Kleve. Obwohl er in Krefeld geboren wurde, bezeichnete Joseph Beuys Kleve als seine Geburtsstadt. Hier befindet sich noch heute sein erstes Atelier.
Wer sich auf die Spuren von Joseph Beuys begibt, sollte am besten in seiner Geburtsstadt beginnen. Nein, nicht in Krefeld. Seine Geburt dort sei „rein zufällig“ gewesen, sagte Beuys selbst. Und gab stattdessen immer Kleve an. Hier verbrachte er seine Kindheit und Jugend. „Hier wurde er gefördert“, erklärt Dr. Susanne Figner. Hier begann sein Leben als Künstler.
Figner ist Kuratorin am Museum Kurhaus in Kleve, in dem gleich zwei Ausstellungen anlässlich Beuys’ 100. Geburtstag zu sehen sind. Wir treffen sie mitten in der „Hochphase“, wie sie es nennt. In den letzten Vorbereitungen vor Ausstellungseröffnung. Doch zwischen Telefonaten und Recherchearbeiten nimmt sie sich etwas Zeit, um einen Einblick in das Frühwerk des Ausnahmekünstlers zu geben.
Selbstinszenierung eines Künstlers
Dazu geht’s in den Westflügel, den Beuys von 1957 bis zu seiner Übersiedlung nach Düsseldorf angemietet hatte. „Damals wurde das Gebäude schon nicht mehr als Kurhaus genutzt“, erklärt Figner. Der Künstler benötigte zu diesem Zeitpunkt viel Platz, um den Auftrag für das monumentale Büdericher Ehrenmal fertigstellen zu können. Und genau den fand er hier.
Fotos zeigen den noch jungen Beuys bei seiner Arbeit am Kriegerdenkmal, wobei die Aufnahmen mit einer gewissen Vorsicht zu genießen sind. Pullover, Hemd und Krawatte gehörten wohl kaum zu seiner üblichen Arbeitskleidung. „Beuys inszenierte sich selbst“, erklärt Figner. Das zeigt sich auch in seiner Gestik, frei nach dem Motto: Schaut her, hier bin ich, der große Künstler. Und hier stelle ich ein bedeutendes Kunstwerk her.
Hilfe in der Krise
Doch der vor Selbstbewusstsein nur so strotzende Beuys hatte nur wenige Monate zuvor auch dunkle Phasen durchlebt. „Es gab keine Diagnose, aber wahrscheinlich hatte er schwere Depressionen“, so Figner. So wie viele andere auch, die wie er aus dem Krieg zurückgekehrt waren. Halt fand Beuys in dieser Zeit bei der Familie van der Grinten. Auf ihrem Bauernhof in Kranenburg lebte er für einige Zeit, arbeitete auf dem Feld mit. Und fand so aus seiner Krise.
Die Freundschaft hielt ein Leben lang. Die beiden Brüder van der Grinten kauften Werke von Beuys, unterstützten ihn damit sowohl mental als auch finanziell. Und so konnte der junge Künstler schließlich sein Atelier im Westflügel des ehemaligen Kurhauses in Kleve beziehen, das aus gleich mehreren Räumen besteht. Vom Hauptraum geht es unter einem Bogen durch in einen Nebenraum, in dessen Boden eine fast grabähnliche Öffnung eingelassen ist. Klar, im Kurhaus wurde gebadet.
Wie eine Kuratorin Beuys wiederentdeckte
Wie Beuys die Öffnung nutzte, ist nicht überliefert. Dafür aber, wie er in den Räumen seines Ateliers gearbeitet hat. „Die Materialien sind ein ganz wichtiger Aspekt“, sagt Figner. „Für mich persönlich war das auch eine Wiederentdeckung von Beuys. Zu sehen, was für eine Sensibilität er für Materialien hatte.“ So bringt ein alter Zettel voller Stockflecken eine eigene Geschichte mit, die Beuys aufgriff und in ein neues Kunstwerk verwandelte.
Beuys nutzte aber auch Kräutertee, Molke oder Hasenblut für seine frühen Kunstwerke. Einige der kleinen Fläschchen gehören zum Museumsbestand und vermitteln einen Eindruck von seinem breit gefassten Farbverständnis. „Dazu muss man auch nicht Beuys-Experte sein“, betont Figner. „Es macht einfach Spaß zu sehen, wie er mit den Materialien gespielt hat.“ Selbst eine alte Hasenbackform findet sich in dem Atelier wieder, ebenso Skelette von kleinen Tieren.
Streifzüge durch die niederrheinische Landschaft
Schon als kleiner Junge war Beuys durch die niederrheinischen Landschaft gestreift, hatte die Natur erforscht und kleine Mitbringsel wie Steine oder Käfer gesammelt. Aber auch seine Begegnungen mit Hasen oder Schwänen verarbeitete er künstlerisch. Dem toten Hasen erklärte er später die Bilder, den ungeborenen Schwan versetzte er zeichnerisch in den Bauch einer Schwangeren. „Der Niederrhein inspirierte ihn“, hält Figner fest. Vor allem aber Kleve, seine „wahre Geburtsstadt“.
>>> „Beuys & Bike“ in Kleve
Herzlichen Glückwunsch, Joseph Beuys! In diesem Jahr wäre der Künstler vom Niederrhein 100 Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass hat NRW Tourismus die Radroute Beuys & Bike konzipiert, die verschiedene Stationen seines Lebens auf einer Strecke von 300 Kilometern miteinander verbindet.
Wer in Kleve startet, sollte sich natürlich nicht das Museum Kurhaus entgehen lassen. Die Sammlungshighlights sind aktuell noch bis zum 6. September in der Wandelhalle zu sehen. Die Ausstellung „Intuition! Dimensionen des Frühwerks von Joseph Beuys“ wird am 19. Juni eröffnet.
Nach dem Museumsbesuch, der aktuell mit vorheriger Anmeldung und negativem Corona-Test möglich ist, lohnt sich noch ein ausgedehnter Spaziergang im angrenzenden Forst- oder Tiergarten. Übrigens, Familie Beuys wohnte nur wenige hundert Meter entfernt an der Tiergartenstraße 101.