An Rhein und Ruhr. Genossenschaften – das klingt ein bisschen angestaubt. Doch die Idee vom selbstverwalteten Wohnen mit Gleichgesinnten erlebt eine Renaissance.

„Wohnungsbaugenossenschaften sind eine sehr moderne und zeitgemäße Wohnform“, sagt Alexander Rychter. Der Mann muss es wissen, ist er doch Verbandsdirektor der Wohnungswirtschaft Rheinland und Westfalen und vertritt die großen Player: von börsennotierten Immobilienriesen über städtische Baugesellschaften bis hin zu den rund 300 Wohnungsbaugenossenschaften in NRW. Sie haben zusammen rund eine halbe Million Mitglieder – und hinter fast jedem Mitglied steht auch ein Mieterhaushalt.

Das Wohnen im Weltkulturerbe – die Idee der Genossenschaften ist seit 2012 immaterielles Unesco-Kulturerbe – ist attraktiv wie selten. Gut, in Düsseldorf , wo der Wohnungsmarkt überhitzt ist , ist es naheliegend, dass Heiko Leonhard sagt: „Wir haben sehr viel Nachfrage bei der Düsseldorfer Wohnungsgenossenschaft.“ Dort, bei der DWG, der größten von sechs Genossenschaften der Landeshauptstadt, ist er Vorstandssprecher.

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Kein Wunder, denn wo sonst kommt man in den Genuss, eine neuwertige Wohnung zu fairen Konditionen zu bekommen? Ohne Angst vor Eigenbedarfskündigungen und dramatischen Mietsteigerungen? Denn die Wohnung – sie gehört dem Bewohner. Bei der DWG etwa zu einem Achttausendstel. Das ist die Idee: Die „Dauernutzer“ bilden eine Gemeinschaft – alle zahlen in einen Topf und alle bestimmen, was mit dem Geld gemacht wird. Dafür gibt es Genossenschaftsversammlungen, in größeren Genossenschaften – wie hier – läuft das über Delegierte. Die Einnahmen fließen in den Bestand zurück, für Sanierungen, Reparatur und Verbesserung, manchmal auch, um neue Wohnungen zu schaffen.

Die Grundstückspreise sind das Problem

Das würde Heiko Leonhard eigentlich gern häufiger tun, als es ihm derzeit möglich ist. „Unser größtes Problem sind die Grundstückspreise.“ Wenn Flächen zum höchsten Preis verkauft werden, kommen die Genossenschaften selten zum Zuge, sie sind auf das Wohlwollen der Politik angewiesen, städtische Flächen nicht immer an den finanzstärksten Investor zu vergeben – der für seine Rendite gewiss keine Sozialwohnungen baut.

„Wir haben dann eine Chance, wenn projektbezogen vergeben wird“, sagt Leonhard. Wenn die Stadt sagt: Wir wollen seniorengerechtes Wohnen, Sozialwohnungen oder besondere Wohnformen. Hat in Düsseldorf in den letzten Jahren sogar oft geklappt, sagt Leonhard. Dann können die Wohnungsbaugenossenschaften über ihre Konzepte zum Zuge kommen – ein Schritt zu einer gesunden Stadtentwicklung. Denn: „Bei uns sind alle Schichten der Bevölkerung vertreten. Außer den Millionären.“

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Die dürften auch bei der Emmerich er Baugenossenschaft nicht zu den Kunden zählen. Aber die Probleme gleichen denen stromauf durchaus: „Wir haben Schwierigkeiten mit der Entwicklung der Baulandpreise“, sagt deren Vorstand Horst Boch. Neubauprojekte seien daher schwierig, deshalb gebe es bei der Emmericher Wohnungsbaugenossenschaft eine Warteliste.

„Wir erleben vor allem, dass Menschen im Alter wieder zurück in die Stadt ziehen wollen“, sagt Boch. Das Einfamilienhaus samt Garten wird dann oft zu groß und zu teuer, im Stadtkern sind Ärzte und Geschäfte auch mal ohne Auto erreichbar. „Gefragt sind vor allem Drei-Zimmer-Wohnungen, so um die 70 Quadratmeter“. Mit 5,50 Euro pro Quadratmeter muss man in der Rheinstadt rechnen. „Immer noch viel Geld für Alleinstehende mit kleiner Rente – und die Altersarmut nimmt zu“, sagt Boch. Wegen dieser Klientel werden die Wohnungen alle barrierefrei ausgebaut, wenn mal ein Mieter-, Verzeihung: ein Nutzerwechsel stattfindet.

Verglichen mit den Genossenschaften aus Emmerich und Düsseldorf aus den 1890er-Jahren steckt die Wohnungsbaugenossenschaft Rheinpreußen in Duisburg -Hochheide in den Kinderschuhen: 1985 entstand sie, aus einer Widerstandsbewegung heraus: Ein Großinvestor wollte die einstige Bergarbeitersiedlung abreißen – zu Gunsten von Hochhäusern. Die „Weißen Riesen“ von Hochheide, die daraus entstanden, sind heute Mahnmal verfehlter Wohnungsbaupolitik. Die Genossenschaftswohnungen hingegen in den alten Zechenhäusern, von denen ein Drittel den Kahlschlag vor knapp 50 Jahren überlebten, sind sehr gefragt.

Mietpreise zwischen vier und sechs Euro pro Quadratmeter

„Vier bis fünf Jahre Wartezeit“, so Geschäftsführerin Silvia Potrafke, muss man rechnen für ein Zechenhäuschen mit Garten – und das in einer Ecke von Duisburg, wo der Mietmarkt als eher entspannt gilt. Doch das Leben für im Schnitt gerade mal etwas über 4 Euro pro Quadratmeter (bei Neuvergaben knapp unter 6 Euro) in der denkmalgeschützten Siedlung geht einher mit Gemeinschaftshaus und viel Wir-Gefühl, das die einstigen Widerstandskämpfer, die für ihre Häuser sogar in einen Hungerstreik traten, weitergetragen haben. „Diesen Gedanken der Gemeinschaft zu erhalten, das ist das große Ziel“, sagt Silvia Potrafke.

Wie werde ich Wohnungsbau-Genosse?

Der Weg in eine Wohnungsbaugenossenschaft ist eigentlich ganz einfach: Kontakt aufnehmen und sich auf die Warteliste setzen lassen. In manchen Fällen, zum Beispiel bei der Genossenschaft in Duisburg-Hochheide, wird bereits dann ein erster Genossenschaftsanteil fällig – damit nur die auf der Warteliste stehen, die auch wirklich wollen. Wem das Warten zu lang wird oder wer was anderes findet, der bekommt die (in diesem Falle) 260 Euro zurück, sonst wird bei Abschluss eines Nutzungsvertrages ein zweiter Anteil fällig.

Die Genossenschaftsanteile muss man sich sonst wie eine Art Kaution vorstellen. Meist sind es ein oder zwei Pflichtanteile, die man kaufen muss, in Emmerich sind 500 Euro fällig, bei der Düsseldorfer Wohnungsbaugenossenschaft 2000.

Das Schöne daran: Es gibt – in diesen beiden Fällen – vier Prozent Zinsen. Früher war das für die Genossenschaften ein Weg zu günstigem Baukapital. Und auch, wer nicht in die Genossenschaftswohnungen ziehen wollte, investierte gern.

In der derzeitigen Nullzinsphase allerdings können sich die Genossenschaften am Kapitalmarkt günstiger Geld besorgen, daher sinken auch die Zinsen auf Genossenschaftsanteile – und sie sind für Nicht-Wohnungsnutzer gesperrt.

Viele Baugenossenschaften haben einen Bestand an sozialem Wohnraum, auch sonst liegen die „Nutzungsentgelte“ – das was sonst Mieten sind – meist unterhalb der üblichen Mieten. Der Wohnstandard gilt als hoch, es gibt (außer bei geschäftsschädigendem Verhalten) keine Kündigungen, und das Wohnrecht samt der Genossenschaftsanteile kann in vielen Fällen sogar vererbt werden.

Infos und Liste hier: www.wohnungsbaugenossenschaften.de

Mit gut 400 Mitgliedern ist die 35 Jahre alte Genossenschaft eher klein. „Heutzutage braucht man meist um die 1000 Mitglieder“, erläutert Alexander Rychter. Weil der Verwaltungsaufwand relativ hoch ist – und sich mit Ehrenamtlichen kaum bewerkstelligen lässt. Es brauche Expertise. „Häuser bauen ist in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich teurer und komplizierter geworden“, erklärt Rychter.

Die Anforderungen an Energieeffizienz, Multimedia und Barrierefreiheit steigen, der Betreuungs- und Organisationsaufwand auch. Dennoch geht Rychter davon aus, dass es weiter Neugründungen von Genossenschaften geben wird.

Oft sind es besondere Wohnprojekte, die den Kern einer neuen Genossenschaft bilden, „manchmal aber auch ein Volkshochschulkurs, der mit Blick aufs Alter beschließt, zusammen wohnen zu wollen.“ Beratung gibt es dann vom Dachverband, wie man Genossenschaft wird.

Rychter ist aus einem einfachen Grund sehr optimistisch: „Genossenschaften waren historisch immer die Antwort auf große Krisen am Wohnungsmarkt.“