An Rhein und Ruhr. Die Kreisverwaltung in Kleve weigert sich, Unterkünfte von Leiharbeitern flächendeckend zu kontrollieren. Jetzt reagiert das Laumann-Ministerium.
Manchmal lässt sich auch aus den Schreiben von Ministerien eine geschwollene Zornesader herauslesen. Ein solcher Brief ist jetzt dem Landrat des Kreises Kleve auf den Tisch geflattert. Absender: Das NRW-Gesundheitsministerium. Inhalt: Die unmissverständliche Aufforderung, einem Erlass des Ministeriums Folge zu leisten, mit dem die Gesundheitsbehörden bereits am 13. Mai angewiesen wurden, die Unterkünfte von Leiharbeitern zu kontrollieren, die in den Niederlanden arbeiten, aber in grenznahen deutschen Kommunen in Sammelunterkünften wohnen.
Rückblick: Ende April, Anfang Mai werden in Schlachthöfen in Nordrhein-Westfalen zahlreiche Beschäftigte positiv auf das Corona-Virus getestet. Der Großteil dieser Menschen sind osteuropäische Werkvertragsarbeiter, die in Sammelunterkünften leben. Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), dem die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen schon länger ein Dorn im Auge sind, ordnet die flächendeckende Testung von Schlachthof-Beschäftigten und die Kontrolle der Unterkünfte an. Das ruft auch die Bürgermeister von grenznahen Kommunen auf den Plan.
Reaktion auf Brandbrief von Bürgermeistern
Dort bringen seit einigen Jahren niederländische Zeitarbeitsfirmen osteuropäische Leiharbeiter unter, die jenseits der Grenze arbeiten, viele von ihnen auch in Schlachthöfen. Die prekäre Unterbringung der Menschen ist am Niederrhein schon lange ein Thema, jetzt befürchten die Bürgermeister, dass sie zu einem Infektionsrisiko werden könnte. Vier von ihnen schreiben einen Brandbrief an Laumann, er reagiert und weist die Gesundheitsbehörden an, die Unterkünfte der Leiharbeiter zu kontrollieren und die dort wohnenden Personen auf das Corona-Virus zu testen.
Dann beginnt eine Behörden-Posse. Wolfgang Spreen, der Landrat des Kreises Kleve weigert sich, den ministeriellen Erlass zügig umzusetzen. Denn, so seine Argumentation, der Erlass beziehe sich ausdrücklich auf Personen, die in der niederländischen Fleischindustrie tätig seien. Allerdings sei selten klar, ob in den Unterkünften tatsächlich Menschen lebten, die in Schlachthöfen arbeiteten. „Die bloße Möglichkeit, dass in einer Unterkunft auch eine Person leben könnte, die in einem niederländischen Schlachtbetrieb tätig sein könnte, reicht für ein Tätigwerden der Unteren Gesundheitsbehörde nicht aus“, heißt es in einem Schreiben.
Zusammenarbeit mit den niederländischen Zeitarbeitsfirmen alles andere als optimal
Zwar versuchen Kommunen die entsprechenden Daten zu liefern, das gestaltet sich aber schwierig, weil die Zusammenarbeit mit den niederländischen Zeitarbeitsfirmen alles andere als optimal läuft. Nach der Masseninfektion in einem Schlachthof im niederländischen Groenlo werden 147 der 600 Beschäftigten positiv getestet. 25 Beschäftigte sind nach Angaben der niederländischen Zeitung „Tubantia“ erst gar nicht zum Test erschienen, wo sie abgeblieben sind, ist fraglich.
Mindestens 79 der Infizierten leben in Deutschland. Wo genau, weiß aber bis Montagabend niemand, weil die Zeitarbeitsfirma, die die Menschen beschäftigt, nur rudimentäre Daten liefert. „Ich weiß seit Freitag nicht, ob ich solche Leute hier habe“, klagt der Emmericher Bürgermeister Peter Hinze.
Zustände in manchen Unterkünften eine „Katastrophe“
Über Kontrollen von Unterkünften, die teilweise aufgrund der gelieferten Daten erfolgen, gibt es zudem unterschiedliche Bewertungen. Während der Kreis Kleve bei Kontrollen in einer Stadt kaum Beanstandungen hat, bezeichnet der zuständige städtische Ordnungsamtsleiter dort die Zustände in manchen Unterkünften als „Katastrophe“.
Vergangenen Mittwoch konkretisierte das Landesgesundheitsministerium seinen Erlass. Es sei grundsätzlich unerheblich, ob die Bewohner einer Sammelunterkunft in der Fleischindustrie arbeiteten. Entscheidend sei, ob von einem „besondere seuchenhygienischen Gefahrenpotenzial auszugehen sei“. Diese Rechtsauffassung habe man dem Kreis Kleve auch über die Bezirksregierung Düsseldorf mitgeteilt.
Eine solche Mitteilung sei dem Kreis Kleve nicht bekannt, heißt es am Freitag aus der Pressestelle dort. Und, fast ein wenig patzig: Sollte das Ministerium „seine Prioritäten ändern wollen, müsste dies ebenfalls durch einen Erlass erfolgen“.
Ministerium erwartet Bericht des Kreises
Irgendwem im Gesundheitsministerium ist nun offenkundig der Kragen geplatzt. Laut einem Sprecher ist nun ein Schreiben an Spreen ergangen, in dem das Ministerium erneut darauf hinweist, dass es erwarte, dass „im Zuge der bereits am 13. Mai erteilten aufsichtlichen Weisung“ weiterhin „unmittelbar und unverzüglich alle erforderlichen Maßnahmen“ ergriffen und „mit Nachdruck“ verfolgt werden, „um den gesetzlichen Anforderungen der Verhütung und Bekämpfung der Ausbreitung“ von Corona-Infektionen zu genügen. Das Ministerium erwarte zudem bis Dienstagabend über die Bezirksregierung Düsseldorf einen Bericht des Kreises über die bis dahin durchgeführten Maßnahmen.
Deutlicher kann eine Behörde eine andere nicht in den Senkel stellen.
Emmerichs Bürgermeister Peter Hinze, in dessen Kommune nach seiner Einschätzung rund 1000 rumänische Leiharbeiter und ihre Angehörigen leben, empfindet es als „schade, dass wir so viel Zeit verloren haben“. So hätten die Kreisverwaltungen Borken und Wesel den Erlass in Zusammenarbeit mit den dortigen Kommunen zügig umgesetzt. Er habe die Hoffnung, dass die Kontrollen nun durchgeführt werden. „Wir bieten die Unterstützung unseres Ordnungsamts und unserer Bauaufsicht an.“