Düsseldorf. Die Infektionszahlen sinken leicht. Doch die neuen Corona-Mutationen könnten “uns einen Strich durch die Rechnung machen“, meinen Laborärzte.

In den Medizinischen Laboratorien Düsseldorf herrscht Hochbetrieb: Neben dem inzwischen eingependelten Alltag mit den Auswertungen der Corona-Tests nehmen auch die Antikörper-Tests und die gezielte Suche nach den mutierten Virusstämmen Raum ein. Ein Gespräch mit zwei der drei Geschäftsführern, Dr. Roland Geisel und Dr. Paul Nemes.

Herr Dr. Geisel, Herr Dr. Nemes: Sind die Virus-Mutationen aus Großbritannien und Südafrika auch in Ihrem Labor schon nachgewiesen worden?

Geisel: Ja, das Thema beschäftigt uns seit ein, zwei Wochen täglich. Wir haben diverse dieser Anfragen bearbeitet. Wir hatten ein Cluster von drei Patienten aus einem Krankenhaus erhalten, ursprünglich waren sie in einem Altenheim untergebracht. Bei ihnen konnten wir die mutierte britische Variante nachweisen. Und wir hatten einen einzelnen Fall der afrikanischen Variante in einem Krankenhaus, ein Reiserückkehrer aus Südafrika.

War auch die brasilianische Variante darunter?

Geisel: Nein, wir hatten bislang nicht einen einzigen Verdachtsfall.

Sequenzieren Sie die Proben in Ihren Laboren?

Geisel: Es gibt bei allen Labors, die sequenzieren, ein zweiteiliges Vorgehen. Man schaltet zunächst einen PCR-Test vor, um zu screenen, ob eine der drei bekannten Mutationen auftritt. Wenn dieses Ergebnis positiv ist, macht man eine Sequenzierung. Bislang haben wir die Tests an ein Referenzzentrum geschickt, das Ergebnis lag innerhalb von drei bis vier Tagen vor. Ab nächster Woche können wir das Vorscreening selbst anbieten. Für die Sequenzierung schaffen wir ein neues Gerät an. Das, was wir haben, ist nicht geeignet.

Nemes: Es geht um zwei Dinge: Einerseits möchte man die bekannten Mutationen nachweisen, weil man weiß, dass sie infektiöser sind als das normale Virus. Andererseits will man die zukünftigen Mutationen, die zweifelsfrei auftreten werden, insbesondere, wenn wir noch so lange brauchen, bis die Bevölkerung durchgeimpft ist, erkennen. Dafür braucht man Sequenzierer. Das Gerät werden wir demnächst im Labor haben. Die Daten fließen dann ans Robert Koch-Institut, um die Situation einzuschätzen. Die Frage ist dann: Nehmen die Mutationen zu oder nicht? Die britische Mutation, die für uns momentan die gefährlichste ist, kann man auch mittels PCR-Test erkennen, dafür muss man gar nicht sequenzieren.

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Ein PCR-Test erkennt also das Corona-Virus und die Mutation?

Nemes: Im Moment werden zwei PCR-Tests gemacht, um schließlich die Mutante zu erkennen. In schätzungsweise drei bis vier Wochen wird es einen kombinierten Test für beides geben.

Dann wird der Test auf das mutierte Virus also gar nicht viel teurer?

Nemes: Richtig. Denn man will ja mit Tests in die Breite gehen. In Deutschland wird jeder 900ste positive Fall sequenziert, in England jeder 15te. Es läuft bei uns noch nicht systematisch, sondern es sind Zufallstreffer. Das will die Politik jetzt ändern und das wird auch gelingen. Alle Labore rüsten auf und versuchen auf die Schnelle, zu sequenzieren. Aber Labore, die das nicht können, schicken das an Labore, die es können. Im Moment ist es ja nur geplant, fünf Prozent der Positiv getesteten zu sequenzieren.

Dass Mutationen des Virus auftreten können, war klar. Sind wir zu spät dran?

Nemes: Gefühlt sind wir zu spät – wie bei der Impfung. Aber man kann Politikern und Epidemologen keinen Vorwurf machen.

Kann man von einem neuen Virus oder gar von einer neuen Pandemie reden?

Nemes: Wenn wir davon ausgehen, dass die Mutanten 50 Prozent infektiöser sind – diese Zahl steht ja relativ fest – dann ist das quasi wie ein neues Virus. Nur mit ganz anderen Verhaltensmustern. Wir haben jetzt einen Lockdown. Wenn wir den einhalten, glaube ich, dass wir in einigen Wochen wirklich unter einen Inzidenzwert von 50 kommen. Aber diese neue Mutation kann uns einen Strich durch die Rechnung machen.

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Das heißt, es könnte eine dritte und vierte Welle geben?

Geisel: Durch die Virulenz, die Ansteckungsgefahr womöglich. Aber ich habe nicht die Befürchtung, dass deswegen die Impfung nicht funktioniert. Das Virus bleibt trotz allem so stabil, dass die Impfung weiter wirkt.

Nemes: Wenn allerdings - wie in England und Irland - 60 Prozent der Stämme Mutationen haben und das Virus dadurch so viel ansteckender ist, dann haben wir wirklich ein Problem. Weil sich viel mehr Leute trotz Lockdown infizieren werden. Ohne diese Mutation haben wir eine wirklich gute Chance, dass wir unter eine Inzidenz von 50 gehen. Und wenn der Großteil der Bevölkerung früher als, wie angekündigt, im August durchgeimpft wäre, dann wären wir ziemlich schnell aus der Pandemie raus. Aber so ist alles offen. Es hängt davon ab, wie sich diese Mutationen in Deutschland verbreiten.

Wenn viele Menschen geimpft sind, ist mit einer neuen Mutation zu rechnen, weil sich das Virus neue Überlebensmöglichkeiten sucht?

Geisel: Nein, auf keinen Fall. Die Impfung trägt dazu bei, dass immer mehr Menschen nicht empfänglich für das Virus sind oder zumindest nicht mehr erkranken. Damit wird die Verbreitung eingedämmt. Mutationen sind nicht ungewöhnlich.

Nemes: Es findet immer ein Kopiervorgang von Virus zu Virus statt. Je öfter man kopiert desto wahrscheinlich ist es, dass ein Fehler beim Kopieren vorkommt. Das ist dann eine neue Mutante. Je mehr geimpft wird, desto unwahrscheinlicher und seltener sind diese Kopierfehler.

In den Niederlanden wird davon ausgegangen, dass die Mutation zehn Prozent der Corona-Infektionen ausmachen. Erwarten Sie ähnliche Zahlen für unser Land?

Geisel: Natürlich.

Nemes: Möglicherweise sequenzieren die Niederländer mehr. Wir haben eine Wahnsinnsdunkelziffer. Es ist unsinnig über so eine Zahl zu reden, wenn nur jede 900. Probe sequenziert wird.

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Strukturierte Sequenzierungen machen also Sinn.

Nemes: Ja. Primär aber ist die Suche nach den Stämmen sinnvoll. Das hilft auch den überlasteten Gesundheitsämtern, die somit sehen können, wo der virulente, englisch Stamm auftaucht. So können sie gezielter Isoliermaßnahmen treffen und dazu beitragen, dass sich die gefährlichen Fälle weniger verbreiten. Das ist sehr wichtig.

Geisel: Die Gesundheitsämter reagieren schon jetzt sehr dynamisch darauf.

Welche Rolle spielen zukünftig die Antigen-Schnelltests? Können Sie die Mutanten erkennen?

Nemes: Der Schnelltest kann zwar die Mutante erkennen, aber nicht zeigen, um welche Mutante es sich handelt.

Geisel: Schnelltest haben gewissen Stellenwert. Sie werden bei medizinischem Personal oder bei Altenheim-Besuchern eingesetzt.

Nemes: Schnelltests machen weiterhin Sinn. Aber Schnelltest müssen immer durch PCR-Test bestätigt werden.

Wann ist ein Schnelltest sinnvoll? Wenn ich ein negatives Schnelltest-Ergebnis habe und schließlich ein positives PCR-Ergebnis – was kann ich dann glauben?

Nemes: Die PCR-Testung zeigt auch niedrigere Virusmengen an. Der PCR ist schon fast überempfindlich, er zeigt jeden Virusträger an, ohne dass die Person besonders infektiös und damit eine große Gefahr ist. Der Schnelltest ist eher dafür ausgelegt, dass man die klinisch relevanten, die infektiösen Fälle herausfiltert. Anfangs waren wir skeptisch, ob die Schnelltests gut sind.

Und?

Natürlich sind sie gut, weil man viel mehr Leute aus dem Verkehr ziehen kann. In dieser hohen Anzahl, wie Schnelltests gemacht werden, sind PCR-Tests gar nicht zu leisten. Das Problem aber ist: Es wird manchmal nicht konsequent umgesetzt, dass jeder positive Schnelltest per PCR zu bestätigen ist. Es gibt Anbieter, die Schnelltests machen, aber keinen weiteren PCR-Test. Das führt dann dazu, dass das positive Ergebnis nicht gemeldet wird.

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Welche Entwicklungen sehen Sie bei den Antikörpertests in Ihrem Düsseldorf Labor?

Geisel: Die Zahl der Antikörpertests steigt kontinuierlich – sowohl die Frequenz als auch die positiven Tests. Im Moment weisen ein Drittel – 33 Prozent der Tests -- positive Antikörper auf. Das sind die erwarteten Folgen der Positivitätsrate. Es gibt inzwischen eine zunehmende Zahl an Menschen, die die Erkrankung durchgemacht haben und erwartungsgemäß Antikörper gebildet haben.

Nemes: Wir können neuerdings auch differenzieren zwischen den Menschen, die geimpft werden und denen, die Antikörper nach Infektion gebildet haben. So kann man verfolgen, wie gut die Impfung funktioniert. Man hofft, dass die Impfung besseren Schutz bietet als die durchgemachte Infektion. Deswegen ist der Antikörpertest aufgewertet worden und die Nachfrage wird sicherlich relativ groß sein, weil viele Leute wissen wollen: Muss ich ungeduldig sein, bis ich geimpft werde? Wenn ich eine Infektion durchgemacht habe, kann ich relativ beruhigt sein. Aber auf keinen Fall fahrlässig! Die Kontaktbeschränkungen und Hygieneregeln muss man einhalten, aber man muss nicht auf eine schnelle Impfung drängen.