Emmerich. Carlos Schulz (93) wollte noch einmal mit dem Auto durch Europa fahren. Sein 20-jähriger Betreuer erfüllt ihm den Traum. Eine filmreife Story.

Kennen Sie diesen Film, in dem ein 20-jähriger Jungspund einem 93-Jährigen, den er betreut, seinen großen Wunsch erfüllt und mit ihm im Auto eine Europareise unternimmt? Der Film, in dem die beiden in einem 28 Jahre alten Mercedes unter anderem die Orte in Frankreich und Spanien ansteuern, in denen „Carlos“ nach dem Krieg noch interniert war, bevor er erst 1950 nach Deutschland zurück kehrte? Kennen Sie nicht? Den Film gibt es auch nicht.

Aber filmreif ist die Geschichte schon. Sie ist Realität. Torben Kroker (20) tourt derzeit tatsächlich mit Karl-Heinz Schulz durch halb Europa. „Es ist ein Abenteuer“, berichtet der junge Emmericher am Telefon von unterwegs.

Es fing mit Rasenmähen an

Carlos Schulz (93) ist nicht mehr gut zu Fuß, aber ansonsten tiefenentspannt und sehr flexibel. Das macht es für seinen jungen Begleiter einfacher, das Abenteuer zu stemmen.
Carlos Schulz (93) ist nicht mehr gut zu Fuß, aber ansonsten tiefenentspannt und sehr flexibel. Das macht es für seinen jungen Begleiter einfacher, das Abenteuer zu stemmen. © Torben Kroker

Vor vier Jahren fing das an mit Carlos Schulz und Torben Kroker, die beide in einer Nachbarschaft in Leegmeer wohnen. Der Senior suchte jemanden, der mal bei ihm Rasen mäht. Kroker übernahm dies. Es entwickelte sich eine nähere Beziehung: „Ich manage inzwischen alles, betreue ihn“, sagt der 20-Jährige, der ansonsten Auszubildender bei der Allianz in Emmerich ist, also nicht in einem Pflegeberuf. Zweifelsohne ein nicht alltägliches Engagement. Eine schöne Liaison der Generationen.

Carlos Schulz hat mit seiner Frau, die vor sieben Jahren verstarb, schon zwei solcher Touren durch Europa gemacht. Zuletzt hatte er eine Lebensgefährtin in Düsseldorf, die 2019 verstarb: „Trotzdem hielt sich bei ihm dieser Traum, diese Reise noch einmal zu machen“, erklärt Kroker. Und was macht so ein Filou in seinem Alter? Er schenkte seinem jungen Betreuer die Reise durch Europa mit ihm zu Weihnachten...

Wie Karl-Heinz an seinen Namen Carlos kam

Torben Kroker musste erstmal nachdenken. Mit einem 93-Jährigen, der nur noch wenig sieht, sich mit Gehstock oder Rollator fortbewegt, könnte so eine Tour eine „Mammutaufgabe“ werden, wie er sich dachte. Er besprach das auch mit seinen Eltern und kam dann zu dem Schluss: Sie machen die Reise. „Ich habe dann noch einen oben drauf gesetzt“, so Kroker. Er hat nämlich einen 28 Jahre alten Mercedes-Coupé reisetauglich gemacht.

„Carlos“ Karl-Heinz Schulz (93) aus Emmerich kehrte zurück in den Ort, in dem er nach dem Zweiten Weltkrieg drei Jahre interniert war.
„Carlos“ Karl-Heinz Schulz (93) aus Emmerich kehrte zurück in den Ort, in dem er nach dem Zweiten Weltkrieg drei Jahre interniert war. © Torben Kroker

Am 23. Juli sind die beiden aufgebrochen. Es ging nach Versailles, Nantes und dort in der Nähe nach Le Loroux-Bottereau, der Ort, in dem er drei Jahre interniert war. Weiter führte die Tour nach Bordeaux, die Atlantik-Küste entlang nach Biarritz. Die NRZ erreichte Kroker, als sie in Elgoibar bei Eibar im spanischen Baskenland weilten. „Hier war Carlos zwei Jahre interniert. Er arbeitete als Dreher in einer Fabrik. Dort gab man ihm den Namen Carlos, weil das leichter war als Karl-Heinz.“ Der Spitzname hielt sich auch in Emmerich. Als die NRZ anrief – schon wieder so ein Filmmoment – suchten Schulz und Kroker einen ruhigen Strand. Noch einmal die Meeresbrise spüren.

„Er, ich und das Auto“ – ein Trio auf reisen.

1700 Kilometer haben sie bis dahin schon abgerissen, wobei sich Kroker an die Fahrstile der Südeuropäer auch erst gewöhnen musste. Weitere 2800 lagen vor ihnen. „Bisher haben wir es gut weggesteckt. Er, ich und das Auto.“ Der 92er-Mercedes hat keine Klimaanlage, aber ohne Mittelsäulen lassen sich die Fenster auch hinten gut öffnen.

Bei den Übernachtungen hat das Duo immer nur mit Frühstück gebucht, „damit wir flexibel bleiben“, so Kroker. Sollte es irgendwelche Klischees für betagte Senioren geben, meint Kroker, „dann erfüllt Carlos keines davon“. Der 93-Jährige sei „tiefenentspannt, viel entspannter als ich und total flexibel“. Auch bei den Speisen sei er für alles zu begeistern.

Tapas genießen in San Sebastian

Torben Kroker hat eigens für die Europareise den 28 Jahre alten Mercedes reisetauglich gemacht. Ein I-Tüpfelchen für den Charme der Reise. Denn für Carlos Schulz ist es auch eine Reise in seine persönliche Vergangenheit.
Torben Kroker hat eigens für die Europareise den 28 Jahre alten Mercedes reisetauglich gemacht. Ein I-Tüpfelchen für den Charme der Reise. Denn für Carlos Schulz ist es auch eine Reise in seine persönliche Vergangenheit. © Torben Kroker

Barcelona wurde corona-bedingt aus dem Tourplan gestrichen. So lautete das Ziel für den Folgetag: ab nach San Sebastian. Hier soll es leckere Tapas geben. Carlos Schulz spricht fließend Spanisch und kann bestimmt in Erfahrung bringen, wo es die besten gibt.

Danach soll es am Mittelmeer entlang nach Marseille und Monte-Carlo gehen, weiter nach Mailand, dann zum Bodensee auf österreichischer Seite nach Bregenz : „Hier lag er im Zweiten Weltkrieg im Lazarett. Er wurde fünfmal verwundet“, berichtet Kroker.

Nochmal zum Stammbäcker in Düsseldorf

Das nächste Ziel ist ein Wunsch des 20-Jährigen: das Mercedes-Museum in Stuttgart. Weiter geht’s in die Pfalz, denn Carlos Schulz ist ein Weinliebhaber. Zum Abschluss geht’s nochmal nach Düsseldorf, wo der 93-Jährige auch viele Jahre gelebt hat: „Wir besuchen dort seinen Hausarzt und seinen Stammbäcker. Am 13. August wollen die beiden – sofern denn alles klappt – wieder in Emmerich sein.

Nach der Erfahrung der ersten Tage sagt Torben Kroker nun: „Ich hätte es bereut, wenn ich diese Tour nicht gemacht hätte.“ Man kann wahrlich nur den Hut davor ziehen, dass ein 20-Jähriger einem 93-Jährigen so einen Wunsch erfüllt.

Wer dem Duo folgen möchte, kann dies auf Instagram tun unter dem Hashtag #Europamitcarlos.

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