Kevelaer. Nachdem in Kevelaer ein Missbrauchsfall öffentlich wurde, meldete sich eine zweite Frau. Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verjährung nicht.

Eine zweite Frau hat sich nach dem Missbrauchsfall in Kevelaer gemeldet. Auch sie gibt an, von dem Kaplan sexuell missbraucht worden zu sein. Das wurde bei dem Gesprächsabend, zu dem die Pfarrei St. Marien in Kevelaer am Mittwochabend eingeladen hatte, bekannt. Die Frau, so teilte der Interventionsbeauftragte des Bistums Münster, Peter Frings, mit, habe sich am Dienstagabend bei den Ansprechpersonen des Bistums gemeldet.

Der Missbrauch soll ebenfalls in den 1980er Jahren stattgefunden haben. Sie möchte anonym bleiben, weitere Details über ihren Fall sollen vorerst nicht bekannt werden. Fest steht: Die Staatsanwaltschaft wird in beiden Fällen nicht aktiv.

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Die Staatsanwaltschaft Kleve teilte am Donnerstag auf Anfrage dieser Redaktion mit, dass sie nicht ermitteln werde. „Wir haben den Ermittlungsauftrag und die Akten zu dem Fall vom Bistum Münster erhalten. Da die Tat allerdings schon seit 2008 verjährt ist, werden wir die Ermittlungen einstellen“, so der Klever Oberstaatsanwalt Günter Neifer. Zur Gesetzeslage: Bei sexuellem Missbrauch gibt es eine Verjährungsfrist von 20 Jahren. Es sei denn, das Opfer ist minderjährig, dann beginnt der Verjährungszeitraum erst, wenn das Opfer volljährig ist. Die Frau war Mitte der 1980er-Jahre zwischen 13 und 14 Jahre.

Am vergangenen Wochenende hatte Wallfahrtsrektor Gregor Kauling den Brief einer Frau in der Messe vorgelesen, die angab, in den 1980er während der Beichte sexuell missbraucht worden zu sein. Sie war damals ein junges Mädchen. Der Kaplan war zwischen 1981 und 1988 in Kevelaer tätig, danach kam er noch an acht weiteren Stationen zum Einsatz. Schon 2010 hatte die Frau den Missbrauch beim Bistum gemeldet, wollte aber nicht, dass der Fall publik wurde. Auch wollte sie nicht, dass die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird.

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Dem Priester wurde ein Verbot auferlegt, öffentliche Gottesdienste zu feiern. Dies wurde aber offenbar nicht durchgesetzt. Der Priester feierte trotz des Verbots weiter öffentliche Gottesdienste, so dass sich die Frau genötigt sah, sich erneut ans Bistum zu wenden. In Absprache mit ihrer Anwältin wandte sich die Frau dann durch Pfarrer Kauling auch an die Öffentlichkeit.

Interventionsbeauftragter spricht von „Versagen“ der Kirche

Zu der Gesprächsrunde im Peter-Canisius-Haus kamen am Mittwochabend rund 100 Bürger, viele davon selbst ehrenamtlich in der Kirche tätig und mit dem beschuldigten Priester bekannt. Die Frau, deren Brief am Wochenende verlesen worden war, war offenbar auch anwesend. Auch Missbrauchsopfer aus anderen Gemeinden waren gekommen, um auf Missbrauch in der katholischen Kirche aufmerksam zu machen. Sie alle zeigten sich erschüttert von den Vorfällen und forderten unter anderem eine konsequente Aufarbeitung und mehr Präventionsarbeit in der Kirche.

Pfarrer Gregor Kauling begrüßte alle Gäste im Petrus-Canisius-Haus zu einem Gesprächsabend.
Pfarrer Gregor Kauling begrüßte alle Gäste im Petrus-Canisius-Haus zu einem Gesprächsabend. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Peter Frings, der als Interventionsbeauftragter seit sieben Monaten im Amt ist, sprach von einem „Versagen“ der Kirche und von einer „Katastrophe für die Opfer“. Es gebe keine Entschuldigung dafür, warum der Priester weiterhin habe Messen feiern dürfen. „Man hätte ihm deutlicher sagen müssen, dass er das nicht mehr darf“, so Frings. Die Auflagen seien nicht transparent genug gewesen. Dem Priester sei zum Beispiel erlaubt gewesen, nicht-öffentliche Gottesdienste zu feiern. „Es war aber gar nicht festgelegt, was ein öffentlicher Gottesdienst ist, so dass der Priester beispielsweise im Altenheim Messen abhielt“, erklärt Frings.

Auch nachdem die Frau sich Ende 2016/ Anfang 2017 erneut ans Bistum gewandt hatte, weil sie erfahren hatte, dass der Geistliche trotz entsprechender Auflagen weiter praktizierte, sei nicht viel passiert. „Wir haben die Frau hängen gelassen, die Auflagen haben nicht funktioniert.“ Hier seien Reformen dringend nötig, sagte Frings.

Mittlerweile habe der Kaplan aber ein komplettes Tätigkeitsverbot bis zum Ende des Jahres. „Das wird auch darüber hinaus so bleiben, davon gehe ich fest aus“, so der Interventionsbeauftragte. Der Mann sei im Ruhestand und habe den Missbrauch zugegeben. Das Kirchenrecht gebe eine Verurteilung aber nicht her, der Kleriker könne nicht entlassen werden. Auch hier, meint Frings, sei dringend eine Überarbeitung des Rechts nötig. Nur wenn er auch strafrechtlich verurteilt würde, könnte er aus der Kirche entlassen werden – was eben in den bekannt gewordenen Fälle bereits ausgeschlossen ist.

Kritik: Kirche reagiert erst, wenn das Verbrechen öffentlich wird

Pfarrer Gregor Kauling und Peter Frings (re.) Interventionsbeauftragter des Bistums Münster stellten ich den Fragen der Bürger.
Pfarrer Gregor Kauling und Peter Frings (re.) Interventionsbeauftragter des Bistums Münster stellten ich den Fragen der Bürger. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Martin Schmitz, der in Rhede Opfer sexuellen Missbrauchs durch einen Geistlichen wurde und daraufhin eine Selbsthilfegruppe gründete, warf Frings und Pfarrer Kauling bei dem Gesprächsabends vor, dass die Kirche immer erst reagiere, wenn das Verbrechen an die Öffentlichkeit gelangt sei. „Oft ist es so, dass die Täter ohne weitere Konsequenzen noch mehrfach versetzt werden, damit die Tat möglichst vertuscht werden kann“, sagte Schmitz. Er verlangte, dass die Kirche ihre Akten systematisch durchforste, um mutmaßliche Täter aus dem Verkehr zu ziehen.

Pfarrer Kauling bezeichnete den Fall in Kevealer als „hochgradig erschütternd und prägend für dieses Jahr“. Er wolle sich gemeinsam mit Bernadette Balieau, Präventionsfachkraft der Pfarrei St. Marien, und dem Bistum für eine wirkungsvolle Prävention einsetzen. „Wir stellen in der Pfarrei St. Marien gerade ein Institutionelles Schutzkonzept auf, in dem es genau darum geht“, sagte Bernadette Baldeau:. „Darin werden Ansprechpartner stehen, an die man sich jederzeit wenden kann.“ Entsprechende Schutzkonzepte werden derzeit in jeder Pfarrei des Bistums Münster auf den Weg gebracht. Zudem müssen die Mitarbeitenden an Präventionsschulungen teilnehmen.

In der Wallfahrtsstadt Kevelaer, die jährlich 800.00 Pilger empfängt, haben die Vorfälle in den vergangenen Tagen für großes Aufsehen gesorgt. Immer noch stehen auch die Vorwürfe gegen den früheren, mittlerweile verstorbenen Wallfahrtsrektor Heinrich Maria Janssen im Raum. Er ist Ehrenbürger Kevealers und war zwischen 1949 und 1957 Pfarrer in der Stadt. In seiner späteren Zeit als Bischof von Hildesheim soll er Jungen missbraucht haben. Zu diesem Fall laufen noch die Untersuchungen.