An Rhein und Ruhr. Eine Dinslakenerin erzählt, wie isoliert ihre 93-jährige Mutter im Heim lebt. Sozialverbände fordern Lockerungen des Besuchsverbots wegen Corona.
Wenn Heidi Brinkmann aus Dinslaken ihre 93-jährige Mutter im Pflegeheim besucht, dann kann sie an der Pforte nur ein Paket mit Lesestoff und Schokolade abgeben. Ein Gespräch oder nur ein kurzer Blick sind nicht erlaubt. „Das empfinde ich als unwürdig und ethisch nicht länger haltbar“, sagt sie zur NRZ. Dass besonders die Alten vor Corona geschützt gehören, sieht sie ein. „Doch das darf nicht dazu führen, dass die Menschen in den Pflegeheimen eingesperrt sind. Meine Mutter lebt auf 20 Quadratmetern und war seit nun sieben Wochen nicht mehr an der frischen Luft.“
Zwar sei das Heim an sich in Ordnung und die Bewohner werden täglich versorgt. „Aber Maniküre, Fußpflege, Massage, Friseur, all das gibt es nicht. Immerhin hat sie ein Telefon, sodass wir zumindest auf Distanz sprechen können“, so die Leserin, die mit ihrer Situation kein Einzelfall ist.
„Hauptsache der persönliche Kontakt und die Nähe sind wieder da.“
Sie findet, dass ein Besuch der Heimbewohner wieder möglich sein muss: „Natürlich unter großem Schutz, nur die engsten Verwandten, in einem desinfizierten Raum oder mit Maske. Hauptsache, dass der persönliche Kontakt und die Nähe wieder da sind.“
Zwar könnte sie ihre Mutter auf einer Terrasse des Heims in fünf bis sieben Metern Entfernung besuchen, aber weil sie schwerhörig ist, funktioniert ein Gespräch so nicht.
Seit Anfang März das Heim nicht mehr von außen gesehen
„Unsere Gesellschaft diskutiert munter über Bundesligaspiele, aber kaum über die Menschen in Seniorenheimen. Sie haben wohl keine Lobby…“, ist Heidi Brinkmann enttäuscht und sagt, dass ihre Mutter seit Anfang März das Heim nicht mehr von außen gesehen hat. „Die grün gewordenen Bäume kann sie nur aus dem Fenster beobachten, keinen Sonnenstrahl genießen. Und auch das Grab meines Vaters, dessen regelmäßiger Besuch ihr ein Bedürfnis ist, kann sie nun nicht sehen.“ Auch alte Menschen haben Grundrechte, es muss dringend Lockerungen geben, sagt die Dinslakenerin. Denn die größte Krankheit sei die Einsamkeit.
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Heidi Brinkmann dürfte vielen Angehörigen von Menschen, die in Alten- und Pflegeheimen oder einer Behindertenwohngruppe leben, aus der Seele sprechen. Der Ruf nach Lockerungen des Besuchs- und Kontaktverbots in Heimen wird lauter. Am Wochenende hatte der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, ein Ende restriktiver Kontaktsperren für Bewohner in Pflegeheimen gefordert. „Wir müssen uns darauf einstellen, über einen längeren Zeitraum mit dem Coronavirus umzugehen“, so Westerfellhaus. „Pauschale Besuchsverbote können keine Lösung sein.“
Risiken sorgfältig abwägen
Bewohner von Pflegeeinrichtungen benötigten zwar besonderen Schutz, dürften aber nicht völlig isoliert werden. Die Bundesländer müssten Spielräume geben. Und auch die Sozialverbände und Interessenvertretungen laufen mittlerweile Sturm gegen diese strikte Regelung. In NRW werden rund 170.000 pflegebedürftige Menschen in mehr als 2.800 Pflegeeinrichtungen in der Dauer- oder Kurzzeitpflege stationär versorgt.
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Der Sozialverband VdK weiß, dass es in den Zeiten der Pandemie sehr schwer ist, „eine Balance zwischen Infektionsschutz und notwendigen familiären Kontakten zu finden“, sagt Hörst Vöge, Vorsitzender des VdK in NRW. Der Schutz der pflegebedürftigen Menschen, ihrer Angehörigen und vor allem auch des Pflegepersonals müsse dabei an erster Stelle stehen.
Man muss die Risiken sorgfältig abwägen
„Es ist natürlich schwierig und traurig, wenn man seine Lieben nicht sehen kann. Aber man muss alle Risiken sorgfältig abwägen“, sagt Vöge. Er plädiert für kreative individuelle Lösungen der Pflegeheime. „Es gibt bereits einfallsreiche Ansätze - wie Besuchsboxen im Freien, Nutzung von Videotelefonie zum digitalen Besuch oder Sprechstunden in speziell dafür eingerichteten Räumen in den Pflegeheimen“, sagt er.
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Entschieden werden müsse letztlich vor Ort. Denn Voraussetzungen und Ausstattungen der Heime seien regional sehr unterschiedlich. Auf keinen Fall dürften Besuche an fehlender Schutzausrüstung der Pflegeeinrichtungen scheitern, „wie es leider vielerorts geschehe“, betont Vöge.
Am Mittwoch spricht der Minister
NRW-Gesundheitsminister Laumann will sich am Mittwoch zu möglichen Lockerungen in Alten- und Pflegeheimen äußern.
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Der VdK unterstützt das Vorhaben des Ministeriums, mit Hilfe von wissenschaftlichen Handlungs- und Hygienekonzepten Lockerungen für Besuche in Heimen möglich zu machen. „Zudem sind regelmäßige Tests des Pflegepersonals auf das Corona-Virus dringend notwendig“, appelliert Horst Vöge.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, schlägt vor, Besucher in Pflegeeinrichtungen sollten Schutzkleidung tragen. „Sinnvoll wäre auch eine Schleuse, in der sich Gäste desinfizieren und Schutzkleidung anlegen müssen“, so der Ärztepräsident. „Erst danach sollten sie die Räume der Bewohner betreten.“ Zusätzliche Hygienemaßnahmen für Besucher seien aber vom Pflegepersonal nicht zu leisten. „Das wäre etwas für Freiwilligendienste“, regte Reinhardt an. Die Kosten solle die öffentliche Hand tragen.