Suderwick/Dinxperlo. Dinxperlo und Suderwick gehen ineinander über, durchs Dorf geht die deutsch-niederländische Grenze. Wegen Corona ist sie jetzt wieder wichtiger.
Eigentlich trifft man an der Grenze immer jemanden, der fasziniert auf die gelbe Straßenmarkierung schaut, die anzeigt, wo Deutschland endet und die Niederlande beginnen, wo Suderwick in Dinxperlo übergeht. Oder jemanden, der auf den Infotafeln direkt am Zollbaum etwas zur bewegten Geschichte des Zwillingsdorfes liest. So ist es auch an diesem Tag. „Das sind Verwandte aus Rotterdam“, erzählt Jos Heijnen in fließendem Deutsch und deutet auf die Familie, die sich um die Infotafeln versammelt hat. „Mit Gästen kommen wir immer hierher, auch wenn wir selbst etwas außerhalb von Dinxperlo wohnen. Es bleibt eben ein besonderer Ort und auch einer, an dem sich Geschichte toll erklären lässt“, sagt der 68-jährige Niederländer, der pensionierter Lehrer ist.
Was für viele Besucher außergewöhnlich ist, ist für die Dinxperloer und Suderwicker seit Jahrzehnten ganz normal, grenzüberschreitend teilen sie fast alles miteinander. Die beiden Dörfer, wegen ihrer engen Verbindung oft auch „Dinxperwick“ genannt, bilden räumlich eine Einheit, die Ortsgrenze ist gleichzeitig Staatsgrenze und verläuft direkt längs dreier niederländischer Straßen. Am bekanntesten ist wohl der Heelweg – hier bildet die deutsche Bordsteinkante die Grenze. Die Suderwicker, die dort am Hellweg wohnen, können nur über niederländisches Staatsgebiet zu ihren Wohnungen gelangen – außer sie laufen zu Fuß über den deutschen Bürgersteig.
Grenze spielt im Alltag keine Rolle
Im Alltag spielt das aber keine Rolle, in fast allen Bereichen des täglichen Lebens kooperieren Suderwicker und Dinxperloer. Deutsche Kinder im Kindergartenalter besuchen die niederländische Basisschule, die niederländischen Kinder absolvieren im Bocholter Bad ihr Schulschwimmen, und der deutsche Polizist teilt sich sein Büro in Dinxperlo mit mit seinen niederländischen Kollegen. Die Dinxperloer trinken Wasser aus Deutschland, die Abwässer Suderwicker Haushalte werden in die Dinxperloer Kläranlage geleitet.
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Es wird hin und her eingekauft, in Vereine eingetreten und natürlich auch geheiratet. „Dinxperlo hat wesentlich mehr Einwohner, davon profitieren wir im Alltag in Suderwick sehr“, sagt Johannes Hoven, Vorsitzender des Heimatvereins. Der 70-Jährige beschäftigt sich schon lange mit der Geschichte der beiden Dörfer und kann sich auch an die Zeit erinnern, als die Grenze noch ein Hindernis darstellte.
Politisch waren beide Orte immer voneinander getrennt. Bis 2005 war Dinxperlo eine selbstständige Gemeinde, danach Teil der Gemeinde Aalten, während Suderwick seit 1975 ein Ortsteil von Bocholt ist. Am schwierigsten, erzählt Hoven, sei der Zweite Weltkrieg mit der Naziherrschaft gewesen.
Zum Markt nach Dinxperlo
Ein Grenzzaun trennte Suderwicker und Dinxperloer zwischen 1939 und 1949. „Unsere ältesten Dorfbewohner erinnern sich daran noch sehr gut“, so Hoven. Eine große Belastung sei das gewesen, genau wie die Zeit, als Suderwick-West von 1949 bis 1963 unter niederländischer Verwaltung stand und zu Dinxperlo gehörte.
Gerade für die jüngeren Bewohner ist die einstige Trennung nicht mehr von Bedeutung, dass die Coronakrise die Grenze so in den Vordergrund schieben würde, kam für viele überraschend. „Da mussten wir schon umdenken, ich bin sonst jede Woche zum Markt nach Dinxperlo gekommen und für andere Einkäufe ebenfalls“, erzählt Gertrud Boecker, die im benachbarten Isselburg wohnt. „Ich mag das Angebot einfach lieber, genauso wie viele Niederländer gerne in Bocholt Besorgungen erledigen“, erzählt sie.
Inzidenzzahl in der Region Achterhoek ist dreimal höher als im Kreis Borken
Im März und April und auch jetzt würden die Besuche im Nachbarland für sie aber flachfallen. „Zumal ja die Infektionszahlen dort im Moment so explodieren“, sagt Boecker. Der Bürgermeister der Gemeinde Aalten, zu der Dinxperlo gehört, hatte schon im Frühling dringend an die Einwohner der deutschen Nachbargemeinden außerhalb von Suderwick appelliert, nicht zu kommen, auch jetzt rufen beide Seiten zur Vorsicht und Vernunft auf.
Die Inzidenzzahl in der Region Achterhoek, wozu Dinxperlo gehört, liegt aktuell dreimal so hoch wie im angrenzenden Kreis Borken. Bocholts Bürgermeister Peter Nebelo lobte die Einwohner Suderwicks indes für ihr Verhalten in der Krise. „Die Bürger waren bislang sehr diszipliniert und haben die Regeln beachtet“, so Nebelo. Mit den niederländischen Amtskollegen fanden auch vor Corona schon regelmäßige Treffen statt. „Das Zusammenspiel läuft gut“, sagt der Bürgermeister, der seit 2004 im Amt ist. Nebelo hofft, dass sich die Bürger weiterhin so engagiert für ihr Dorf einsetzen wie bisher.
Preis für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit
„Wirklich schade ist, dass in Dinxperlo wegen Corona nicht das Fest zum 75-jährigen Kriegsende gefeiert werden konnte. Zum ersten Mal hätten wir Suderwicker mitgefeiert, was natürlich einen großen symbolischen Charakter gehabt hätte“, erzählt Hoven. Im August wurde das Engagement der Dörfer aber trotzdem auch von Seiten des Landes gewürdigt.
Das Projekt „Dinxperwick“ erhielt den diesjährigen NRW-Heimatpreis. Johannes Hoven, der wie viele andere Familienmitglieder und Freunde auf beiden Seiten der Grenze hat, ist überzeugt, dass Suderwick und Dinxperlo auch in Zukunft noch viel voneinander lernen können. „Wir denken hier so, als würde es die Grenze gar nicht geben, und damit sind wir wohl ein gutes Beispiel dafür, wie die europäische Idee gelebt werden kann.“
Unterschiedliche Regeln in Deutschland und Niederlande
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Der Krisenstab des Kreises Borken ist zu dem Schluss gekommen, dass auch der rege Grenzverkehr die aktuelle Ausbreitung des Virus fördert. Die schnell steigenden Infektionszahlen in den Niederlanden würden sich auf den Kreis auswirken, besonders aufgrund von grenzüberschreitenden familiären Beziehungen.
Der Krisenstab kritisiert die unterschiedlichen Regeln. „Werden voneinander abweichende Regelungen getroffen, wirkt dies oft auf das grenzüberschreitende Besucheraufkommen“, so ein Sprecher. Die Schließung von Restaurants auf holländischer Seite habe ein erhöhtes Besucheraufkommen im Kreis zur Folge.