An Rhein und Ruhr. Polizei hat personell und technisch im Kampf gegen Kindesmissbrauchs aufgerüstet. Riesige Datenmengen und psychische Belastung für die Beamten.
Es sind ungeheure Datenmengen, durch die sich die Ermittler im Missbrauchskomplex Münster wühlen müssen. 500 Terabyte, mindestens. Das entspricht der Menge von 250.000 zweistündigen Spielfilmen in HD-Qualität. Im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach haben die Ermittler bislang 85 Terabyte Daten sichergestellt. Die Polizei setzt wegen dieser Datenfluten zunehmend auf die Automatisierung von Auswertungsprozessen. Aber auch, weil die Ermittler geschützt werden sollen.
Nachdem Ende 2018 der jahrzehntelange Missbrauch von Kindern auf einem Campingplatz in Lügde bekannt wurde, ist die Polizei in NRW technisch und personell für den Kampf gegen Kinderpornografie aufgerüstet worden. Nach einem im April veröffentlichten Bericht einer eigens eingerichteten Stabsstelle mussten sich noch Ende März 2019 in den Kreispolizeibehörden nur etwas mehr als 100 Beamte um insgesamt 1895 Verfahren kümmern.
Nicht durchgesetzte Durchsuchungsbeschlüsse
Ein Personalengpass mit dramatischen Folgen. Vollstreckbare Durchsuchungsbeschlüsse konnten nicht umgesetzt werden, in 88 Prozent der Verfahren war nicht klar, ob noch aktuell ein Missbrauch von Kindern stattfindet, also ein sofortiges Handeln zwingend erforderlich gewesen wäre. Ende März dieses Jahres war die Personalbesetzung auf 268 Stelleneinheiten aufgewachsen. Zugleich stieg die Zahl der Ermittlungsverfahren auf 3709.
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„Die personelle Situation ist deutlich besser geworden“, sagt Michael Maatz, der stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Besser, so Maatz, müsse der automatisierte Auswertungsprozess werden. Dabei wird der Großteil der Auswertung durch eine spezielle KI-Software erledigt, die beispielsweise in der Lage ist, Gesichter zu identifizieren. Die Ermittler müssen sich nicht mehr jedes Schundbild, nicht jeden Film anschauen.
Psychische Belastung für Ermittler
Wie hart die Auswertung für die Psyche der Ermittler ist, zeigt der Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach. Drei der Beamten in der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) in Köln sind längerfristig krankgeschrieben worden, andere hätten offenbart, „dass sie die Mitarbeit nicht mehr ertragen“, berichtete jüngst der Kölner Polizeipräsident Uwe Jacob.
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Die Polizei versucht, vor die Entwicklung zu kommen, die im Bericht der Stabstelle so beschrieben wird: „Die dynamischen und komplexen Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie“ führten zu „exponenziell steigenden Datenmengen im Deliktsbereich“.
In Echokammern verstärkt sich die Neigung
Im Prozess gegen einen der Täter im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach vor der auswärtigen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers wurde zudem ein weiteres Phänomen sichtbar: In den Echokammern des Internets legitimieren Kinderschänder ihre Taten und stacheln sich gegenseitig an.
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Dr. Jack Kreutz, Gutachter und bis Anfang dieses Jahres Chefarzt der Forensik in Bedburg-Hau, betont im Gespräch mit der NRZ zwar, dass es schon lange vor dem Internet pädokriminelle Netzwerke gegeben habe. „Im Internet können sich aber leichter Menschen mit den gleichen Neigungen finden und sich gegenseitig verstärken“, warnt Kreutz.
Bis zu vier Prozent der Männer haben pädophile Fantasien
Zwischen einem und vier Prozent der Männer hätten pädophile Fantasien, nur ein geringer Teil setze diese aber in die Tat um. Kreutz wirbt für eine deutliche Ausweitung präventiver Angebote. Es gibt mit „Kein Täter werden“ zwar bereits ein bundesweites Hilfsangebot für Menschen mit pädophilen Neigungen, seit 2014 auch in der Uni-Klinik in Düsseldorf.
Allerdings müssten Betroffene dazu in die Landeshauptstadt fahren, die Wartezeiten seien lang. „Das muss breiter gestreut werden, auch in die Fläche hinein“, fordert Kreutz. Der Psychiater fordert zudem eine „Entdämonisierung“ der Pädophilie, um es Menschen mit solchen Neigungen zu erleichtern, sich Hilfe zu suchen.
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Zwischen 2015 und 2019 stieg die Zahl der angezeigten Kindesmissbrauchsfälle in NRW von 2247 auf 2805. Ein Anstieg von 25 Prozent.