An Rhein und Ruhr. Zum Jahresende hat die NRZ sich bei drei Menschen gemeldet, über die wir 2019 berichtet haben und die uns mit ihrem Engagement beeindruckt haben.

Wir schauen zurück. Wie war das Jahr? Was ist gelungen? Was war gut? Was hat uns getroffen, vielleicht sogar aus der Bahn geworfen? An Silvester ziehen viele Bilanz, bevor dann um Mitternacht darauf angestoßen wird, dass alles gut wird und alles gut bleibt im Jahr 2020. In unserer Ausgabe zum Jahresende hat die NRZ nochmal mit Menschen gesprochen, die uns im zu Ende gehenden Jahr besonders beeindruckt haben. Über alle haben wir groß auf dieser Seite berichtet. Nun haben wir bei ihnen nachgefragt: „Wie ist es danach weitergegangen ..?“

Die drei jungen Leute auf dem Foto sind Niko Brockerhoff, Ann-Marie und Chantal Abt von der „U25 Suizidprävention“ der Caritas in Gelsenkirchen. Sie bieten einen Mail-Kontakt für Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren an, die darüber nachdenken, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Das Besondere an diesem Angebot: Auch die ausgebildeten Berater sind unter 25. Die Mail-Schreiber begegnen sich auf Augenhöhe.

100 Mailkontakte bis Jahresende

Am 14. Juni erschien der Artikel in der NRZ. Die Jugendlichen waren von Lesern für den diesjährigen Solidaritätspreis von Freddy-Fischer-Stiftung und NRZ vorgeschlagen worden. Die Jury hat ihnen den ersten Preis zugesprochen. Dafür gab es dann bei der Preisverleihung eine Urkunde und ein Preisgeld in Höhe von 2500 Euro. „Was haben Sie dann mit dem Preisgeld gemacht?“, haben wir kurz vor Weihnachten nachgefragt. „Wir haben davon unsere Weihnachtsfeier bezahlt“, sagt Chantal Abt. „Und jeder unserer Ehrenamtlichen hat ein schönes Geschenk bekommen.“

18 Helferinnen und Helfer sind es derzeit. Drei Monate dauert die Ausbildung, in der man viel über Depressionen und die Ursachen von Suizidgedanken lernt. Ziemlich genau 100 Mailkontakte wurden bis Jahresende gezählt. Manchmal ist schon nach einer Antwortmail Schluss, manchmal dauern Kontakte über Wochen und Monate an, melden sich die Jugendlichen immer wieder.

Nach der Preisverleihung bei der NRZ wurde auch die Staatskanzlei auf das Projekt in Gelsenkirchen aufmerksam. Am 12. Dezember konnten sie den „Engagementpreis NRW“ der NRW-Stiftung entgegennehmen. „Das ist eine tolle Bestätigung für unsere Arbeit“, sagt Chantal Abt, die inzwischen hauptamtliche Leiterin des Projektes ist.

Vorbeugung an Schulen

Für 2020 haben sie sich viel vorgenommen. Sie werden wieder neue Mitarbeiter rekrutieren müssen, weil bewährte Kräfte durch Erreichen der Altersgrenze aussteigen. Und sie wollen eine große Aktion starten, um das Thema Suizid zu enttabuisieren. „Wir wollen verstärkt an Schulen gehen, um mit Jugendlichen, Lehrern und mit Eltern darüber zu sprechen. Es sei ein Vorurteil, dass man Jugendliche nicht auf das Thema ansprechen dürfe, weil sie dadurch dann erst auf die Idee kamen, sich umzubringen, weiß Abt.,

Die 24-Jährige wird ihre Erfahrungen bei der Begleitung von jungen Menschen in Notlagen im neuen Jahr auch an die Mailberater der Telefonseelsorge weitergeben. Ziel der „U25 Suizidprävention“ sei es, junge Menschen darin zu bestärken, offen über Krisen und Suizidgedanken zu sprechen. Denn: „Ein Gespräch kann Leben retten!“

2. „Demokratie braucht Vorbilder, die Grenzen überwinden“

Fast ein Jahr ist es her, dass die NRZ ins rheinland-pfälzische Niederbreitbach, knapp hinter der Grenze zu NRW, fuhr, um Benni Over zu besuchen. Der damals 28-Jährige hatte an die Redaktion geschrieben, um auf seinen Kampf gegen das Abholzen des Regenwaldes und für ein Überleben der Orang-Utans in Indonesien aufmerksam zu machen. Der Artikel dazu erschien am 8. Februar – und er hat viele Leserinnen und Leser bewegt.

Das Foto von Benni Over  mit einem Orang-Utan auf dem Schoß entstand vor drei Jahren in einer Auffangstation für Affenwaisen auf Borneo. Wenn die Kraft reicht, möchte Benni nochmal nach Indonesien reisen.
Das Foto von Benni Over  mit einem Orang-Utan auf dem Schoß entstand vor drei Jahren in einer Auffangstation für Affenwaisen auf Borneo. Wenn die Kraft reicht, möchte Benni nochmal nach Indonesien reisen. © Klaus Over

Benni Over leidet an einer extrem seltenen, unheilbaren Erbkrankheit. Seit seiner Pubertät ist er völlig gelähmt, und seit einem Herzstillstand vor zwei Jahren ist er auf ein Beatmungsgerät angewiesen. Aber trotzdem ist er voller Pläne für die Zukunft, und die hat für ihn seit einem Besuch im Berliner Zoo viel mit dem bedrohten Lebensraum der Orang-Utans zu tun.

Er hält Vorträge an Schulen

Es ist beeindruckend, wieviel Energie er dafür aufbringen kann. Die Eltern haben ihre Berufe aufgegeben, um Benni zu pflegen und um ihn bei seinem Projekt zu unterstützen. Der junge Mann hält Vorträge an Schulen, sammelt Spenden für die Aufforstung eines neuen Regenwaldes. Dabei muss er sehr auf seine Gesundheit achten, gerade jetzt im Winter. Jeder Infekt kann gravierende Auswirkungen haben.

Trotzdem sind die Overs am 21. November zur Verleihung der „Bambi“-Preise nach Baden-Baden gefahren. Ein guter Freund, der niederländische Tierschützer Willie Smits, bekam den Preis in der Kategorie „Unsere Erde“. In seiner Dankesrede hob Smits das Engagement von Benni hervor, dankte ihm für seine Unterstützung – und die Kameras schwenkten auf den jungen Mann im Rollstuhl mit seinem Beatmungsgerät. „Das war ein tolles Erlebnis für Benni und für die ganze Familie“, sagt Vater Klaus Over am Telefon.

25.000 Euro für Aufforstungsprojekte

Benni ist im Augenblick nicht zu sprechen. Es geht ihm nicht gut. Beim Abhusten spuckt er Blut. Der Grund dafür ist nicht so dramatisch. Offensichtlich hat eine Rippe aufs Zwerchfell gedrückt. Aber das belastet den inzwischen 29 Jahre alten Umweltaktivisten sehr.

Und trotzdem kann er sich über die Erfolge freuen. Mit den „Fridays for Future“-Demonstrationen ist Bewegung ins Thema gekommen. 25.000 Euro hat Benni in Schulen schon für Aufforstungsprojekte eingesammelt. Jetzt schreibt er alle Pfarrer und Pastoren an, damit sie das Thema in den Kommunion- und Konfirmationsunterricht aufnehmen. Und im Jahr 2020 will er eine Fortsetzung seines Kinderbuchs „Henry rettet den Regenwald“ schreiben. Das erste Buch hat sich gut verkauft und gutes Geld fürs Regenwaldprojekt eingespielt. Auch die Fortsetzung der Geschichte um den kleinen Affen wird sich Benni selbst ausdenken. Die Bilder wird seine Inklusionshelferin zeichnen, und Benni wird beim Kolorieren helfen. Der Pinsel mit der Farbe wird ihm dazu angereicht. Mehr lässt die Behinderung nicht zu.

Ein Orden von Malu Dreyer

Wer dem jungen Mann begegnet, ist beeindruckt von seiner Ausstrahlung. Das ist auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer so gegangen, die ihm in der Mainzer Staatskanzlei den Landesorden ans Revers heftete. „Demokratie braucht Vorbilder, die Grenzen überwinden“, sagte die Politikerin: „Ihre Geschichten bewegen uns alle. Denn sie verkörpern den Geist, der unsere Gesellschaft stärkt.“

3. Jacqueline Graf-Majnic kämpft für eine bessere Kita

Die Qualität von Bildung und Erziehung wird verloren gehen“, hatte Jacqueline Graf-Majnic gewarnt. Die NRZ sprach im Mai im Vorfeld der großen Demonstration gegen die geplante Reform des Kinderbildungsgesetzes (Kibiz) in Düsseldorf mit der Erzieherin aus Essen. Schon damals hatte sie stellvertretend für viele Kolleginnen und Kollegen die hohe Arbeitsbelastung und fehlendes Personal kritisiert. Der Entwurf stimme nicht mit dem Arbeitsalltag in den Einrichtungen überein, hatten die Organisatoren damals gesagt.

Von Seiten der Landesregierung hatte man dafür wenig Verständnis: „Wir schaffen damit starke Rahmenbedingungen für gute frühkindliche Bildung und Betreuung unserer Kinder und sorgen für mehr Familienfreundlichkeit“, hatte Familienminister Joachim Stamp (FDP) zur Verabschiedung des Entwurfs gesagt. Am 29. November war das Gesetz beschlossen worden. Es tritt zum neuen Kita-Jahr am 1. August 2020 in Kraft. Für Jacqueline Graf-Majnic eine schlechte Entscheidung.

Keine Forderung fand Gehör

Erzieherin Jacqueline Graf-Majnic beteiligte sich an einer Demonstration von Erziehern gegen das neue Kibiz-Gesetz. Foto: Julia Tillmann / FUNKE Foto Services
Erzieherin Jacqueline Graf-Majnic beteiligte sich an einer Demonstration von Erziehern gegen das neue Kibiz-Gesetz. Foto: Julia Tillmann / FUNKE Foto Services © Julia Tillmann / FUNKE Foto Services | Julia Tillmann

„Die Stimmung bei der Demonstration war gut“, erinnert sich die Erzieherin. Vor allem der Austausch untereinander sei schön gewesen. Mehr als 10.000 Teilnehmer hatte das Bündnis „Mehr Große für die Kleinen“ mobilisiert, über 80.000 Unterschriften für Änderungen bei der Reform gesammelt. Gebracht hat es letztlich nichts, bedauert Graf-Majnic: „Unsere Forderungen sind nicht mit eingeflossen.“

Bei ihr und ihren Mitstreiterinnen sei die Enttäuschung daher groß. Bereits im Vorfeld hatten die Organisatoren mit vielen Teilnehmern gehofft, aber zugleich auch befürchtet, dass Kolleginnen und Kollegen aufgrund von „politischer Müdigkeit“ nicht teilnehmen werden. Jetzt, wo keine der Forderungen in der Reform Gehör fand, würden sich manche schon fragen, wofür die Demonstration gut war, sagt die Erzieherin. „Das Vertrauen in das Bündnis geht dadurch auch ein bisschen verloren, dabei wurde hier intensiv gearbeitet.“

„Unsere Arbeit wird dadurch nicht besser“

Spätestens ab August 2020, wenn das geänderte Gesetz in Kraft tritt, erwartet Graf-Majnic große Probleme: „Die Betreuungszeiten werden ausgeweitet bei demselben Personal. Unsere Arbeit wird dadurch nicht besser und auch nicht schöner.“ Die Reformen würden zu Lasten der Erzieherinnen gehen, ist sie sich sicher. Das mache den Beruf nicht gerade attraktiver. Und schon heute mache sich der Personalmangel deutlich bemerkbar, sagt die Erzieherin. Für die Zukunft sieht sie keine Besserung.