Almere. In den Niederlanden gilt Almere als eine der hässlichsten Städte. Zu Unrecht: Jenseits von Holland-Klischees hat die Architektur viel zu bieten.
Die grauen Wolken am Himmel senken die Stimmung, es regnet Bindfäden. Irgendwie kommt das Wetter wie gerufen für den Besuch in der angeblich hässlichsten Stadt der Niederlande . Autor Mark van Wonderen beschreibt Almere unter anderem als Ziel für „Liebhaber von vorsichtig verlotterten Stadtteilen“.
Und 2008 wählten Leser der niederländischen Zeitung „de Volkskrant“ Almere in der Region Flevoland zum hässlichsten Ort des Landes. Wir wollten wissen: Wie hässlich ist es tatsächlich? Und wie lebt es sich an einem solch unbeliebten Ort, der den gängigen Klischees von Radfahren, Käse und Tulpen scheinbar nicht entspricht?
Almere: Wie ist das Leben in der angeblich hässlichsten Stadt der Niederlande?
In unserem Niederlande-Check verbinden unsere Leser an erster Stelle Strand und Wasser mit den Niederlanden. Diese Erwartung wird nicht enttäuscht, von all dem gibt es in Almere jede Menge. Die Stadt ist an den Außenrändern umgeben vom Markermeer, vom Ijsselmeer und vom Gooimeer.
Und mitten in der Stadt gibt es das Weerwater, wo einst der Sand zum Bauen ausgehoben worden ist. Über 42 Kilometer erstreckt sich die Küste . Kein Wunder, denn hier war einst nichts als Wasser. Erst die Trockenlegung der Polder in Flevoland sorgte für eine Urbanisierung.
Almere ist eine der jüngsten Städte in den Niederlanden
Almere ist eine der jüngsten Stadt der Niederlande, erst 1976 zogen die ersten Menschen in ihren Häuschen ein. Und sie ist die am stärksten wachsende Stadt in den Niederlanden, sie zählt inzwischen zur achtgrößten Stadt. Das Motto lautet hier: Het kan in Almere – es ist möglich in Almere.
Die mehr als 213.000 Einwohner große Stadt ist das, was man eine Retortenstadt nennt. Sie ist einst am Reißbrett geplant worden, sie hat sich also nicht natürlich entwickelt. Wer niederländische Grachtenromantik und pittoreske Altstadthäuschen sucht, der wird von Almere enttäuscht sein. Wer sich hingegen nur einen Hauch für Architektur und für moderne Stadtentwicklung interessiert, der wird staunen.
In Almere tobten sich nationale und internationale Architekten aus
Vor allem das Zentrum, Almere-Stad, ist eine Spielwiese für Architekten. Farben, Formen und Licht spielen an etlichen Stellen miteinander. Hier tobten sich nationale und internationale Architekten wie Rem Koolhaas, der die niederländische Botschaft in Berlin entwarf, aus. Wohnen kann man in Gebäuden mit klangvollen Namen wie „The Wave“ (Die Welle) oder „De Smaragd“.
Das Besondere: Almere wächst nicht nur in die Breite, sondern auch auf horizontalen Ebenen. Das bedeutet nicht, dass sich Hochhäuser an Hochhäuser reihen. Brücken, Geschäfte oder andere Gebäude dienen als neue Fläche, auf der wiederum neue Gebäude entstehen. Ob das schön oder hässlich ist, liegt bei jedem selbst. Faszinierend ist es allemal.
Almere war einst die Schlafstadt für Amsterdamer
Doch dieser City geht das Flair gänzlich ab. Vielleicht liegt es an diesem Tag auch an dem widrigen Wetter oder der Corona-Pandemie, dass nur wenige Menschen in der Stadt unterwegs sind. Es gibt zwar viele Geschäfte, meist Ketten, doch gemütliche Cafés, Bänke, Plätze, die zum Verweilen einladen, sind in dieser Haupteinkaufsstraße kaum zu finden. Das Leben, es kam erst später nach Almere.
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Denn in seinen Anfängen war Almere nichts weiter als eine Schlafstadt. Es waren Amsterdamer, die das knapp 25 Kilometer entfernte Städtchen dazu nutzten, um günstig zu wohnen. Die Arbeit und das Leben aber spielte sich weiterhin in der Hauptstadt ab. Vielleicht ist es dieses Bild, das viele Niederländer noch im Kopf haben, wenn sie an Almere denken.
Doch es zogen immer mehr her, „auf einmal waren wir eine Stadt“, sagt Paul Meekel vom Tourismusbüro VVV Almere. Die erste in Almere selbst geborene Generation, die heute um die 20 Jahre alt ist, sei stolz, Almerer zu sein, berichtet er, der inzwischen hier, in der Regenbogensiedlung, lebt. „Ich bin selbst Amsterdamer“, sagt er, „aber ich würde nicht mehr zurückwollen.“
Almere wächst und entwickelt sich in rasantem Tempo
Warum nicht, wird schnell klar. Noch, so Paul Meekel, gibt es nur ein einziges Museum. Wer weiß schon, wie es in ein paar Jahren sein wird? Eine alte Stadt könne sich längst nicht so schnell entwickeln wie eine junge, meint er. „Wir haben Ambitionen, es gut und groß zu machen.“
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Ja, noch immer sei es vergleichsweise günstig, in Almere zu wohnen. Aber da ist noch mehr. Alle fünf Jahren so berichtet er, kaufen sich Menschen neue Stadtpläne, weil sich die Stadt – und damit die Infrastruktur - so rasant entwickelt. Es gibt kilometerlange Radwege, Wassersportangebote, Wandermöglichkeiten, kleine und große Parks mit Skaterrampen und Basketballfeldern für Jugendliche.
Almere kämpft mit Vorurteilen aus dem Rest des Landes
Und es gibt Wohngebiete auf dem Wasser, in den Dünen und abseits als Art Kommune auf der Wiese. Es gibt Häuser, die nur wenig Energie verbrauchen oder minimalen Platz verbrauchen („Tiny House“). Es gibt den Nationalpark Oostvaardersplassen, wo Besucher Hirsche, Vögel oder Biber beobachten können. Und es gibt getrennte Wege für Radfahrer, Fußgänger, Autofahrer und Busse.
Aber ärgern ihn all die Vorurteile, mit denen die Stadt kämpft, nicht? „Nein“, sagt er und lächelt. Viele wüssten nicht, wovon sie reden. Natürlich gibt es in Almere Orte, die ihm nicht gefallen, Häuser, die einen neuen Anstrich gebrauchen könnten, Vorgärten, die besser gepflegt werden könnten. Aber: Gibt es das nicht überall? Die Menschen, so Paul Meekel, sollen bitteschön selbst herkommen und sich ein Bild machen.