An Rhein und Ruhr. Kleingärten erleben einen enormen Zulauf – nicht nur wegen der Corona-Krise. Aber: Die Wartezeit ist lang, wie Ayub Kakoni aus Essen erfuhr.
Vor diesem Sonntag im April hatte Ayub Kakoni, 84, nicht gut in den Schlaf gefunden. Immer wieder hatten Zweifel an ihm genagt. Bekannte hatten ihn aufgezogen, ihm gesagt, es werde sowieso nicht klappen. Dann war es endlich so weit, und sein Sohn Salem unterschrieb den Vertrag. Seitdem ist der alte Mann jeden Tag frühmorgens zu seinem Schrebergarten in der Kleingartenanlage Döppelhahn im Essener Stadtteil Steele gelaufen und hat dort bis abends gearbeitet. Man darf sich Ayub Kakoni nun als glücklichen Menschen vorstellen.
Kleingartenanlage Döppelhahn in Essen erlebt eine Verjüngung
Kleingartenanlagen erleben zurzeit einen enormen Zulauf. „Der Bedarf steigt von Jahr zu Jahr, und in der Corona-Zeit verzeichnen wir eine noch höhere Anfrage“, erzählt Friedhelm Dold, stellvertretender Vorsitzender der Gartenfreunde Rheinland, einem Verband mit 50.000 Mitgliedern.
Es sind laut Dold vor allem junge Familien, die sich um ein Stückchen Natur im städtischen Beton-Dschungel bewerben. „Wir erleben gerade eine deutliche Verjüngung.“ Die Erfahrung hat auch Oliver Röder gemacht, der Vereinsvorsitzende in der Kleingartenanlage Döppelhahn, gegründet 1938, in der Ayub Kakoni und seine Familie nun eine Parzelle bewirtschaften. „Das sind junge Familien aus allen Kulturkreisen.“ Es scheint, als könnten die als spießig verschrienen Schrebergärten der Integration größere Dienste leisten als manches staatlich installierte Programm.
„Es gibt hier keinen Unterschied zwischen Deutschen und Ausländern“, erzählt Ayub Kakoni. In direkter Nachbarschaft wirtschaften Menschen aus Deutschland, aus Aserbaidschan, aus Rumänien und dem Iran. „Es gibt wohl keine Nationalität, die in unseren Reihen nicht vertreten ist“, sagt Friedhelm Dold von den Gartenfreunden Rheinland. „Das ist eine sehr bunte Mischung, die in der Regel sehr gut funktioniert.“ Wer sich an die Regeln hält, ist willkommen.
Vom Krankenpfleger im Irak zum Gärtner in Essen
Kakoni war früher Krankenpfleger im irakischen Teil Kurdistans. Schon damals, sagt er, hatte er hinter seinem Haus einen kleinen Garten. „Das war mein Hobby.“ Vor drei Jahren, da war er erst kurze Zeit in Deutschland, spazierte er mit seinem Sohn durch die Anlage. „Ich habe ihm gesagt, dass ich das hier sehr schön finde und dass ich hoffe, auch so einen Garten zu bekommen.“ Sie bewarben sich spontan. In seiner Wohnung war es langweilig, Ayub Kakoni saß häufig am Fenster und zählte die Autos, die an dem Mehrfamilienhaus vorbeifuhren. Und er wartete drei Jahre. Das ist die übliche Wartezeit. Dutzende Menschen stehen beim Kleingartenverein Döppelhahn auf der Warteliste, so ist es auch in den anderen Schrebergärten.
In NRW gibt es laut Umweltministerium 1600 Kleingartenanlagen mit 120.000 Kleingärten. Die Gesamtfläche liegt bei 55 Quadratkilometern. Die Mitgliederzahlen in den Kleingartenverbänden nehmen seit Jahren leicht zu. Das Ministerium spricht von einem „gewaltigen ökologischen, gesellschaftlichen und sozialen Potenzial“.
Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) schwärmt gegenüber der NRZ: Kleingärten seien „grüne Oasen“. Sie böten Erholung und seien Horte der Biodiversität. „Den enormen ökologischen und sozialen Mehrwert von Kleingärten in unseren Städten und Gemeinden gilt es zu erhalten und für die Zukunft weiterzuentwickeln“, so die Ministerin. Gut eine halbe Million Euro stellt das Land dafür jährlich zur Verfügung.
Spielgeräte für die Enkel
Ayub Kakoni hat mit seinem Sohn Salem in den vergangenen Wochen eifrig gearbeitet. „Wir haben Gurken angebaut, und Zucchini, Tomaten, Kohlrabi, Radieschen und Erdbeeren.“ Eine Laube, in der sie zusammen auf Matratzen sitzen und Tee trinken, ein kleiner Grillplatz, Spielgeräte, auf denen die Enkel toben, Obstbäume und ein Rasen. 400 Quadratmeter Idylle.
Der alte Mann hat grauenhafte Dinge erlebt, damals, in den achtziger Jahren, als Saddam Hussein kurdische Dörfer vernichtete und Hunderttausende Kurden ermordete. 13 seiner Kollegen in dem kleinen Krankenhaus in seinem Heimatort Shaqlawa starben, er überlebte. In seinem Schrebergarten hat er jetzt ein bisschen Frieden gefunden. „Ich bin sehr zufrieden“, sagt Ayub Kakoni und lächelt.