An Rhein und Ruhr. Radfahrer dürfen nur noch überholt werden, wenn es ausreichend Platz gibt. An einigen Stellen kommt das einem Überholverbot gleich. Ein Test
So ganz entspannt ist der Fahrer des silbernen Seats nicht. Der Grund für das nervöse Fahrverhalten fährt vor ihm: Am liebsten würde er die beiden Fahrradfahrerinnen vor ihm überholen, doch immer wieder kommt ein Auto aus der Gegenrichtung auf der Rüttenscheider Straße in Essen. Das Überholen wird für ihn unmöglich, denn dafür müsste er kurzzeitig die Spur wechseln. Ab der Außenseite des Fahrradlenkers muss er nun mindestens 1,50 Meter Abstand bei seinem Überholmanöver zum Radfahrer halten, so steht es in der neuen Straßenverkehrsordnung. Die Redaktion hat sich auf Testfahrt begeben.
Claudia Harfst unterstützt uns dabei. Die Essenerin ist Frauenbeauftragte beim ADFC in Essen und bietet regelmäßig Touren an. Sie selbst radelt meist rund um Essen-Schönebeck und auch durch das beliebte Ausgehviertel Rüttenscheid. Um die Abstandsregel deutlich zu machen, klemmt sie sich eine Poolnudel, die normalerweise als Hilfsmittel im Wasser zum Einsatz kommt, quer auf den Gepäckträger. Sie ist etwas kleiner als 1,50 Meter, aber für unseren Test dennoch eindrucksvoll. „Mehr Platz fürs Rad“ steht auf den Bannern, die an der Nudel befestigt sind. Ob die Forderung bei den anderen Verkehrsteilnehmern ankommt?
Lieferwagenfahrer hupt – und ärgert sich
Wir sind auf der Rüttenscheider Straße. Seit einigen Wochen haben Radfahrer hier Vorrang. Schilder und Piktogramme auf den Straßen deuten darauf hin, dass man sich hier auf einer Fahrradstraße bewegt. Das bedeutet unter anderem: Es gilt ein Tempolimit von 30 Stundenkilometern, und Radfahrer dürfen nebeneinander fahren, wenn sie andere nicht behindern. Auch hier gilt der Abstand beim Überholen von mindestens 1,50 Metern. Den halten die Autofahrer hier an unserem Testtag durchaus ein. Das mag auch an der ausladenden Poolnudel liegen, die auf dem Gepäckträger klemmt. Zum anderen gibt es hier, wie für den silbernen Seat, während unserer Testfahrt kaum eine Chance, Radfahrer zu überholen. Die Straße ist zu voll, es ist Verkehr. Der Fahrer eines weißen Lieferwagens hupt uns an und weist wild winkend auf die Poolnudel. „Was hat er?“, fragt Claudia Harfst. Gute Frage. Dass auch auf einen Gepäckträger sperrige Gegenstände passen, scheint ihm nicht zu passen.
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Dafür lobt eine Fußgängerin an der Ampel die Aktion. „Diesen Test wollte ich auch schon mal machen!“, sagt sie lächelnd, bevor sie wieder ernst wird, um sich über den zu geringen Abstand beim Überholen zu ärgern. Sie fahre selbst Rad, aber so richtig sicher fühle sie sich auch auf dieser Fahrradstraße nicht.
Es ist eben noch ungewohnt – für alle. So dürfen Radfahrer nicht mehr den Radweg auf dem Bürgersteig benutzen, den sie nutzten, bevor die „Rü“ eine Fahrradstraße war. Stattdessen dürfen den nun die Fußgänger nutzen. Aber auch Eltern mit kleinen Kindern, die eben noch nicht auf der Straße fahren dürfen. Und dann dürfen die Fahrradfahrer an der Ampel nun auf der Straße rechts an den Autos vorbei ganz nach vorne fahren. Claudia Harfst fordert, wie der gesamte Allgemeine Deutsche Fahrradclub, eine Aufklärungskampagne über die neue Straßenverkehrsordnung. Harfst ist überzeugt: „Viele wissen nicht, dass eine Fahrradstraße Tempo 30 bedeutet.“ Und dass der Überhol-Abstand ab dem Fahrradlenker 1,50 Meter betragen muss.
Wir radeln weiter durch einige Nebenstraßen. Die Poolnudel zeigt es deutlich: Überholen ist an vielen Stellen kaum möglich. Die Autofahrer, die sich hinter dem Radfahrer befinden, müssen sich gedulden. „Das ist wohl der einzige Weg: Man muss den Autofahrer zur Rücksicht zwingen“, meint Claudia Harfst. Der Radfahrer ist schließlich der schwächere Verkehrsteilnehmer.
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Aber nicht nur auf Nebenstraßen ist der Platz zum Überholen eng. Auch auf der Wittenbergstraße, einer zweispurigen Hauptstraße, ist das Vorbeifahren für Autos ohne Spurwechsel nicht möglich. Dazu kommt: Der Streifen für den Radfahrer ist zu eng, die Poolnudel ragt hinüber.
In Moers weist neuerdings extra ein Schild auf das Überholverbot von Fahrrad- und anderen Zweiradfahrern hin. Eigentlich ist es überflüssig, denn auf diesem rund 170 Meter langen Stück der Homberger Straße könnten Radfahrer mangels Platz gar nicht überholt werden. Doch die Stadt ließ es trotzdem aufstellen, um das Überholverbot allen deutlich zu machen.
In der Vergangenheit sei es zu gefährlichen Situationen bei Überholmanövern gekommen, meint Stadtsprecherin Mirjam Beitz zur NRZ. Zudem seien vielen womöglich die neuen Regeln noch nicht bewusst. Die Polizei im Kreis Wesel hingegen sieht dort keinen Unfallschwerpunkt und wird das Überholverbot an der Homberger Straße nicht gesondert kontrollieren, wie eine Sprecherin erläutert.
Mehr Sicherheit – auch für die Fußgänger
Auch auf die Kleve r Innenstadt wird die Novelle erhebliche Auswirkungen haben, da hier etliche Radwege wegen einer nicht ausreichenden Breite nicht benutzungspflichtig sind. Wer als Radfahrer künftig auf der Hafenstraße oder Albersallee fährt, der darf vom Autofahrer nicht mehr überholt werden, da auf der schmalen Straße der Sicherheitsabstand nicht mehr eingehalten werden kann. Hier sei dann die Stadt gefordert, die Benutzungspflicht des Radweges wieder herzustellen, forderte der Leiter der Verkehrsabteilung der dortigen Polizei, Achim Jaspers, kürzlich im Gespräch mit der NRZ.
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Radfahrerin Claudia Harfst erhofft sich von der Straßenverkehrsnovelle mehr Sicherheit für Radfahrer und Fußgänger. Doch sie weiß: „Seit Jahrzehnten hat das Auto Vorrang bei der Planung in Deutschland gehabt.“ Bis sich die Änderungen in den Köpfen festgesetzt haben, muss sie wohl noch einige Kilometer radeln.