Am Niederrhein. Über die Frage lässt sich leidenschaftlich diskutieren und selbst die Historie zeigt: der Niederrhein lässt sich nicht so einfach verorten.

Die Frage nach der genauen Verortung des Niederrheins wird immer wieder leidenschaftlich diskutiert. Mangels eindeutiger geografischer Merkmale sind die Grenzen nicht präzise zu lokalisieren. Sich zum Niederrhein gehörig zu fühlen, ist daher oft nur ein „Gefühl“. Und nicht immer gelingt die Einteilung so bildhaft wie bei Heinrich Böll. Der Kölner Schriftsteller und Nobelpreisträger hatte Verwandte in Kevelaer und Weeze und war daher häufig zu Besuch in der Region. Für ihn begann der Niederrhein dort, wo der Weintrinker-Rhein aufhört und der Schnapstrinker-Rhein anfängt. Präzise ist diese Einteilung allerdings ebenfalls nicht und nach zwei, drei Gläschen können die Grenzen auch verwischen …

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Als die alliierten Mächte nach dem Sieg über Napoleon auf dem Wiener Kongress 1815 die Neuordnung Europas verhandelten, gerieten auch das Rheinland und Westfalen ins Blickfeld. Um zukünftige Auseinandersetzungen mit Frankreich zu vermeiden, sollte eine Macht diese Territorien erhalten, die ein ausreichend großes Gegengewicht gegen den potenziellen Aggressor bilden könnte. Diese Aufgabe wurde Preußen übertragen, das sich allerdings nicht nach dieser Verantwortung im – von Berlin aus gesehen – fernen Westen sehnte.

Die zehn Provinzen von Preußen

Der preußische König Friedrich Wilhelm III. hätte sein Staatsgebiet viel lieber mit Teilen Sachsens arrondiert. Auch die weitgehend katholische Bevölkerung im Rheinland war über die Unterstellung unter ein protestantisches Herrscherhaus wenig erfreut und bezeichnete sich bald etwas selbst bemitleidend als „Musspreußen“. Trotz dieser beidseitigen Vorbehalte gingen die neuen Machthaber ans Werk und teilten die hinzugewonnenen Bereiche in großflächige Verwaltungseinheiten auf. Preußen wurde in insgesamt zehn Provinzen eingeteilt, drei davon entstanden im Westen. Eine eigene Provinz bildete Westfalen.

Der preußische König Friedrich Wilhelm III. hatte eigentlich andere Pläne mit seinem Staatsgebiet…
Der preußische König Friedrich Wilhelm III. hatte eigentlich andere Pläne mit seinem Staatsgebiet… © LVR-Niederrheinmuseum Wesel

Das Rheinland wurde in zwei Provinzen unterteilt. Der nördliche Teil wurde als Provinz Jülich-Cleve-Berg bezeichnet. Bei der Namensgebung griff der Monarch zwar auf die alten Namen zurück, die die schon im 18. Jahrhundert zu Preußen gehörenden Gebiete gekennzeichnet hatten, trotzdem spielten diese ehemaligen Territorien bei der Neuordnung keine Rolle mehr. Ohne historische Rücksicht wurde die preußische Inbesitznahme auch an anderer Stelle durchgeführt: der frühere Streubesitz, der eigenständige weltliche Territorien oder die kurkölnischen Exklaven bei Alpen und Rheinberg kannte, wurde nicht wieder zum Leben erweckt. Der kirchliche Territorialbesitz war ohnehin bereits in der französischen Zeit säkularisiert und damit die staatliche Macht der Kirche mehr oder weniger beendet worden.

Großherzogtum Niederrhein

Das gesamte nördliche Rheinland wurde nun in preußischer Hand vereint. In der Verwaltungspraxis übernahmen die neuen Herren sogar Grundsätze der französischen Reformen und bedienten sich eines modernen Beamtentums, das effizient und geräuscharm die Neuordnung der Territorialverwaltung am Rhein gewährleisten sollte. Mit den drei Regierungsbezirken Kleve, Düsseldorf und Köln wurden große Verwaltungseinheiten gebildet, über denen noch ein Oberpräsident in Köln für die gesamte Provinz zuständig war.

Der weitaus größere Teil des preußischen Rheinlands umfasste jedoch die Regierungsbezirke Aachen, Koblenz und Trier mit dem Sitz des Oberpräsidenten in Koblenz. Diese Provinz reichte über die Mosel bis nach Saarbrücken und erhielt den Namen – Großherzogtum Niederrhein! Aus heutiger Sicht ergibt diese Konstruktion kaum einen Sinn, aber seine Spuren sind de facto noch immer zu erkennen, denn das Großherzogtum Niederrhein erhielt ein eigenes Wappen, das den Rheinverlauf abbildete und somit als Vorlage für den rheinischen Teil des Wappens von Nordrhein-Westfalen dient. In der historischen Fassung folgte der Wellenbalken im grünen Feld jedoch dem topografischen Rheinverlauf, während die Fließrichtung im heutigen NRW-Wappen aus ästhetischen Gründen gegen alle Geografie gedreht wurde.

Von Emmerich bis Saarbrücken

Ein langes Leben war dieser Aufteilung des nördlichen Rheinlands allerdings nicht beschieden. Nach dem frühen Tod des Kölner Oberpräsidenten zu Solms-Laubach im Februar 1822 revidierte die Regierung in Berlin ihre Provinzialordnung. In der Kabinettsordre vom 22. Juni 1822, einer vom König selbstständig und eigenmächtig erlassenen Verfügung, die ohne Gegenzeichnung eines Regierungsmitglieds Gültigkeit erlangte, bestimmte König Friedrich Wilhelm III. für über 100 Jahre das weitere Schicksal des Rheinlands. Die kleinere Nordprovinz wurde mit dem größeren Südteil vereinigt und als Rheinprovinz mit Verwaltungssitz in Koblenz neu benannt. Zum ersten Mal in seiner Geschichte war das Land zwischen Emmerich und Saarbrücken damit in einer einzigen Verwaltungseinheit zusammengefasst worden.

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Einer, der immer den Überblick über den Niederrhein behält, ist Hans Blossey. Der Fotojournalist ist regelmäßig mit seinem Flugzeug unterwegs und knipst Fotos aus schwindelerregender Höhe. Seine Luftbilder sind aktuell im LVR-Niederrheinmuseum in Wesel zu sehen.

Geöffnet ist das LVR-Niederrheinmuseum, An der Zitadelle 14-20 in Wesel, dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr. Erwachsene zahlen 4,50 Euro, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben freien Eintritt.

Am letzten Ausstellungstag, 14. August, werden die Fotoarbeiten von Hans Blossey zu einem guten Zweck versteigert. Weitere Informationen sind zu finden unter www.niederrheinmuseum-wesel.lvr.de