaché-Kopf des Finanzministers posiert mit einem „Porsche“-Ritterschild und einem Benzinkanister „Für den Porsche“ (FDP) vor den Pressekameras.
Erste Familienbesuche seit Jahren
„Das Kostüm hat Farbfieber-Künstler Klaus Klinger gestaltet“, erklärt Fiftyfifty-Geschäftsführer Hubert Ostendorf. Der Wagen wurde dazu gemietet. Die Aktion ist kein Klamauk, betont er. „Und auch kein FDP-Bashing!“ fügt Fiftyfifty-Sprecher Oliver Ongaro hinzu. „Es geht darum, anschaulich zu machen: Einige fahren in Deutschland in Autos, die rund 90.000 Euro kosten, viele sind für Mobilität auf ein 9-Euro-Ticket angewiesen.“ Das Wort sollen bei dieser Versammlung vor allem diejenigen haben, für die das Ticket den größten Unterschied macht. Gerade sie hätten im Gegensatz zur Autoindustrie kein Gehör beim Finanzminister, so Ongaro. Alle von ihnen sind obdachlos oder haben erst durch das Housing-First-Projekt eine Wohnung gefunden.
Darunter ist etwa Fiftyfifty-Verkäufer „Django“. Er und seine Frau leben von Erwerbsminderungsrente und Grundsicherung, der Zeitungsverkauf ist seit Corona immer schwieriger geworden, erklärt er. „Das 9-Euro-Ticket hat uns ermöglicht, zum ersten Mal seit Jahren wieder die Gräber unserer Eltern in Remscheid und Marl zu besuchen.“ Mit dem auf Düsseldorf begrenzten Sozialticket, dass sogar rund 30 Euro teurer ist, ist ihnen das nicht möglich. Auch Sandra Martini, seit 15 Jahren Fiftyfifty-Verkäuferin freute sich sehr über das Ticket: „Dadurch konnte ich endlich wieder Familie und Freunde besuchen. In Köln und Umgebung und auch in Ostwestfalen-Lippe.“ So geht es vielen, die an diesem Mittag ihre Stimme erheben. Lange unmögliche Familienbesuche waren endlich bezahlbar, einige konnten auch Urlaubsausflüge unternehmen, die sie sich seit Jahren wünschten – nach Konstanz, nach Frankfurt oder Berlin etwa.
Viel weniger „Schwarzfahren“
„Jeder hat das Recht, weiterzukommen, auch mal aus der Stadt rauszukommen“, findet Peter, genannt „Kö-Peter“. Mit dem 9-Euro-Ticket sei das möglich gewesen. Und deswegen solle es weiterbestehen oder durch eine gute Alternative ersetzt werden, fordert er. „Wenigstens für Bezieher von Hartz IV und Grundsicherung.“ Worauf Peter und viele Anwesende aufmerksam machen: Die Fälle des „Schwarzfahrens“ haben sich durch das Ticket deutlich reduziert. Das betrifft besonders Obdachlose:„Die Hälfte der Leute, die Fiftyfifty verkaufen, war schon einmal im Gefängnis – wegen Schwarzfahrens!“ sagt Ostendorf. Selbst das Sozialticket sei mit rund 40 Euro monatlich für Obdachlose kaum bezahlbar. Und die Gefängnisstrafen nicht nur menschlich schlimm, sondern auch volkswirtschaftlich „Unsinn“. „Die Regierung hat auch viele schlechte Ideen. Aber das 9-Euro-Ticket ist eine gute Idee“, so Ostendorf. „Wir fordern ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket!“
Die Aktion auf dem Bahnhofsvorplatz folgte einer Kundgebung vor dem Rathaus vergangene Woche (NRZ berichtete). Anschließen soll sich in der kommenden Woche eine Demonstration. Im Zusammenspiel von Inflation und Corona „rollt etwas auf uns zu“, so Oliver Ongaro. Bevor, so erwartet er, im Herbst die Debatte um den Umgang mit der Krise volle Fahrt aufnimmt, will Fiftyfifty schon Impulse geben – und zwar durch die Stimmen der Leute, die am härtesten unter den Konsequenzen leiden.