Kamp-Lintfort. Erst machte Siemens-BenQ dicht, dann die Zeche. Heute hat Kamp-Lintfort eine Hochschule und trägt 2020 die Landesgartenschau aus.
„Am Anfang hatte ich oft Tränen in den Augen, als so vieles abgerissen wurde“, sagt Lutz Malonek und zeigt auf das riesige Gelände des ehemaligen Bergwerks West, wo im kommenden Jahr die Landesgartenschau stattfinden wird. „Aber jetzt beeindruckt mich die positive Entwicklung, die wir Kamp-Lintforter aktiv mitgestalten konnten.“ Malonek, der seit 1955 hier lebt, kennt seine Stadt wie nur wenige andere. Mit 13 Jahren zog er mit seinen Eltern von Sachsen an den Niederrhein, sein Vater stammt aus Kamp-Lintfort. Zwei Jahre später begann er seine Lehre, wird schließlich Kraftfahrzeugmeister und wechselt dann doch zum Bergbau zur Zeche Friedrich Heinrich, dem größten Arbeitgeber der Stadt. „So wie auch mein Vater und Großvater vor mir“, erzählt Malonek.
Unter Tage war er ab 1975 als Kfz-Meister zur Aufsicht des Bahnbetriebs eingesetzt. „Das waren die schönsten Arbeitsjahre meines Lebens“, sagt er. Das Miteinander unter Tage sei eben besonders und nirgendwo sonst habe er so viele unterschiedliche Kulturen kennengelernt. „Dadurch ist Kamp-Lintfort so bunt geworden“, ist Malonek überzeugt. Über 80 Nationalitäten leben heute in der 40.000 Einwohner-Stadt, jeder Zweite hat einen Bezug zum Bergbau.
Förderturm blieb erhalten
1995 ging Malonek in den Vorruhestand, schon zu diesem Zeitpunkt wurde Personal abgebaut. Für den heute 77-Jährigen kein Grund, sich nicht weiter zu engagieren. Als der ehemalige Förderturm von Schacht 1, so etwas wie Kamp-Lintforts Wahrzeichen, nach der Zechenschließung 2012 abgerissen werden sollte, erhob Malonek seine Stimme. „Mit vielen anderen Bürgern haben wir uns für den Erhalt als Landmarke eingesetzt“, schildert er.
Die Bürger stimmten mit großer Mehrheit für eine Erhaltung. „Wir hätten uns auch dort angekettet, wenn die RAG ihn abgerissen hätte“, sagt Malonek, der als sachkundiger Bürger für die SPD im Rat sitzt. Der Bergbau, erklärt er, habe die Stadt 100 Jahre lang geprägt. Die Sorge vor dem, was danach kommen sollte, habe er aber als genauso prägend empfunden.
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Eine Entwicklung, die Kamp-Lintforts Bürgermeister Christoph Landscheidt als „vom Aschenputtel zur Prinzessin“ beschreibt. Aschenputtel, weil die Bürger eben nicht nur das Ende des Bergbaus zu verkraften hatten. „Wir waren in vielen Bereichen das Schlusslicht im Kreis Wesel“, sagt Landscheidt. Auch die Pleite des Mobilfunkunternehmens BenQ-Siemens 2006 – 33000 Mitarbeiter verloren ihren Job – prägte lange Zeit die Schlagzeilen.
„Bergleute, die mit Fackeln durch die Straßen ziehen, und Mitarbeiter, die gegen ihre Entlassung demonstrieren, sorgen für keine positiven Bilder“, sagt Landscheidt rückblickend. Seitdem seien Riesenschritte gemacht worden. „Wir haben bereits Ende der 1990er-Jahre begonnen, ernsthaft zu diskutieren, welche Optionen es nach dem Bergbau geben kann“, erklärt Landscheidt, der seit 20 Jahren im Amt ist. „Wir wollten auf keinen Fall zulassen, dass hier die Lichter ausgehen.“
Hochschul-Standort und Landesgartenschau 2020
Von Altkalkar bis Duisburg-Hochfeld- Problemviertel im Blick
Daher sei die Bewerbung als Hochschul-Standort immens wichtig gewesen, 2009 bekam Kamp-Lintfort gemeinsam mit Kleve den Zuschlag. Die Hochschule Rhein-Waal, deren Standort mitten in der Innenstadt liegt, ist nicht nur zweitgrößter Arbeitgeber der Stadt, „sie ist auch ein Identifikationsmerkmal“, erklärt der Bürgermeister. Direkt nach der Eröffnung seien die Ortstafeln ausgetauscht worden. „Hochschulstadt“ steht seitdem darauf. „Das wurde erst belächelt, mittlerweile sind die Menschen hier aber stolz darauf.“
Und dann kam der Zuschlag für die Landesgartenschau: „Das war das Beste, was uns passieren konnte“, so Landscheidt. Von unschätzbarem Vorteil sei bei der Bewerbung gewesen, dass es bei den Kamp-Lintfortern eine großes Gemeinschaftsgefühl gebe. „Ein Projekt wie die Laga ist nur möglich, wenn alle dahinterstehen.“ 560.000 Besucher werden ab April 2020 erwartet, vieles, was jetzt aufgebaut wird, soll danach bleiben. „Am wichtigsten ist, dass wir das Bergbaugelände nachhaltig und dauerhaft nutzen“, sagt Landscheidt.
Mehr Wohnraum wird gebraucht
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Ein neuer Stadtteil mit rund 800 Wohneinheiten und einem Park soll entstehen, ein therapeutischer Streichelzoo und ein Kinderspielplatz“, listet er auf. Lutz Malonek war einer der ersten im Förderverein. „Ich freue mich, dass auch in Zukunft der Förderturm und die alte Feuerwache als Standort des Fördervereins für Bergmannskultur eine große Rolle spielen werden“, sagt er.
Im Zuge der Laga wird Kamp-Lintfort auch an den Schienenverkehr angebunden. Viel Positives für die Stadt, aber Herausforderungen gibt es trotzdem genügend: „Die Arbeitslosenzahlen sind zwar moderat, viele Menschen sind aber in prekären Verhältnissen beschäftigt“, so Landscheidt. Das sei gravierend, weil es noch nicht genügend sozialen Wohnraum gebe. „Das Thema wird, wie in vielen anderen Städten auch, die nächsten Jahre bestimmen.“ Nicht nur der soziale Wohnungsbau, sondern auch Wohnraum für alle anderen Einkommensgruppen sei gefragt.
Keine Kita-Gebühren für junge Eltern
Mehrere Neubaugebiete sind derzeit im Bau oder in Planung. Kamp-Lintfort verzeichnet auch deswegen steten Zuzug, weil Eltern keine Kita-Gebühren zahlen müssen. „Wir freuen uns sehr, dass Familien hierher ziehen wollen“, betont der Bürgermeister. Das sei in den kommenden Jahren aber auch mit hohen Investitionen im Bildungsbereich verbunden