Kerken. Eine Gruppe aus Kerken hat sich viel vorgenommen: Sie radeln 2400 Kilometer vom Niederrhein nach Süditalien und sammeln dabei Spenden.
Das Wichtigste, das Allerwichtigste ist der Sattel. Das weiß Jürgen Driever nur allzu gut: „Ich habe immer richtig gelitten, weil nach vier Stunden einfach der Po wehtut.“ Deshalb hat er sich einen teuren Ledersattel gegönnt, den er auf stundenlangen Radtouren bereits ausgiebig eingesessen hat. Denn für das, was er vorhat, kann er vieles gebrauchen, aber ganz sicher kein schmerzendes Hinterteil: Der 73-Jährige will von Kerken am Niederrhein nach Matera in Süditalien radeln. Und ja, das ist eine ganz schön lange Strecke, „2400 Kilometer“ präzisiert er. Wieso er sich das antut? Dazu holt er mal eben einen kleinen Karton, in dem er alles gesammelt hat.
Angefangen hat alles im Februar 2021, als Jürgen Driever im Krankenhaus lag. „Ist alles gut gegangen“, fasst er pragmatisch zusammen. Nur die Zeit im Bett, die war schon ziemlich langweilig. „Außer lesen und fernsehen kann man ja nix machen.“ Und so vertiefte er sich in das Buch „Wie Träume wahr werden“, in dem ein Amateurteam überraschend das anspruchsvollste Radrennen der Welt gewinnt. Eine wahre Geschichte, die ihn nachhaltig bewegt hat. Klar, allein die Tatsache, dass jemand eine so „elend lange“ Strecke fährt, ist schon beeindruckend. Aber es geht um noch so viel mehr, wie er erklärt: „Der Hirnforscher Gerald Hüther beschreibt darin, wie sich die Mitglieder gegenseitig inspirieren und motivieren.“
Spenden für Geflüchtete
Plötzlich kam in dem Rentner der Wunsch auf, ebenfalls mit einer Gruppe loszuradeln. Am liebsten nach Italien, das hatte er doch eigentlich schon länger geplant. Mit seinem Sohn ist er mal an den Comer See gefahren, aber das ist schon 20 Jahre her. Nun hatte er aber im Krankenhaus nicht nur Zeit, um zu lesen, sondern eben auch um fernzusehen. Und zu diesem Zeitpunkt stand in den Nachrichten ein Thema gerade wieder verstärkt im Fokus: das grausame Schicksal der vielen Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken. Die schrecklichen Bilder ließen ihn nicht mehr los und so formte sich langsam eine Idee, die schließlich in einer E-Mail an seine Freundinnen und Freunde mündete.
„Oldies – Vom Niederrhein radeln für den guten Zweck“ – das wäre doch was, oder? Tatsächlich, am Ende meldeten sich elf Radbegeisterte, die sich auf das Experiment einlassen wollten: Einmal quer durch Europa fahren, um Spenden für Geflüchtete zu sammeln. Auf der Suche nach einem passenden Projekt, in das später das Geld fließen soll, stieß Jürgen Driever auf „Casa Betania“ in Matera. Die Einrichtung der katholischen Kirche bietet Geflüchteten eine sichere Unterkunft, eine anständige Ausbildung und hilft bei der anschließenden Jobsuche. Denn, das hat der Rentner bei seinem Ortsbesuch im April dieses Jahres selbst gesehen: „Auf den Feldern arbeiten Tausende illegal.“ Zu einem Hungerlohn.
2400 Kilometer in 12 Tagen
Doch um das zu ändern, um einen Arbeitsvertrag und damit gleichzeitig eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, müssen die Geflüchteten zunächst die Sprache lernen. Auch dabei unterstützt sie „Casa Betania“, ebenso wie bei der Beschaffung der nötigen Papiere. „Denn die Menschen, die dort ankommen haben nix, auch keine Ausweise“, weiß der Kerkener. Von seiner Reise nach Matera hat er daher vor allem eine Erkenntnis mit nach Hause genommen: Das Projekt kann jeden Cent gebrauchen, aktuell beispielsweise für einen zweiten Transporter, mit dem die Geflüchteten zur Arbeit fahren können, sowie für den Ausbau des Hauses, in dem die Menschen untergebracht sind.
„Wir wissen natürlich, dass wir nichts an der Gesamtsituation ändern können“, betont Jürgen Driever. In erster Linie habt die Gruppe Spaß am gemeinsamen Radfahren – und ganz nebenbei will sie noch etwas Gutes tun. Mindestens 10.000 Euro plant sie zu „erradeln“, einen Großteil hat sie bereits zusammen. Aber mehr geht natürlich immer. Denn, das ist Jürgen Driever wichtig zu betonen: „Das Geld fließt zu hundert Prozent in das Projekt.“ Die Reise selbst bezahlen alle Beteiligten aus der eigenen Tasche. Zwölf Tage haben sie Zeit, um die 2400 Kilometer zu schaffen. Dabei läuft es ab wie bei einer Staffelstabübergabe: Die Mitglieder sind in drei Gruppen aufgeteilt, die sich jeweils mit dem Radeln abwechseln.
Mit Rad und Bus quer durch Europa
Möglich ist das dank der zwei Busse, die der Landessportbund zur Verfügung stellt. Die erste Gruppe absolviert also die 70 Kilometer bis zur ersten Station und steigt dort in den Bus, während die zweite Gruppe die nächsten 70 Kilometer weiterfährt. Ein bisschen aufgeregt ist Jürgen Driever übrigens schon, denn „Probleme wird es sicher einige geben“. Wenn beispielsweise jemand stürzt, der Bus nicht da ist, das Rad einen Platten hat… oder es anfängt zu regnen – „dann hilft auch die beste Kleidung nicht“. Das ist dann natürlich ärgerlich und wirkt sich bestimmt auf die Stimmung in der Gruppe aus, doch er gibt sich zuversichtlich: „Das sind alles Leute, die in der Lage sind, mit Konflikten klar zu kommen.“
Und er persönlich hat ja mit seinem Sattel schon vorgesorgt, damit nicht das eintritt, wovor ihm am meisten graut…
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Die Gruppe ist am vergangenen Sonntag in Nieukerk gestartet. Am Montagabend hat Jürgen Driever ein Update geschickt: Der Start sei reibungslos verlaufen. In Bonn, der ersten Station, wurde die Gruppe bereits vom Stadtsportbund in Kooperation mit dem Postsportverein und der Flüchtlingshilfe empfangen. Am Freitag, 23. September, wird sie Matera erreichen, wo abends die Spendenübergabe stattfindet.
Wer das Projekt unterstützen möchte, spendet an die Evangelische Kirchengemeinde Kerken, IBAN: DE46 3206 1384 3107 4570 10, BIC: GENODED1GDL, Volksbank an der Niers eG, Verwendungszweck: Projekt Casa Betania plus Name und Anschrift des Spenders (auf Wunsch stellt das Gemeindebüro eine Spendenquittung aus).