An Rhein und Ruhr. Seit über einem halben Jahr geht in der Veranstaltungsbranche nichts mehr. Staatliche Hilfen nützen kaum etwas, klagen die Betroffenen.

Am 15. März wollte sich Christophe „Murphy“ Colbeau auf den Weg zu seinem nächsten Job machen, als ihn die schlechte Nachricht erreichte. Die Dialogtour des Bundeswirtschaftsministeriums: gestrichen. Eine Katastrophe für den 53-Jährigen. Die 16 Termine hätten ihm 35.000 Euro Umsatz gebracht. Colbeau ist freiberuflicher Veranstaltungstechniker, arbeitet also in der Branche, die am brutalsten von der Corona-Krise getroffen wurde. Er und die Hunderttausenden Beschäftigten in der Branche fühlen sich noch immer von der Politik im Stich gelassen. Deshalb steht Colbeau an diesem kühlen Herbstnachmittag vor dem Landtag in Düsseldorf bei der siebten Auflage der landesweiten Demonstration des Bündnisses „Alarmstufe Rot“.

Rund 150 Menschen sind an diesem Mittwoch gekommen, alle tragen Masken, alle halten Abstand. Auf der Bühne machen die Rednerinnen und Redner klar, dass sie die Corona-Maßnahmen nicht infrage stellen, sie sich aber von der Politik im Stich gelassen fühlen. Das Bündnis hat konkrete Forderungen: Einen Unternehmerlohn für Solo-Selbstständige wie Colbeau, Zuschüsse zu den Fixkosten der Unternehmen, die Anpassung von Kreditprogrammen.

Redner: Wir wollen ernst genommen werden

Vor der Bühne steht ein kleiner Sarg, Markus Schulze von der Kölner Initiative ARTensterben erinnert an die zahlreichen Menschen, die in der Branche derzeit ohne Einkommen sind, Fotografen, Kameraleute, Künstler, Techniker, Caterer, Veranstalter und viele andere mehr. Es ist ein stiller Protest. „Wir wollen ernst genommen werden. Wir wollen Taten sehen“, sagt Schulze.

130 Milliarden Euro Umsatz, rund eine Million Beschäftigte, mehr als in der Autoindustrie. Die Veranstaltungsbranche ist ein Gigant. Die Corona-Pandemie hat sie in eine tiefe Krise gestürzt. Branchenkenner befürchten bis zu 90 Prozent Umsatzeinbußen in diesem Jahr. Besonders hart trifft es Menschen wie Murphy Colbeau.

Letzter Arbeitstag: 8. März

Seit er 17 ist, arbeitet Colbeau als Veranstaltungstechniker. Er ist als Rigger in den Traversen bei Rockkonzerten herumgekraxelt, hat für die Beleuchtung bei Veranstaltungen gesorgt, wie es in der Branche oft üblich ist, hat sich sein Handwerk weitgehend autodidaktisch beigebracht. Seit dem vergangenen Jahr hat er einen Meisterbrief in der Tasche. „Für 2020 waren die wirtschaftlichen Aussichten fantastisch“, erzählt er. Dann kam die Pandemie.

„Mein letzter Arbeitstag war der 8. März“, erinnert sich Colbeau. Danach: nichts. Alle Aufträge gestrichen. Kein einziger Euro Umsatz mehr. Seine 12.000 Euro Barvermögen, die er zur Seite gelegt hatte, schmolzen rasend schnell weg, er musste die Kosten für seine Meister-Ausbildung abstottern. Bislang, sagt er, sei es ihm gelungen, die Bausparverträge und die Aktienfonds zu halten, seine Altersvorsorge. Aber seit einem halben Jahr ist er im Hartz-IV-System.

Staatliche Hilfe war nicht hilfreich

Es blieb ihm nichts anderes übrig: Die staatlichen Hilfsprogramme waren nicht hilfreich. Nicht die Corona-Soforthilfe, die im Frühjahr ausgezahlt wurde; mit ihr konnte Colbeau seine Lebenshaltungskosten nicht decken. Nicht das danach ausgezahlte Überbrückungsgeld für Kleinunternehmer, ein bürokratisches Monstrum.

„Wir fühlen uns als Einzelunternehmer extrem zurückgesetzt vom Staat. Ich habe das Staatssäckel mitgefüllt, aus dem jetzt die Kurzarbeit bezahlt wird.“ Anders als Kurzarbeiter dürfe er als Hartz-IV-Bezieher nichts dazu verdienen. „Die Arbeit liegt eigentlich auf der Straße, ich könnte als Kurierfahrer arbeiten oder als Hausmeister, es gibt ja überall ein Pickerl aufzunehmen.“ Colbeau sagt: „Ich möchte durch eigene Arbeit und Initiative Geld verdienen.“

Hartz IV: Staatliche Abwärtsspirale

Staatliche Hürden stehen ihm im Weg. „Hartz IV ist eine wirtschaftliche Abwärtsspirale.“ Deswegen hat er die Demonstration vor dem Landtag angemeldet. Seine Mindestforderung ist: „Ich möchte eigeninitiativ Geld verdienen können, ohne dafür bestraft zu werden.“

Alarmstufe Rot heißt die Initiative, die hinter der Kundgebung steht. Entstanden ist sie aus der Night of Light, die der Essener Unternehmer Tom Koperek und andere aus der Branche im Juni organisiert hatten. Damals wurden 8000 Gebäude bundesweit rot angestrahlt, die Aktion fand Nachahmer überall auf der Welt. Unter #WeMakeEvents („Wir machen Veranstaltungen“) hat sich die Branche mittlerweile weltweit vernetzt. Die Probleme sind überall gleich.

Die ersten Unternehmen sind pleite

Am Dienstag kündigte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier neue Hilfen für die Branche an. Es ist ein Hoffnungsschimmer. Für etliche Unternehmen wird es aber zu spät sein. In Kopereks eigenem Unternehmen, der Essener LK AG, musste ein Tochterunternehmen bereits Insolvenz anmelden. 20 Jobs werden wegfallen. Und Murphy Colbeau ist ohnehin auf das Bundeswirtschaftsministerium nicht gut zu sprechen. Nach dem Ausfall der Dialogtour, die ihm 35.000 Euro Umsatz bringen sollte, habe ihm das Ministerium keinen Cent Ausfallhonorar gezahlt.