An Rhein und Ruhr. Unterschriftensammlungen pausieren, doch die Fristen laufen weiter. Der Verein „Mehr Demokratie“ kritisiert das und fordert pragmatische Lösung.
In Bürgerbegehren steckt oftmals viel Engagement, Herzblut und manchmal auch Geld von Initiatoren, die ihre Ziele durchsetzen möchten. Doch durch die Corona-Pandemie sind laufende Bürgerbegehren derzeit in ihrer Durchführung gefährdet, weil derzeit wegen Kontaktsperren und Abstandsregeln keine Unterschriftensammlungen möglich sind. Doch die Fristen für die Bürgerbegehren laufen weiter. Initiativen in Minden und Nettetal droht daher das vorzeitige Ende.
Noch vor Ostern hat sich der Verein „Mehr Demokratie“, der sich für eine stärkere Bürgerbeteiligung einsetzt, mit einem Brief an NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach gewandt und Lösungen gefordert. „In einem ersten Schritt würde es Initiativen enorm helfen, wenn die Fristen für Bürgerbegehren vorläufig ausgesetzt werden“, meint Alexander Trennheuser, Landesgeschäftsführer von Mehr Demokratie.
Die Unterschriftensammlung hat praktisch gar nicht begonnen
In Nettetal wendet sich das Bürgerbegehren gegen den Ratsbeschluss, die Werner-Jaeger-Halle, ein Theater, zu sanieren. Die Initiatoren hat die Corona-Krise ungünstig erwischt: Seit Mitte März dürfen die Organisatoren Unterschriften sammeln, just zu dem Zeitpunkt griffen die Maßnahmen zur Abflachung der Infektionswelle, es schlossen Schulen und Kindergärten, Geschäfte, Restaurants. Will heißen: Die Unterschriftensammlung hat praktisch gar nicht begonnen, doch die Frist endet Ende April.
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Normalerweise werden Unterschriften auf Wochenmärkten, in Einkaufszentren oder in der Fußgängerzone gesammelt, es werden Argumente ausgetauscht, es wird das Anliegen erklärt und diskutiert. Das alles kann nun nicht stattfinden. Laut „Mehr Demokratie“ habe der Nettetaler Bürgermeister Christian Wagner angekündigt, nach einem Weg für ein angemessenes Verfahren zu suchen. Mit dem Kommunalministerium stehe man deshalb bereits in Kontakt. Sieben Prozent der Einwohner Nettetals, also rund 2400, müssten für das Bürgerbegehren unterschreiben, damit es gültig ist.
In Oberhausen hat Initiator Klaus Otto mit der Unterschriftensammlung erst gar nicht begonnen. Rund 6000 Unterschriften wären nötig, um einen Bürgerentscheid einzuleiten. Er plant eine Unterschriftensammlung in zeitlicher Näher zur Kommunalwahl, um mehr politische Aufmerksamkeit zu erhalten. Für sein Anliegen gegen die Ausweitung der gebührenpflichtigen Parkplätze in Oberhausen habe er eine Petition und eine Beschwerde an den Landtag geschrieben. Eine Entscheidung darüber sei aufgrund der Corona-Pandemie allerdings verschoben worden, sagt er zur NRZ.
Ein Bürgerbegehren in Minden richtet sich gegen den Bau von versenkbaren Pollern in der Innenstadt. Mitte März setzten die Organisatoren die Unterschriftensammlung wegen der Corona-Pandemie ebenfalls aus.
Ein Novum: Radentscheid sammelt virtuelle Unterschriften
Einen kreativen Weg hat indes der laufende Radentscheid in Marl gefunden, der sich für die Verbesserung des Radverkehrs in der Stadt einsetzt. Vor eineinhalb Wochen ist die Unterschriftensammlung gestartet und wird im Internet, per WhatsApp, Facebook und anderen sozialen Netzwerken beworben, erklärt und weiterverbreitet. Ein Erklärvideo zeigt, was man beim Ausfüllen der Unterschriftenlisten beachten muss.
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Sind die Listen unterschrieben, werden sie per Post an die zuständigen Initiatoren geschickt oder in Briefkästen, die auf der Internetseite aufgelistet sind, geworfen. Doch auch dieser Weg ist steinig: Einige Bürger klagen darüber, dass sie keinen Drucker oder keinen Computer haben. "Ein Bürgerbegehren lebt von dem Kontakt mit Menschen. Der fehlt sehr", sagt Initiator und Journalist Ludger Vortmann der NRZ.
Verein "Mehr Demokratie" fordert Abschaffung der Fristen
Laut Achim Wölfel, Sprecher von Mehr Demokratie in NRW, ist diese virtuelle Unterschriftensammlung ein absolutes Novum. „Wir finden das toll“, sagt er über den kreativen Ansatz. Allerdings, so weiß er, seien bislang alle Radentscheide gut organisiert gewesen. Die Fahrradgemeinschaft sei einfallsreich und gut vernetzt, so sein Eindruck. Doch die Marler haben einen Vorteil: Sie sind nicht an einer Frist gebunden, weil es sich um ein sogenanntes initiierendes Bürgerbegehren handelt. Dennoch haben sich die Engagierten einen Zeitplan gesetzt: In der letzten Ratssitzung vor der Sommerpause soll der Stadtrat den Bürgerentscheid behandeln, am Tag der Kommunalwahl sollen die Bürger abstimmen.
Bei den Begehren in Oberhausen, Minden oder Nettetal handelt es sich hingegen um kassatorische Bürgerbegehren, sie wenden sich also gegen einen Ratsbeschluss und wollen diesen sozusagen wieder kassieren. Hier gilt in der Regel eine Sechs-Wochen-Frist. Der Verein „Mehr Demokratie“ fordert die Abschaffung von solchen Fristen, in Bayern und Schleswig-Holstein gebe es eine solche Frist nicht.