Essen. Seit März können Musiker nicht mehr auftreten. Die Zeit ohne Publikum zehrt an den Nerven. Andere europäische Länder helfen Künstlern besser.

Die Abendsonne fällt durch die Scheiben des Lokschuppens in Stadtlohn, und die Band bereitet sich auf ihren Gig vor. Bastian Korn, schwarzes T-Shirt, schwarze Jeans, Cowboy-Stiefel, Sonnenbrille, sitzt am Piano, und dann geht es los, sie spielen The Heart Of Rock’n’Roll von Huey Lewis And The News, ein treibender, energetischer Song, der die Überlebensfähigkeit und das Beharrungsvermögen des Rock feiert. Es ist ein Statement, ein wütender Mittelfinger Richtung Corona-Virus, weil dieses Virus gerade die Musik-Branche killt.

Bastian Korn, 41, ist Sänger, Pianist und Komponist. Seine Band 78 Twins ist keine, die große Halle füllt, sie ist eine von den vielen Gruppen, die aus Vollblutmusikern zusammengesetzt ist, aber die Ochsentour über die Kleinstädte machen muss, um zu überleben. Mit dem Ausbruch der Corona-Krise ist es den 78 Twins ergangen, wie allen anderen. Stillstand. Keine Konzerte vor Publikum mehr. Und plötzlich die nackte Angst vor dem Ruin. Bleibt das Herz des Rock’n’Roll doch stehen?

Den letzten Gig am 10. März gespielt

„Unseren letzten Gig haben wir am 10. März gespielt“, erinnert sich Korn. Danach prasselten die Absagen herein. Anstatt der 15 oder 16 Auftritte im Monat plötzlich einfach nichts mehr. Was tun? Kurze Zeit keimte Hoffnung auf, als der Staat ein üppiges Corona-Soforthilfepaket auflegte. 9000 Euro hätten Korn und seine Bandkollegen abgreifen können, auch zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes, so hieß es Ende März auf der Seite des NRW-Wirtschaftsministeriums.

Die Musiker der 78 Twins gelten technisch als Solo-Selbstständige. Wenige Tage später die ernüchternde Klarstellung durch den Bund, der die Musik zahlt: Für die Lebenshaltungskosten dürfe das Geld doch nicht aufgewendet werden, nur für die Kompensation von Betriebskosten. Rock’n‘Roller haben keine Betriebskosten. Das NRW-Wirtschaftsministerium betont allerdings, dass die Solo-Selbstständigen „durch die NRW-Vertrauensschutzlösung 2000 Euro für ihre Lebenshaltungskosten verwenden“ dürften.

Tantiemen helfen ein bisschen über die Zeit

2000 Euro? Korn und seine Bandkollegen sind jetzt seit vier Monaten nahezu ohne Einkommen. Da bringen 2000 Euro nicht viel. Der 41-Jährige hat immerhin noch die Tantiemen. Er hat 150 Songs komponiert und im vergangenen Jahre etliche Konzerte gespielt. Deshalb bekommt er Geld von der Gema. „Das hilft ein bisschen über die Zeit.“ Aber erstens wird dieses Geld vielleicht noch ein, zwei Monate reichen, zweitens wird es ihm Anfang kommenden Jahres fehlen und drittens spielen sie jetzt keine Konzerte – also wird es auch im nächsten Jahr kein Geld von der Gema geben.

Theoretisch könnte Korn Grundsicherung beantragen. Aber seine Frau arbeitet halbtags und verdient Geld, das würde angerechnet werden. Viel wichtiger ist aber die psychologische Hürde, vor der viele stehen. Er sieht es nicht ein, dass der Staat ihn in ein System zwingen will, das für Langzeitarbeitslose geschaffen wurde. „Ich bin nicht arbeitslos, ich habe ein Arbeitsverbot“, sagt er.

Andere europäische Länder helfen besser

Die Initiative Kulturschaffender in Deutschland (IKiD) hat Ende Mai in einem Positionspapier aufgeführt, wie andere europäische Staaten in der Corona-Krise Unterstützung leisten. In Großbritannien erhalten freischaffende Künstler ohne Antrag 80 Prozent des Vorjahresverdienstes, bis zu 2500 Pfund (2769 Euro) monatlich. Belgien zahlt für die Monate März bis Mai eine Überbrückungshilfe von bis 1291,69 Euro im Monat, wer eine Familie hat, erhält bis zu 1614,10 Euro. In den Niederlanden können Künstler für die Dauer von bis zu sechs Monaten ohne jede Vermögens- und Einkommensprüfung 1050 Euro je Monat bekommen.

„Damit wären 99 Prozent der Künstler in Deutschland zufrieden“, ist sich Bastian Korn sicher. Aber es ist nicht nur das Geld. „Für mich ist das emotional auch sehr schwierig, wie wohl für alle Musiker.“ Er macht seit seiner Jugend Musik, sie ist sein Lebensinhalt. „Der Applaus, die jubelnde Menge, das ist doch für uns die Bestätigung, die wir brauchen. Raus gehen und vor den Leuten spielen. Das macht doch unseren Beruf aus.“

Konzerte mit Abstandsregeln? Undenkbar

Wann er das wieder machen kann, ist völlig unklar. Großveranstaltungen sind noch bis mindestens Ende Oktober untersagt. In NRW gilt alles über 50 Menschen als große Veranstaltung. Konzerte mit Abstandsregelungen? Mit Mundschutz? Undenkbar.

Als der Song im Lokschuppen in Stadtlohn endet, brandet kein Applaus auf. Das Konzert ist ein Livestream, übertragen im Internet. Die Sonne ist allmählich untergegangen. Es wird dunkel. Die Band spielt weiter.