Bedburg-Hau. Die Kunst von Joseph Beuys stößt oft auf Ablehnung. Daher ist die Arbeit von Kunstvermittlerin Sarah Lampe im Museum Schloss Moyland so wichtig.

Joseph Beuys? Das ist doch dieser schräge Typ mit Anglerweste und Hut, der einen Mythos um seine eigene Person erschaffen hat. Angeblich hätten ihn Tataren nach seinem Flugzeugabsturz auf der Krim mit Filz und Fett wieder aufgepäppelt, so erzählte er selbst. Eine ziemlich logisch klingende Erklärung für die in seinem Werk immer wiederkehrenden Elemente Fett und Filz. Doch das Ganze hat einen Haken. Die Erzählung ist frei erfunden. Beuys war nach besagtem Flugzeugabsturz mit nur leichten Verletzungen zurück ins Feldlazarett zurückgekehrt. „Wenn man etwas von Beuys weiß, dann ist es diese Geschichte“, sagt Sarah Lampe. Sie ist Kunstvermittlerin im Museum Schloss Moyland, hat schon viele Führungen gegeben und dabei einige Male Ablehnung oder gar „Angst vor Beuys“ erlebt.

Fett und Filz tauchen immer wieder im Werk von Joseph Beuys auf, so wie auch auf seinem „Schlitten“. Das Werk ist zu sehen in der aktuellen Ausstellung „Joseph Beuys und die Schamanen“ im Museum Schloss Moyland in Bedburg-Hau.
Fett und Filz tauchen immer wieder im Werk von Joseph Beuys auf, so wie auch auf seinem „Schlitten“. Das Werk ist zu sehen in der aktuellen Ausstellung „Joseph Beuys und die Schamanen“ im Museum Schloss Moyland in Bedburg-Hau. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Die Kunst von Beuys zu vermitteln, es gibt einfachere Aufgaben. Lampe aber stellt sich dieser Herausforderung, auch in der aktuellen Ausstellung „Joseph Beuys und die Schamanen“. Erstmals stehen Werke von Beuys den Objekten von Schamanen gegenüber und das buchstäblich. Blaue Wände zeigen: Hier geht’s um die Ethnologie. Braune Wände dagegen verdeutlichen: Hier gibt’s Kunst zu sehen. „Uns war sehr wichtig, dass jeder einen eigenen Zugang finden kann“, betont die Kunstvermittlerin. So gibt es für Interessierte einiges über den Schamanismus zu lesen, aber gerade die Kunstwerke können auch ohne viel Text wirken. Zudem hängen in jedem Raum kleine Karten mit Infos zum Mitnehmen. „Jeder kann sich eine persönliche Sammlung aufbauen.“

Der Mythos um Beuys’ Flugzeugabsturz

Und so geht es durch den ersten Gang, vorbei an Beuys’ Jugendbüchern über Dschingis Khan, bis zu seinen frühen Bildern wie „Tatarenhäuser auf der Krim“ von 1957. Da sind sie wieder, die Tataren auf der Krim und der um sie gesponnene Mythos. Aber was sagt denn nun eine Kunstvermittlerin zu dieser Lügengeschichte? „Ist es denn relevant, ob die Geschichte stimmt oder nicht?“, gibt Lampe direkt zurück. Ja, ist es das? „Die Geschichte gehörte zum Bild, das er von sich geschaffen hat. Er hat keinen Unterschied zwischen sich als Künstler und sich als Mensch gemacht.“ Beide zumindest, der Künstler und der Mensch, mussten einen Flugzeugabsturz verarbeiten. Das Ergebnis zeigt sich im Mythos, aber auch im kleinen Bild von den Tatarenhäusern auf der Krim, in dem sich Umrisse von Zelten erahnen lassen.

Im Schloss Moyland in Bedburg-Hau gibt es eine Kunst- und Kreativwerkstatt, in der Familien eigene Schamanentrommeln oder -hauben basteln können. Schließlich ist jeder ein Künstler, wie Joseph Beuys selbst immer wieder betonte.
Im Schloss Moyland in Bedburg-Hau gibt es eine Kunst- und Kreativwerkstatt, in der Familien eigene Schamanentrommeln oder -hauben basteln können. Schließlich ist jeder ein Künstler, wie Joseph Beuys selbst immer wieder betonte. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Bereits in frühen Werken wie diesem spielt Beuys mit Materialien, lässt hier direkt noch ein paar Liebesperlen mit einfließen. „Beuys nutzte einfache Materialien, die einen Bezug zum Alltag herstellen“, so Lampe. Nicht selten bekommt sie bei Führungen zu hören: Das kann ich auch! „Klar, das kann jeder ja auch machen. Aber es geht nicht um das einzelne Werk, sondern um das große Ganze.“ Um die Idee dahinter. Wobei, das muss die Kunstvermittlerin selbst zugeben: „Beuys komplett zu verstehen, an dem Punkt bin ich auch noch nicht.“ Aber das ist auch nicht der entscheidende Punkt, stattdessen möchte sie in ihren Führungen ein Grundverständnis anbieten und dadurch gleichzeitig das Interesse wecken. Wichtig dabei: „Man muss sich auf seine Werke einlassen.“

Schamanismus im Werk von Beuys

Sich einzulassen, das fällt wohl vor allem bei berühmten Aktionen wie „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ schwer. Aufnahmen vom 26. November 1965 sind auch in der Ausstellung zu sehen, denn hier zeigt sich eine von vielen Parallelen zum Schamanismus. „Im Schamanismus ist die gesamte Umwelt beseelt“, erklärt Lampe. Basierend auf dieser Vorstellung muss der Mensch die Tiere und die Natur wertschätzen. Beuys übernahm diese Weltsicht, versuchte durch spirituelle Helfer wie dem toten Hasen die materialistische Ausrichtung der Gesellschaft zu überwinden. Ob er sich dabei selbst in der Rolle eines Schamanen sah oder nur Aspekte aus dem Schamanismus für seine Arbeit übernahm, bleibt offen. „Die Frage kann auch die Ausstellung nicht beantworten“, gibt die Kunstvermittlerin zu.

Obwohl die Interpretationen von Beuys’ Werken durchaus komplex klingen können, ist die Ausstellung auch für kleine Kunstfreundinnen und -freunde geeignet. Im „Entdeckerheft“ erfahren Kinder einiges über Eurasien und die dort anzutreffenden Schamanen, erhalten aber auch Ideen für eigene Aktionen. Nach der Hauptausstellung geht’s ein Stockwerk höher, um in einer Kunst- und Kreativwerkstatt das Gesehene selbst künstlerisch zu verarbeiten und eine eigene Schamanenhaube oder ein Amulett zu basteln. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt, ganz im Sinne von Beuys. Und wer zum Schluss noch etwas loswerden möchte, kann dem schrägen Typen mit Anglerweste und Hut sogar noch eine Postkarte schreiben. Mit Grüßen oder all den Fragen, die nach dem Ausstellungsbesuch noch offen geblieben sind.

>>> „Beuys & Bike“ in Bedburg-Hau

Herzlichen Glückwunsch, Joseph Beuys! In diesem Jahr wäre der Künstler vom Niederrhein 100 Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass hat NRW Tourismus die Radtour „Beuys & Bike“ konzipiert, die verschiedene Stationen seines Lebens auf einer Strecke von 300 Kilometern miteinander verbindet.

Wer in Bedburg-Hau vorbeikommt, sollte natürlich einen Abstecher ins Museum Schloss Moyland machen. Schließlich ist die Stiftung Museum Schloss Moyland im Besitz der weltweit größten Sammlung an Beuys-Werken, von Zeichnungen und Wasserfarbenblätter über Ölgemälde bis zu plastischen Arbeiten.

Die Ausstellung „Joseph Beuys und die Schamanen“ ist noch bis zum 29. August zu sehen. Im Rahmen der Ausstellung sind auch einige Führungen und Workshops geplant, Infos dazu gibt’s auf www.moyland.de. Nach dem Museumsbesuch lohnt sich außerdem ein Spaziergang rund um das Schloss.

Alle bereits erschienen Teile unserer Serie „Beuys entdecken“ finden Sie hier.