Am Rhein. Extremwetter-Ereignisse werden zunehmen, sagen die Experten. Und damit auch Hochwasser und Wassermangel. 2018 sank der Rhein auf ein Rekordtief.
Wenn Elwis sinkt, machen sich die Schiffer sorgen. Elwis – das ist das Elektronische Wasserstraßeninformationssystem. Und das kannte vor knapp vier Jahren nur eine Richtung: Abwärts. Immer weiter abwärts. In Rees fanden Spaziergänger mehrere hundert Jahre alte Vasen, in Köln waren Schüler glücklich über aus dem Schlamm geholte Skateboards (beim nächsten Mal gibt’s E-Roller, dutzendweise) und in Schenkenschanz, wo aus dem schmalen Flussufer ein hellweißer Sandstrand wurde wie bei Ebbe auf Sylt. Nur, dass hier sogar wilde Tomaten wuchsen.
Davor tauchte ein Geisterschiff auf: „De Hoop“, die Hoffnung, hieß der Lastensegler einst, der vor mehr als 120 Jahren im Rhein versank. Sechs Boote sollten zwischen Salmorth und Griethausen, Dörfern bei Kleve, eine Ladung Dynamit an Bord nehmen und Richtung Holland transportieren. Nun, es gab einen Zwischenfall, eine Explosion. Und – die „Hoffnung“ sank. 2018, nach 121 Jahren tauchte sie wieder auf, so weit, dass man sogar über die Planken laufen konnte.
007 - der historisch niedrigste Wasserstand am Pegel Emmerich
Erstaunlich, wie gut sich das Holz aus dem 19. Jahrhundert gehalten hat. Ankerwinde und Achtersteven des Schiffs sind sogar noch besser erhalten: Sie können noch heute im Rheinmuseum Emmerich besucht werden. Dort, wo der Pegel am 23. Oktober 2018 sieben Zentimeter anzeigte. Sieben. Eine kleine Handbreit. Wer auf der schmucken Promenade stand, wo man die Schiffer normalerweise auf Augenhöhe grüßen kann, musste tief hinunter ins Flussbett gucken.
Nun, solche Pegelstände wie in Duisburg, wo es knapp 80 Zentimeter waren, und in Emmerich bedeuten, dass die Fahrrinne zwar noch gut zwei Meter tief ist, üblicherweise sind es jedoch rund fünf Meter. Die Folge: Ein Rheinschiff, das normalerweise 3500 Tonnen Fracht transportiert, konnte maximal mit rund 1200 Tonnen beladen werden. Bedeutet: wo normalerweise ein Schiff fährt, fahren drei. Und die Tonne Fracht kostet das dreifache, wenn sich denn überhaupt genug Schiffe finden – und Kapazitäten in den Häfen.
Ob dieses Niedrigwasser als historisch verbucht wird oder die Zukunft ankündigt. Fest steht: Klimaexperten rechnen mit mehr Extremwettern. Wer sich die Kurven der Hoch- und Niedrigwässer anschaut, sieht: sie werden zackiger. Hoch- und Niedrigwasser kommen und gehen schneller und heftiger.Hydrologen der Uni Koblenz rechnen damit, dass Niedrigwasserereignisse weiter zunehmen werden und empfehlen weniger Tiefgang – beim Schiffbau.
Fähren fehlen – und Frachtschiffe auch
Und vielerorts fallen Verkehrswege aus. Nicht nur auf dem Wasser. Soll das Rad seinen Beitrag zur Verkehrswende leisten, braucht es Rheinfähren. Doch auch die Fähren in Rees, Bislich, Zons Leverkusen, sie stellen den Betrieb ein. Am Pegel Emmerich flossen nur noch rund 700 Kubikmeter Wasser pro Sekunde nach Holland. Ja, damals, 1947, waren es noch weniger. Aber damals strömte der Rhein langsamer, war die Schifffahrtsrinne flacher. Zum Vergleich: Bei einem Hochwasser wird hier die 15-fache Menge gemessen.
Dass der Rhein – und die Flüsse generell – im Herbst wenig Wasser führen, ist normal. Herbst ist meist eine wasserarme Zeit, ebenso kalte Winter: Der Frost frisst das Wasser, sagen die Schiffer. Wann der Rhein sich in seinem Bett also wieder richtig breit machen wird, ist unklar. Böse wird es, wenn es ein schneereicher Winter wird und es in einem regenreichen Frühjahr taut. Dann schaut der Niederrheiner besorgt hinauf zum Frühjahrsmond und reimt: „Wenn der Mond liegt auf dem Rücken, geht das Wasser über die Brücken“.
Niedrigwasser, das hatte es immer wieder mal gegeben, am Rhein und den anderen Flüssen. Aber soweit und solange wie 2018 hatten sich die Flußufer rechts und links des sonst so mächtigen Stroms nie entblößt. Vier Monate lag der Pegel in Duisburg-Ruhrort unter dem so genannten mittleren Niedrigwasser. Im ebenfalls Dürre geprägten Jahr 2003 war das gerade mal an 50 Tagen der Fall gewesen.
Und der Rhein war nicht allein in diesem Dürrejahr. Weser, Elbe und Oder waren noch weit stärker betroffen betroffen. Und werden es wohl auch in Zukunft sein. Denn der Klimawandel wird in der Zukunft noch weit häufiger zu Extremwettern führen – und damit auch den Rheinpegel zu Ausschlägen noch oben und unten bewegen. Lokal dramatische Hochwasserereignisse wie im Juli 2021, wenn Ahr, Erft und Volme und viele Bäche bei Dauerregen vernichtende Wassermassen zu Tal schicken, lassen den großen, breiten Rhein eher unbeeindruckt.
Der Rhein als Verkehrsweg fällt immer häufiger aus
Und gegen die Wasserfluten, wenn im Frühjahr Regenfälle und Schneeschmelze gleichzeitig viele Nebenflüsse anschwellen lassen, werden Flächen umgewidmet, dem Fluss wieder Raum gegeben. Ob genug und rechtzeitig, ist strittig – und ob es wirkt, wird sich zeigen. Sicher aber ist eines: Gegen Niedrigwasser kann der Mensch kaum etwas tun. Und die Auswirkungen sind auch hier dramatisch: 2018 mussten Stahlwerke in Duisburg die Produktion drosseln, Raffinerien konnten nicht mehr arbeiten, Kohlekraftwerke die Stromerzeugung drosseln.
Es fehlte Nachschub, ein Umstieg auf andere Transportwege ist knifflig: Mit Lkw kommt man bei den Tonnagen kaum weiter. Und die Schienenwege an Rhein und Ruhr sind bekanntlich ebenfalls überlastet. Der Rhein ist industrielle Lebensader, für eine vergleichsweise umweltschonende Logistik unverzichtbar. Er muss nur da sein – und sich nicht fast unsichtbar in sein tiefes Bett zurückziehen, so wie in jenem Sommer 2018. Elwis kann da ein Lied von singen.