An Rhein und Ruhr. NRZ-Kolumnist Matthias Maruhn schreibt von der Bank aus über seine Erlebnisse in diesen Zeiten. Dieses Mal über einen CD-Kauf und einen Marathon.

Ich bin als junger Mann gelegentlich Marathon gelaufen. Das war ein Knochenjob, ich habe schon relativ kurz nach der Geburt um die zwei Zentner gewogen. Es gibt bei dieser Marter zwei Momente, die dem steten Schmerz den Stachel ziehen. Natürlich ist da der vom Jubel gerankte Zieleinlauf, in unserem Fall noch leiseste Zukunftsmusik. Aber dann gibt es da auch diesen magischen Punkt nach genau 21 Kilometern, 97 Metern und 50 Zentimetern. Die Wende, Bergfest, Quelle neuer Kraft und frischen Muts, Rückenwind, und die Hoffnung setzt alle Segel. Läufer lieben dieses kurze Glück. Und vielleicht wartet dieser Wendepunkt bei unserem Corona-Lauf 2020 schon hinter der nächsten Biegung. Jetzt nur nicht nachlassen…

Was sonst noch geschah in dieser Woche? Ich habe mein Testament gemacht. Und die Patientenverfügung gleich mit. Zunächst wegen der vielen Zeit, die endlich mal in meinem Leben überall herumliegt. Aber auch wegen Corona. In den Intensivstationen erspart das Umstände und Umwege, wenn Patienten mit solcher Verfügung klingeln. Egal was im Detail darin steht, die Ärzte wissen sofort, wohin die Reise gehen soll. Angeblich hat nur jeder Zweite von uns Übersechzigjährigen solch eine Verfügung.

"Ich lebe in Handelsfragen tatsächlich im hinteren Neandertal"

Am Montag bin ich pünktlich um 10 Uhr morgens im Einkaufszentrum -- und einsam. Nix los. Ich wollte eine CD kaufen, die neue von James Taylor. Geburtstagsgeschenk für meinen Bruder, der liebt James Taylor. Ich auch. Wer nicht? Aber die Geschäfte mit CD-Abteilung sind alle wegen Größe geschlossen, 800 plus. Keine Chance. Ich telefoniere mit meiner Tochter, sie nennt die Lösung. „Bestell doch einfach bei Amazon.“ Wie geht das, kannst Du nicht..? „Boh, Papa.“ Ach du Jemine. Ich lebe in Handelsfragen tatsächlich im hinteren Neandertal. Ich habe noch nie Irgendetwas im Internet bestellt. Ich bin im besten Sinne ein Laden-Hüter.

Es ist die Zeit der Bescheidenheit. Ich habe alles. Mir fehlt nichts. Oder? Ich trinke ein Tässchen Kaffee und schicke einen Gedanken auf Reisen: Könnte ich nicht vielleicht nochmal 63 Jahre leben, ohne mir etwas kaufen zu müssen, alles auftragen, alles aufbrauchen. Warum nicht? Ich schwelge im Guten, nehme einen Schluck vom kleinen Schwarzen und mit dem Koffein kommen Zweifel, die reden können: „Ausgerechnet Du. Und wenn in der Espressomaschine die Brühgruppe am Prött erstickt, dann kaufst du dir keine neue? Das will ich sehen. Nur ein Beispiel.“ Ich glaube, den Gedanken muss ich mir nochmals neu machen.

Ein besonderer Traum

Dann war da noch ein Traum gestern: Ich sitze vor dem Haus, mein Haar ist kürzer, mein Bart länger. Zwei Urenkel feiern mit mir meinen etwa 90. Geburtstag. Gernot fragt ganz aufgeregt: „Urgroßväterchen? Sollen Gotthilf und ich dir mal zeigen, wie sich junge Leute heute begrüßen?“ Sicher, Kinder. Sogleich stellen sie sich mit ernsten Gesichtern voreinander auf, geben sich jeweils die rechte Hand und schütteln sie dramatisch, sehen mich dabei erwartungsvoll an. Ich bin auch im Traum kein Spielverderber: Echt witzig, Jungs. So was Verrücktes habe ich ja noch nie gesehen…

Zuletzt die derzeit angesagte Verabschiedung: Bitte bleiben Sie positiv gestimmt und negativ getestet.