Kamp-Lintfort. Nicht Essen oder Duisburg: In Kamp-Lintfort erzielte die SPD mit 43,2 Prozent ihr bestes Ergebnis bei der Landtagswahl. Ein Besuch vor Ort.

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Es war ein Wechselbad der Gefühle am Wahlabend. „Auf der einen Seite war die Freude groß und wir waren stolz auf das gute Ergebnis, das wir hier in Kamp-Lintfort erzielt haben, aber der Blick auf das Abschneiden der SPD im Land war ein Schlag ins Kontor, die Enttäuschung groß“, blickt Jürgen Preuß, Fraktionsvorsitzender der SPD in Kamp-Lintfort, auf den Sonntagabend zurück. Mit 43,2 Prozent hatten die Sozialdemokraten nicht nur hier, in der 39.000 Einwohner zählenden Stadt am Niederrhein die Nase vorn. Sondern sie erzielte das beste Wahlkreis-Ergebnis für die SPD landesweit. In Essen, Duisburg, Dortmund, Gelsenkirchen – alles ehemalige Hochburgen der Sozialdemokratie – blieb die Partei deutlich unter der 40-Prozent-Marke, teilweise gerade mal knapp über der 30er-Linie. Doch warum ist Kamp-Lintfort so etwas wie die letzte Bastion der Sozialdemokratie in der Region?

Jürgen Preuß nennt drei Gründe: „Die Geschichte der Stadt, die handelnden Personen und der Erfolg.“

Die Geschichte der Stadt ist eng verbunden mit der des Auf- und Niedergangs des Bergbaus. Die Zeche Friedrich Heinrich wurde 2012 nach 100 Jahren stillgelegt. Wo einst bis zu 8000 Menschen beschäftigt waren, war auf einmal alles still. Und das, nachdem erst wenige Jahre zuvor, 2006, das Mobilfunk-Unternehmen BenQ-Siemens Insolvenz beantragte hatte. Noch einmal rund 3300 Mitarbeiter verloren damals ihren Job. Zehn Jahre hatte hier die Handyproduktion ihren Standort. Die Region blickte fast mitleidig auf Kamp-Lintfort. Wie wird die Stadt die Verluste verkraften? „Kamp-Lintfort galt immer als das hässliche Entlein im Kreis“, sagt Jürgen Preuß, der in der Stadt geboren ist und gerne dort lebt. Doch das hässliche Entlein hatte „Mut“ – und einen Bürgermeister mit Ideen. Christoph Landscheidt. SPD-Mann. Seit 1999 im Amt.

Konkrete Pläne für die Zeit nach dem Bergbau

„Er wusste, wo er mit der Stadt hinwill. Konkrete Pläne, die haben nicht viele Bürgermeister-Kandidaten, wenn sie antreten“, sagt René Schneider, wiedergewählter SPD-Landtagsabgeordneter. Christoph Landscheidt setzte auf die Logistik, holte die Hochschule Rhein-Waal in die Innenstadt, was die City belebte, und zuletzt die Landesgartenschau (Laga) auf das ehemalige Zechengelände. Mitten in der Corona-Zeit. „Auf hier haben wir wieder Mut bewiesen“, sagt Jürgen Preuß. Es gab die Überlegungen in der Politik, die Laga zu verschieben. Der Bürgermeister und auch die SPD hielten aber an ihr fest – mit Erfolg. Mit immerhin 400.000 Besuchern wurde die pandemiebedingt niedriger angesetzte Zielmarke erreicht.

Der SPD-Fraktionschef in Kamp-Lintfort, Jürgen Preuß, auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Friedrich Heinrich.
Der SPD-Fraktionschef in Kamp-Lintfort, Jürgen Preuß, auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Friedrich Heinrich. © FFS | Foto: Volker Herold

Zwei Jahre später blüht die Natur noch immer auf dem Gelände. Die Entwicklung geht derweil weiter. In den ehemaligen Zechengebäuden und auf der Brachfläche entstehen Wohnungen, die Hochschule Rhein-Waal hat ihren Hörsaal in einer Halle bezogen, ein Gesundheitszentrum ist in Planung: Und: Bis 2026 soll die Niederrheinbahn zwischen Kamp-Lintfort und Moers nach Duisburg reaktiviert werden. Zur Laga gab es bereits einen Probetrieb zwischen Duisburg und Kamp-Lintfort. Einen Förderbescheid in Millionenhöhe hatte jüngst erst NRW-Verkehrsministerin Ina Brandes (CDU) an Christoph Landscheidt überreicht. Alle notwendigen Beschlüsse sind gefasst.

Bei all dem sei eine offene und frühzeitige Kommunikation wichtig, sagt Jürgen Preuß. Selbst eine Erhöhung der Grundsteuer hätten die Kamp-Lintforter ohne großen Widerstand akzeptiert, weil sie dafür beispielsweise andere Leistungen bekommen haben. Der Kindergartenbesuch ist ab dem 3. Lebensjahr gebührenfrei, 2012 bekamen die Bürger ein neues Schwimmbad, das Panoramabad Pappelsee. Und: Die Bürger wurden auch befragt, ob sie den alten Zechenturm erhalten wollten. Wollten sie. Auf einer Aussichtsplattform in rund 70 Metern Höhe haben Besucher – zu bestimmten Zeiten – einen herrlichen Blick über die Stadt mit ihrer erhaltenen Altsiedlung, eine der größten Werkssiedlungen der Region, einst erbaut nach den Gestaltungsprinzipien einer englischen Gartenstadt.

Verlust der absoluten Mehrheit

Nicht verschweigen darf man aber, dass die SPD seit 2004 auch wieder die absolute Mehrheit im Stadtrat hat, was die Durchsetzung mancher Idee von Christoph Landscheidt erleichtert. Die CDU hat zuletzt gar darauf verzichtet, einen Bürgermeisterkandidaten aufzustellen, so sehr ist der Bürgermeister hier fest im Sattel. Und mit ihm die Partei, nachdem sie sich nach einer ersten Delle, die sie 1999 mit dem Verlust der absoluten Mehrheit erlebt hat, wieder gefestigt hat.

Es war damals eine Klatsche für die Generation von Politikern, „die eine absolute Mehrheit als Selbstzweck gesehen haben“, sagt René Schneider, der 1997 in die Partei eingetreten ist. „Das Motto: Wir machen, was wir wollen, galt nicht mehr.“ Das habe die SPD in Kamp-Lintfort schnell – vielleicht schneller als die Sozialdemokraten in anderen Städten – begriffen. Ein Jahr später standen Landtagswahlen an. Es traten zwei Kandidaten parteiintern an: „Ein gestandener Bergmann und langjähriger Gewerkschafter und auf der anderen Seite ein Mitte-Vierziger, Mitarbeiter des Landessportbundes.“ Er setzte sich durch und wurde in den Landtag gewählt. Für die Partei war dies ein Zeichen der Erneuerung, eine Art Generationenwechsel. „Wir haben ‘99 und 2000 den Schalter umgekippt. Wir sind den Strukturwandel auch parteipolitisch gegangen“, sagt René Schneider.

Was Jürgen Preuß aber nach der Wahl sorgt, ist die geringe Wahlbeteiligung, die auch in Kamp-Lintfort bei nur 46,9 Prozent lag: „Wenn die Demokratie die Demokraten verliert, wird es eng.“