Duisburg. Viele Kilometer Bahnstrecken sind vor Jahrzehnten stillgelegt worden: Grund: „Unrentabel!“ Nun besinnt man sich im VRR. Nicht nur in Duisburg.
Seit 1980, dem Gründungsjahr des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr, sind im VRR-Gebiet zehn Bahnstrecken stillgelegt worden. Sie galten als unrentabel. Doch die Debatte um die Verkehrswende stellt die Signale neu. Es kommt einiges in Fahrt!
„ Immer mehr Menschen pendeln aus dem Umland in die Großstädte“, sagt der VRR. Aber die Straßen sind überfüllt und müssen, wie auch viele der Brücken, mit Millionenaufwand saniert werden. Für den VRR ist des deshalb „zwingend, den Öffentlichen Verkehr zu stärken, vor allem auf der Schiene, um die Mobilität in der Region zu sichern“.
Hoffnung auf die „Walsum-Bahn“
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Die Städte Oberhausen, Duisburg und der Kreis Wesel haben jetzt mit dem VRR und NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst einen Vertrag geschlossen, der helfen soll die „Walsum-Bahn“ wiederaufleben zu lassen. Vorerst zwischen Voerde, Walsum, Hamborn und Oberhausen - aber in der Perspektive über Duisburg Hauptbahnhof bis nach Düsseldorf und am besten als S-Bahn.
1983 fuhr auf der Walsum-Bahn der letzte Personenzug im Linienverkehr - es waren Schienenbusse, zuletzt sogar Akku-betrieben. Eine Machbarkeitsstudie - Kosten: 200.000 Euro - soll jetzt zeigen, ob sich eine solche Strecke wieder lohnt und der Millionenaufwand für eine Reaktivierung wirklich rechnet.
VRR hat Schwächen im Schienen-Streckennetz
„Menschen zum Umstieg vom Auto auf Bus oder Bahn zu bewegen, gelingt am ehesten mit einer schnellen Schienenverbindung“, sagt Lothar Ebbers, Sprecher des Fahrgastverbandes ProBahn NRW. Doch der Platz auf den 2700 Kilometern Streckennetz im VRR „ist weitestgehend ausgereizt“, weiß man auch beim VRR: „Viel mehr an Zug-Angebot geht nicht mehr“, sagt ein Sprecher.
Und es gibt Schwächen im Streckennetz. Zwischen Duisburg und Dortmund durchziehen zwei Hauptstrecken-Stränge in Ost-West-Richtung das Revier; für den Ballungsraum zwischen Düsseldorf, Duisburg und Oberhausen gibt es aber nur eine zentrale Bahnverbindung als Nord-Süd-Verbindung.
Über 750 Kilometer Bahnstrecke sind in NRW seit 1990 verloren gegangen
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Über 750 Kilometer Bahnstrecken sind seit den 1990er Jahren laut Zahlen des Bundesverkehrsministeriums alleine in NRW verloren gegangen. „Im Personenverkehr wurden jede Menge Sackgassen und Strecken-Stummel geschaffen“, sagt Rolf Swoboda von der Deutschen Gesellschaft für Eisenbahngeschichte (DGEG) in Witten. Die Wirkung auf das Schienen-Netz „war gravierend“. Selbst wenn nur vergleichsweise wenige Streckenkilometer verschwanden.
So fehlten etwa auf der Verbindung Köln-Lüdenscheid nur 20 Kilometer für einen durchgehenden Linienbetrieb, sagt Swoboda. 1986 eingestellt, wurde die „Volmetalbahn“ (jetzt: Oberbergische Bahn) zum vergangenen Fahrplanwechsel Mitte Dezember 2019 reaktiviert und das fehlende Gleisstück mit insgesamt über 12 Millionen Euro Investition endlich ergänzt. „Vorher musste man auf der Verbindung per Bahn gut 100 Kilometer Umweg fahren und umsteigen“, sagt Swoboda.
Mehrere Kommunen im VRR wünschen sich Bahn-Anschluss
„Aktuell sind im VRR neun Strecken zur Reaktivierung im Gespräch“, sagt ein VRR-Sprecher. Auf drei Strecken wird inzwischen gebaut: „Wir reaktivieren die Hertener Bahn zwischen Bottrop und Recklinghausen für die Linie S 9, verlängern die S 28 von Mettmann-Stadtwald nach Wuppertal-Vohwinkel und reaktivieren die Niederrhein-Bahn zwischen Moers und Kamp-Lintfort.“
Dort läuft aktuell die Ausschreibung der Streckenerneuerung, sagt Stadtsprecher Jan Bergmann. Möglicherweise fahren erste Züge sogar schon zur Landesgartenschau in diesem Sommer, „aber nur an Wochenenden“. Entscheiden soll sich das bei einem Termin zwischen Stadt und Bahn AG im Februar. „In jedem Fall wird es 2022/23 eine Verbindung des RE 44 bis nach Bottrop geben“, sagt Bergmann.
Konkret werden könnte auch eine Eisenbahn zwischen Neukirchen-Vluyn und Moers. Die notwendige Machbarkeitsstudie ist aber noch nicht beschlossen. Geprüft wird indes derzeit, inwieweit sich mit Blick auf Finanzierung und Fahrzeuge die Bahnverbindung zwischen Bochum und Recklinghausen reaktivieren lässt.
Die Wiederauferstehung der „Niederbergbahn“
Beim Fahrgastverband ProBahn kommt NRW-Sprecher Lothar Ebbers gar auf insgesamt 17 alte Bahnstrecken, die in Städten und Gemeinden im VRR-Gebiet jüngst zumindest wieder ins Gespräch gekommen sind. So gibt es etwa Wünsche, die Linie S 28 von Kaarst aus bis Viersen zu verlängern. Die frühere „Niederbergbahn“ (Aprath - Wülfrath - Velbert - Essen-Kettwig) hat unter dem Titel „Circle Line“ eine Art Wiederauferstehung, noch aber eher als Wunschtraum. Und der Radweg, der auf der früheren Strecken inzwischen verläuft, soll erhalten bleiben, fordern etwa Politiker in Velbert.
Auch die frühere Bahnstrecke Dortmund-Preußen/Kamen-Bergkamen könnte eine Wiederauferstehung erleben, sagt Ebbers. Ebenso macht man sich in Kleve Hoffnungen, dass zwischen Kleve und Nimwegen demnächst wieder Personenzüge fahren. Die Bahn könnte „eine verlässliche und schnelle Alternative zum Auto sein“, war zuletzt aus dem Nimweger Rat zu hören. Seit 1991 verkehren nurmehr Busse und auf einem Teilstück seit ein paar Jahren Draisinen - als Freizeitvergnügen. Die 2018 aufgeflammte Debatte zur Reaktivierung schien zwischenzeitlich aber auch schon wieder ‘tot’ .
Ratinger „Weststrecke“ muss noch warten
Wie realistisch es ist, alte Strecken wachzuküssen, hängt in starkem Maße von den nötigen Investitionen ab. Bei der 1912 eröffneten Walsum-Bahn ist die Infrastruktur bis auf die notwendigen neuen Bahnsteige vorhanden. Auf der Ratinger Weststrecke (Duisburg-Wedau-Ratingen/West-Düsseldorf-Rath) müsste hingegen ein drittes Gleis gebaut werden - „zwingend“, sagt Lothar Ebbers.
Gerade auf dieser Strecke wurde übrigens erst jüngst die bisher letzte Bahnstrecke im VRR still gelegt. Seit dem Fahrplanwechsel vom Dezember ist der „Wedauer“ zwischen Duisburg Hauptbahnhof und Duisburg-Entenfang vom Fahrplan verschwunden - nun fahren Busse. Mit ihren vier Stationen war die Bahnverbindung seit Jahren schon nicht mehr rentabel…
>> Hintergrund: Verkehrswende hilft dem ÖPNV
Der VRR hat nach eigenen Angaben „keine Zielgrößen für einen Fahrgastzuwachs“, sagt ein Sprecher. Aktuelle Zahlen lägen erst Ende Februar vor. „Positiv auf die Fahrgastentwicklung wirkt sich sicherlich die Diskussion zur Verkehrswende aus“, heißt es beim VRR. Gemessen an der Zahl der Nutzer ist der Anteil des ÖPNV relativ gering: Beim Weg von und zur Arbeit werden 17 Prozent der Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück gelegt.
Weitere Strecken, deren Reaktivierung örtlich zumindest wieder auf die Tagesordnung gekommen sind:
- Krefeld - Neersen - Mönchengladbach
- Recklinghausen - Waltrop - Dortmund
- Remscheid-Lennep - Opladen
- Hilden-Opladen
- Marl-Sinsen - Marl-Mitte
- Witten-Oberwengern - Hagen-Vorhalle
- Mönchengladbach-Dalheim - Roermond