An Rhein und Ruhr. Der Lockdown hat die Infektionskurve gebremst. Ein starker Rückgang ist aber nicht erkennbar. Auch deshalb warnt Dr. Voshaar vor Lockerungen.

Erst der Lockdown, dann das Vergnügen: Um die Kontakteinschränkungen über Weihnachten reduzieren zu können, wurden die Corona -Maßnahmen im November deutlich verschärft. Ein kurzer Kraftakt mit großer Wirkung – so zumindest die Prognose der Politik. Stattdessen folgte in der vergangenen Woche eine weitere Verschärfung. Am Mittwoch die nächste Ernüchterung: Kanzlerin Angela Merkel teilte mit, dass der Lockdown bis zum 10. Januar fortgesetzt werde. Doch wie lange wird das noch so weitergehen? Und hat der „Lockdown light“ sein Ziel verfehlt?

Wie verläuft die Pandemie in NRW?

Auch interessant

Bis Anfang November stieg die Zahl der Neuinfektionen exponentiell an. Mit einem Wert von 177,9 erreichte die 7-Tage-Inzidenz am 4. November ihren bisherigen Höhepunkt. Zum Vergleich: Während des ersten Lockdowns im April lag der Höchstwert bei 37,2 – rund ein Fünftel der aktuellen Infektionszahlen. Mitte November stabilisierte sich die Kurve und ist seit zwei Wochen leicht rückläufig. „Die Infektionszahlen in Nordrhein-Westfalen sinken, aber sie sind noch zu hoch“, sagte Ministerpräsident Armin Laschet am Mittwoch.

Hat der Lockdown sein Ziel verfehlt?

„Das Ziel des Lockdowns war, dass die Zahl der Neuinfektionen nicht weiter ansteigt. Das wurde geschafft“, erklärt Dr. Thomas Voshaar vom Bethanien-Krankenhaus in Moers. „Wir müssen aber zugeben, dass wir mit den aktuellen Maßnahmen nicht von dem hohen Niveau runterkommen werden.“ Auch Prof. Dr. Mirko Trilling von der Uniklinik Essen zieht ein gemischtes Fazit: „Wenn wir die aktuellen Infektionszahlen mit dem exponentiellen Wachstum Ende Oktober vergleichen, ist eine stagnierende oder leicht sinkende Kurve natürlich ein guter Trend.“ Die Politiker hätten sich bei der Verschärfung der Maßnahmen aber vermutlich einen deutlich stärkeren Rückgang der Fallzahlen erhofft, so Trilling. „Das ist bislang leider noch nicht zu beobachten“, sagt der Essener Virologe.

Welche Schritte wären jetzt sinnvoll?

Auch interessant

„Wir sind noch weit von Inzidenzwerten entfernt, die die Gesundheitsbehörden in effektiven und schnellen Einzelfallverfolgungen bewältigen können“, sagt Trilling. Deshalb müssten Neuinfektionen noch deutlicher verhindert werden. Am Mittwoch lag die Inzidenz in NRW bei 138. „So paradox das klingen mag: Der Weg aus dem Lockdown heraus führt nur über noch stärkere Kontakteinschränkungen.“

Erst wenn die Bürger noch konsequenter auf vermeidbare Treffen verzichten, seien langfristig mehr Freiheiten möglich. Andernfalls werde die Kurve vermutlich recht langsam sinken. „Dann ändert sich die Situation erst wieder, wenn die Temperaturen im Frühling ansteigen oder sobald ein Großteil der Bürger geimpft ist.“

Ist eine Lockerung aktuell ratsam?

„In der jetzigen Situation halte ich es für grundfalsch, auch nur die geringsten Lockerungen anzukündigen“, sagt Voshaar. „Wären wir auf einem ganz anderen Niveau, würde ich sagen, das ist machbar.“ Aber die Zahlen seien immer noch zu hoch. Kanada sei ein mahnendes Beispiel. Das Land hatte im Oktober zu Thanksgiving die Kontakteinschränkungen reduziert. „Dort hat sich die Zahl der täglichen Neuinfektionen über die Feiertage verzehnfacht.“

Wie ist die Lage in Krankenhäusern?

Auch interessant

„Die Anzahl der Patienten in den Krankenhäusern ist aus meiner Sicht entscheidend“, sagt Trilling. In NRW waren am Donnerstag 948 Corona-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung. Jedes siebte Intensivbett ist derzeit mit einem Covid-19-Fall belegt. 1212 von 6533 Betten sind noch frei. „In manchen Bundesländern wie Berlin ist derzeit fast ein Viertel der Intensivbetten mit Corona-Patienten belegt. Das ist eindeutig zu viel“, so Trilling.

Die Zahlen müssten aber nicht zwangsläufig Anlass zur Besorgnis geben – solange die Infektionszahlen weiterhin stagnieren oder zurückgehen. „Sobald wir die Maßnahmen allerdings vernachlässigen, wird auch die Zahl der Intensivpatienten zeitverzögert wieder zunehmen – dann bekommt das Gesundheitssystem große Probleme.“

Was steht uns nach Silvester bevor?

Die gelockerten Corona -Maßnahmen zwischen Weihnachten und Silvester werden zu einem deutlichen Anstieg der Neuinfektionen führen, befürchtet Voshaar. Das wird die Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen enorm in Anspruch nehmen. Das Bethanien-Krankenhaus bereite sich deshalb auf eine „absolute Notfallsituation“ vor. Die größte Gefahr seien Masseninfektionen in Seniorenheimen. „Wenn es dort zu einem Ausbruch kommt, werden wir schnell so viele Schwerkranke haben, dass es bedrohlich wird“, warnt Voshaar.

Der Moerser Chefarzt appelliert deshalb an alle Bürger, von den Lockerungen keinen Gebrauch zu machen.