An Rhein und Ruhr. Der exponentielle Anstieg der Corona-Fälle ist vorerst gestoppt. Dennoch verläuft die Pandemie am Niederrhein unterschiedlich. Ein Überblick.

Das exponentielle Wachstum ist gestoppt, seit rund zwei Wochen sind die Infektionszahlen in NRW rückläufig. Dieser Trend zeigt sich auch am Niederrhein. Doch obwohl die Fallzahlen insgesamt sinken, liegen alle Kommunen und Kreise weiterhin deutlich über dem Grenzwert 50 .

Einsamer Spitzenreiter ist Duisburg . Die Stadt zählt bundesweit zu den Orten mit der höchsten Inzidenz. Immerhin: Seit dem Höchststand am 15. November (300,4) ist der Wert auf 221 (Stand: 3.12.) gesunken. Die Stadtverwaltung führt die vielen Neuinfektionen auf Ausbrüche in Pflegeheimen und anderen Einrichtungen zurück. „Wir gehen davon aus, dass die Maßnahmen des Landes in Kombination mit unseren eigenen derzeit einen Rückgang der Fallzahlen bewirken“, so Sprecherin Anja Kopka.

Kreis Wesel: Inzidenzwerte zuletzt deutlich gestiegen

Ebenfalls auffällig: Während die Infektionszahlen in allen anderen Kommunen und Kreisen zuletzt stagnierten oder sanken, stieg die Inzidenz im Kreis Wesel bis zum 29. November kontinuierlich an. Der Kreis belegt mit einem Wert von aktuell 182,6 Platz zwei am Niederrhein. „Die veröffentlichten Zahlen spiegeln nur die Infektionen wieder, die nach einer Testung erkennbar wurden“, erklärt Kreissprecher Max Holtschlag. In den vergangenen zwei Wochen habe das Gesundheitsamt die bisher höchste Zahl von anlassbezogenen Reihentestungen durchgeführt . „Damit ist erklärbar, dass die Infektionszahlen im Kreis Wesel in den letzten zwei Wochen nicht rückläufig waren.“

Auf den Plätzen drei und vier folgen Mönchengladbach (160,5) und der Kreis Viersen (134,2). Beide Kurven stagnieren seit Anfang November. Den stärksten Rückgang verzeichnet Krefeld : Vom 29. November bis 2. Dezember sank der Inzidenzwert in nur vier Tagen von 190,8 auf 110,4. Die Stadt verweist auf den Beginn der Maskenpflicht in Grundschulen Mitte November. Dies habe einen erkennbaren Einfluss auf die Quarantänezahlen. „Kamen noch am 10. November auf ein infiziertes Kind in der Grundschule rund 41 Quarantänefälle, so sank dieses Verhältnis bis zum 30. November auf zehn Quarantänefälle pro Erkrankung“, so Schuldezernent Markus Schön.

Eine ähnliche Entwicklung der Inzidenzwerte zeigt sich in der Ruhrgebiets-Stadt Essen : Dort sank die Inzidenz zuletzt deutlich und liegt aktuell bei 109. Noch niedrige Werte haben der Rhein-Kreis Neuss (97,4) sowie der Kreis Kleve (86,4). Auch Düsseldorf (111,5) weist im Gegensatz zu Duisburg verhältnismäßig wenige Neuinfektionen auf.

Dr. Voshaar: Inzidenzverlauf kann sich rasant ändern

„Die Lage am Niederrhein ist heterogen ausgeprägt“, schreibt das NRW-Gesundheitsministerium auf NRZ-Anfrage. In Städten sei generell ein höheres Infektionsrisiko erkennbar als im ländlichen Raum. „Dies gilt zum Beispiel für die Stadt Duisburg mit einer relativ hohen Wocheninzidenz und die geringe Inzidenz in dem eher ländlich geprägten Kreis Kleve.“ Darüber hinaus sei das Infektionsgeschehen von einer Vielzahl lokaler Einflussfaktoren abhängig, „die eine allgemeine Vergleichbarkeit nur begrenzt zulassen“.

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Laut Dr. Thomas Voshaar vom Bethanien in Moers seien lokale Unterschiede nicht überraschend: „Je großräumiger wir gucken, desto eher sehen wir einen Effekt. Das kann aber kleinräumig betrachtet ganz anders sein.“ Das Beispiel Wesel zeige, wie leicht sich das Infektionsgeschehen in einem Kreis oder einer Kommune plötzlich gegenläufig entwickeln kann. „Das kann ganz schnell gehen, selbst wenn es keine typischen großen Cluster gibt“, erklärt Voshaar.

Mit Blick auf die Inzidenz: Wie effektiv war der Lockdown?

„Es kann deutlich davon ausgegangen werden, dass es ohne die Maßnahmen des sogenannten soften Lockdowns zu einer exponentiellen Zunahme der Infektionen gekommen wäre“, so Holtschlag. „Das ist definitiv nicht der Fall. Die Maßnahmen waren also wirksam.“

Ähnlich äußert sich das NRW-Gesundheitsministerium. „Über die möglichen Auswirkungen der nicht eingeführten noch schärferen Maßnahmen kann an dieser Stelle nur gemutmaßt werden“, teilt das Ministerium auf NRZ-Anfrage mit. Bei der Debatte um weitere Verschärfungen müsse immer die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen abgewogen werden - und die daraus resultierenden Folgen für die Gesellschaft.

Zahlen: Auslastung der Intensivbetten am Niederrhein

Jeder sechste Intensivpatient am Niederrhein ist Covid-19-Patient. Nur rund jedes fünfte Intensivbett ist aktuell frei. Zahlen, die laut Gesundheitsministerium noch keinen Anlass zur Sorge geben müssen: „Eine Überforderung der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgungssysteme ist zurzeit nicht gegeben.“ Zum aktuellen Zeitpunkt stünden ausreichend personelle und räumliche Kapazitäten zur Verfügung. Bei einem erneuten Auftreten eines deutlichen Wachstums im Infektionsgeschehens könne eine Überlastung des Gesundheitssystems in NRW aber „nicht ausgeschlossen werden“.

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Genau davor warnt Dr. Voshaar : „Wir haben nach oben keine Luft, ist das Problem.“ Der Chefarzt des Bethanien-Krankenhauses befürchtet, dass durch die Lockerungen zwischen Weihnachten und Silvester die Infektionsfälle und damit auch die Zahl der Intensivpatienten zunehmen könnten. Die Krankenhäuser seien jedoch gut aufgestellt, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. Zudem könnten punktuell auftretende Engpässe auch durch regionale Verlegungen ausgeglichen werden. „Insofern ist die Lage am Niederrhein auch im Zusammenhang mit der Lage im gesamten Land zu bewerten.“