An Rhein und Ruhr. 37.000 Fälle häuslicher Gewalt werden pro Jahr in NRW registriert – bundesweit starben 2018 342 Menschen durch ihre (Ex-)Partner.

Wenn Beziehungen enden, enden sie häufig in Gewalt: Mehr als 140.000 Gewaltdelikte der so genannten „häuslichen Gewalt“ fanden 2018 Eingang in die Kriminalstatistik - davon 37.000 Fälle in NRW. In 324 Fällen starb die (Ex-)Partnerin durch Gewalt: weit überwiegend sind Frauen das Opfer. Wie im April 2019: Ein 32-Jähriger lauert seiner Ex-Freundin, einer 27-Jährigen auf. Gut ein Jahr waren die beiden ein Paar, dann trennten sie sich.

Der Mann kam damit nicht zurecht, schon am Neujahrstag 2019, als es eigentlich darum gehen sollte, die Dinge aus der einst gemeinsamen Wohnung auszutauschen, versuchte er, sie zu vergewaltigen, berichtete Rainer Drees, Vorsitzender der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Düsseldorf am Montagabend bei einer Podiumsdiskussion zur „Woche des Opferschutzes“. Der Mann lauerte seiner Ex-Freundin weiter auf - trotz Näherungsverbot - verfolgte sie, sie suchte an jenem Apriltag Schutz in einem Blumenladen, wurde dort von ihm erstochen. Jetzt, so der Richter, sitzt er lebenslänglich in Haft. „Ein Fall aus einem bürgerlichen Milieu“, berichtet Drees. „Der Täter hat Jura studiert.“

In Aachen werden Ärzte besonders sensibilisiert - sie sehen die Opfer als erste

Das Beispiel ist aus seiner Sicht besonders tragisch, weil das Opfer eigentlich getan hat, was man in solchen Fällen tun sollte: Sie hatte bereits das erste Delikt angezeigt, sich Hilfe gesucht, die Behörden informiert. Insofern diente die Diskussion im Foyer des Landgerichts auch der Frage, was getan werden kann, damit die Opfer häuslicher Gewalt noch eher und noch wirksamer Hilfe finden - was angesichts der vielerorts überfüllten Frauenhäuser leichter gesagt als getan ist.

Elisabeth Auchter - Mainz ist seit Dezember 2017  Opferschutzbeauftragte des Landes NRW, rechts neben ihr Luzia Kleene, Frauenberatungsstelle Düsseldorf.
Elisabeth Auchter - Mainz ist seit Dezember 2017 Opferschutzbeauftragte des Landes NRW, rechts neben ihr Luzia Kleene, Frauenberatungsstelle Düsseldorf. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

So berichtete Elisabeth Auchter-Mainz, seit Dezember 2017 Opferschutzbeauftragte des Landes, dass es in Aachen jetzt eine Vernetzung zwischen Hausärzten und Hilfsorganisationen gebe – vorbildhaft fürs Land. Noch besser sei es, wenn auch die Zahnärzte eingebunden würden. Denn viele Frauen (vier von fünf Opfern häuslicher Gewalt sind weiblich - für Männer allerdings ist der Opferstatus noch viel schambehafteter) kennen die Wege zu den örtlichen Hilfsorganisationen und zur Justiz nicht – zum Arzt indes gehen sie schon. Oft gezwungenermaßen. Und nicht selten: Nach Studien wird jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens Opfer von (oft sexualisierter) Gewalt. Und die größte Bedrohung für Leib und Leben ist für sie in aller Regel der Partner.

Luzia Kleene von der Frauenberatung Düsseldorf betonte daher, es sei sehr wichtig, wie die Polizei, wenn sie zu einem eskalierten Beziehungskonflikt gerufen wird, die Lage einstuft. Wenn sie ein versuchtes Tötungsdelikt vermutet, ist der Ermittlungsaufwand direkt ein ganz anderer als wenn die Polizisten am Tatort „nur“ von einer Körperverletzung ausgehen. „Da muss eine fundierte Risikoeinschätzung her“, so Kleene.

Recht auf Aussageverweigerung für Verlobte streichen

Sie plädierte genauso wie Richter Drees zudem dafür, das Recht auf Aussageverweigerung bei Verlöbnissen abzuschaffen. Erklärt ein mutmaßliches Gewaltopfer vor Gericht, sie und der Täter wollten womöglich heiraten, so muss sie als Zeugin den Angeklagten nicht mehr belasten – und ihre Aussagen, die sie im Vorfeld bei Polizei und Staatsanwaltschaft getan hat, dürfen nicht mehr verwendet werden.

Was ebenfalls helfen würde – und in Düsseldorf bereits umgesetzt wird: Wenn bei den Gerichten der jeweilige Fall möglichst immer vom gleichen Sachbearbeiter betreut wird - damit das Tatopfer seine oft schambehaftete Geschichte nicht immer wieder von neuem ausbreiten muss. Das größte Risiko für Opfer in der Paarbeziehung ist unglücklicherweise gerade die Trennung.

„Wenn der Traum vom gemeinsamen Leben zerbricht und die damit verbundenen Verbindlichkeiten: Selbst bei Paaren, die sehr wohlwollend auseinandergehen wollen, kippt es ja oft, wenn der Alltag sie einholt“, so Luzia Kleene. Der Satz „Dich mache ich fertig“ falle da sehr schnell. Und oft führt die Kränkung des narzisstisch veranlagten Mannes dann zur Gewalt.

Die Scham der Opfer ist übrigens in eher bürgerlichen Schichten besonders groß – gerade äußerlich selbstbewusste Frauen bräuchten lange, sich einzugestehen, dass auch sie Opfer von Gewalt in der Partnerschaft geworden sind. Wichtig zudem, so Luzia Kleene, wäre eine wichtige Veränderung der Strafprozessordnung: Man müsse verhindern, dass mögliche Zeugen durch die Verfahrensunterlagen auch dem mutmaßlichen Täter bekannt werden. Denn diese könnten dann selbst unter Druck geraten – und ebenfalls Opfer werden.

Im Rahmen der Woche des Opferschutzes gibt es in NRW mehrere Veranstaltungen: Am heutigen Dienstag, 29. September, geht es um „Kinder als Opfer“ (Oberlandesgericht Köln), am 30. September 2020 um 10 Uhr geht es im Rathaus Duisburg um die Vorstellung der Internetseite „Dialog Haus Opferhilfe Duisburg“ , am 2. Oktober 2020 geht es um 14.30 Uhr im Landgericht Essen um „Psychosoziale Prozessbegleitung“. Diese wird mittlerweile immerhin rund 250 mal im Jahr von Opfern häuslicher Gewalt in Anspruch genommen.