Oberhausen. Tag und Nacht vor dem Glücksspielautomaten bis das Portemonnaie leer ist. Ein Spieler berichtet, wie die Sucht sein Leben bestimmt.

Tag für Tag dasselbe Spiel. Aufstehen. Flaschen sammeln, um einkaufen zu können. Und dann: Spielen. So lange bis das Portemonnaie leer ist. Dabei ist es das eigentlich schon lange. Bei der Bank bekommt er nicht einen einzigen Cent mehr, bei Freunden hat er 1000 Euro Schulden. „Ich kann nicht mehr“, sagt Veit (Name von der Redaktion geändert). Er will nur eins: Seine Spielsucht in den Griff bekommen.

In ein paar Wochen fängt seine Rehabilitation an. Er lässt Oberhausen und einen Teil seines Lebens hinter sich, wenigstens für eine Zeit. „Zwei Monate weg von hier. Abstand kriegen“, sagt er. Er wisse, wie es sei, nicht zu spielen. „Aber ich kann es nicht umsetzen.“

Die Geschichte seiner Sucht beginnt früh

Seine Geschichte beginnt im Alter von sechs Jahren. Wie jedes Kind spielte er „Mensch ärgere dich nicht“. Allerdings: um Bares. Mit acht Jahren spielte er Karten um Geld. „Für mich war Spielen um Geld immer Normalität“, sagt er in der der Rückschau. Im Vereinsheim, in das er den Vater regelmäßig begleitete, entdeckte er dann das Spiel am Geldautomaten.

Dann wurde Veit 18. Das magische Alter, in dem alles möglich scheint. Mit 18 hat man Zutritt in die Spielhalle. Endlich. Mit einem befreundeten Pärchen steuerte er eine Spielhalle an, zockte ein paar Mal am Flipper. Bis ihm das Personal 20 Mark in die Hand drückte. Das bekamen damals Stammgäste, Veits Begleitung zählte dazu. Mit den 20 Mark fütterte er den blinkenden Automaten - und bekam 250 Mark zurück.

Ein Glücksmoment. Der Eintritt zur Hölle.

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Annette Jansen, die vor rund eineinhalb Jahren gegründete Glücksspielsuchtberatung bei der Caritas anbietet, nennt es den „Klassiker“ für den Spielsuchteinstieg. Veit ist eingestiegen, jetzt sucht er einen Ausweg. Mit 57 Jahren.

Mit 23 Jahren hat er eine Art Selbsthilfegruppe in Oberhausen aufgesucht. Da hatte er bereits seit zwei Jahren Schulden. Ein Jahr lang habe er die Gruppe besucht. Ein Jahr, in dem er erzählt habe, dass er nicht spiele. Er hat gelogen. Und sich dann eingestanden: Diese Gruppe hier, die bringt mich nicht weiter. Jahre später startete er einen neuen Versuch und schloss sich einer Selbsthilfegruppe in Bottrop an. Zwar ging er noch immer täglich in die Spielhalle, spielte aber nicht. Ein Jahr lang. „Ich konnte damals viel besser schlafen“, sagt Veit.

Doch die Auszeit war nicht von Dauer. Noch ein einziges Mal schaffte er es aus eigenem Antrieb, ein Jahr lang nicht zu spielen. Dann wurde er wieder rückfällig. Seine Ehe und seine späteren Beziehungen gingen in die Brüche. Das Spiel stand an erster Stelle, Frauen, Freunde, Familie, alles war nachrangig. Wenn Veit vor dem Spielautomaten sitzt, fühlt er sich „wie in einer anderen Welt“. „Dann höre und sehe ich nichts mehr.“ Eine Welt, in der Probleme beiseite geschoben werden.

Glücksspielsucht hat viele Gründe

„Man muss herausfinden, wofür die Spielsucht steht“, weiß Annette Jansen, eine von vier Suchtberaterinnen bei der Oberhausener Caritas. Die einen sehen darin eine Flucht vor der Einsamkeit, andere sehen es als Geldbeschaffung, wieder andere glauben, in dieser Parallelwelt alles vergessen zu können - so wie bei Veit.

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Dann kam der eine Abend. Ein Abend, gefüllt von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Er rief die Telefonseelsorge an, die ihm einen Kontakt zur Caritas gab. Seit Beginn der Glücksspielsuchtberatung ist er dort Klient. Doch er spielt noch immer.

Zu seiner Spielsucht kam eine psychische Erkrankung, Veit muss Medikamente nehmen. „Ich bin der Überzeugung, dass meine psychische Krankheit von der Spielsucht kommt“, meint er. Ob es tatsächlich so ist, man weiß es nicht.

Was er weiß, ist, dass er immer wieder krankgeschrieben war. Der gelernte Maler hat fast nie länger als sechs Monate am Stück gearbeitet. Mit 30 Jahren wurde er Frührentner, sagt er.

Seine Rente geht für Spielschulden drauf

Eigentlich könnte er von seiner Rente leben. Doch das Geld geht für die Spielschulden drauf. Seine Eltern haben ihn finanziell unterstützt, doch vor kurzem starb seine Mutter. Das, was Veit für Essen, Trinken, Rauchen braucht, finanziert er mit Flaschensammeln. Doch das wird immer mühsamer. Zehn Stunden sei er täglich unterwegs. „Es ist für mich existenzbedrohend.“ Die Reha ist seine Hoffnung, sein Ausweg. „Ich bin nie kriminell geworden“, betont er. Das ist ihm wichtig. Er weiß, dass es Spieler gibt, die andere bestehlen, um zu spielen oder ihre Schulden zu bezahlen.

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Von Anke Gellert-Helpenstein

Wenn es nach ihm ginge, sollten die Spielhallen „zugemacht“ werden. An jeder Straßenecke lauert die Verführung. Dass zwischen zwei Spielhallen mindestens 350 Meter Entfernung liegen müsse - geschenkt. „In den Spielhallen ist es immer rappelvoll.“ Vor einem Jahr beriet Annette Jansen von der Caritas Schüler des Berufskollegs. Von denen seien bereits viele schon mal in der Spielhalle gewesen und hätten hier ihre Mittagspause verbracht.

Verschärfte Gesetze bringen kaum etwas

Ja, die Gesetze seien verschärft worden, meint Veit. Effektiv seien sie seiner Meinung nach aber nicht. So sollten Automaten nur noch mithilfe eines Codes zu bedienen sein, erklärt er. Damit wolle man verhindern, dass eine Person fünf, sechs, sieben Spielautomaten gleichzeitig betreibe. Das System lasse sich allerdings austricksen. Die Spieler sprechen sich untereinander ab, wenn einer sein Spiel beendet, übernimmt ein anderer Spieler. So kann ein Spieler dann doch wieder mehrere Automaten gleichzeitig betreiben. Und wenn das nicht klappt, wandern sie ab: ins Internet oder ins Casino.

Veit gibt zu: „Spielen ist schon schwieriger geworden.“ Aber: „Das alles hält nicht davon ab zu spielen.“ Es müsse mehr und intensive Kontrollen geben, fordert Veit.

Man kommt nicht so einfach aus dem Sumpf

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Wer erst einmal süchtig ist, kommt so einfach nicht mehr aus dem Sumpf. Es sei eine Sucht, die so schnell nicht auffalle: Man habe keine Fahne oder rieche nach Alkohol, man torkele nicht, man sei nicht abwesend, erklärt Annette Jansen. Im Glücksspielstaatsvertrag ist in Paragraf acht geregelt, dass sich das Land an der Finanzierung von Beratungsstellen zur Vermeidung und Bekämpfung der Glücksspielsucht beteiligt. Jansen glaubt, dass es noch mehr Mittel für die Präventionsangebote bräuchte.

In Oberhausen gibt es nach wie vor die höchste Dichte von Glücksspielautomaten: Im vergangenen Jahr kam ein Gerät auf 164 Einwohner. Im Landesschnitt sind es rechnerisch 292 Einwohner. Oberhausen nimmt 6,8 Millionen Euro aus der Vergnügungssteuer ein. Der Steuersatz in Oberhausen ist der Kämmerei zufolge hoch: er beträgt je Apparat mit Gewinnmöglichkeit 22 Prozent des monatlichen Einspielergebnisses.

>>>Hilfe für Spielsüchtige:

Verschiedene Städte bieten Hilfen für Glücksspielsüchtige an: In Goch bietet der Caritasverband Kleve eine Spielergruppe an (Kontakt: 02823/92 86 36 66), in Wesel gibt es eine Selbsthilfegruppe für Spieler und Angehörige, in Essen ist die „Suchthilfe direkt“ unter 0201/8603-0 erreichbar, in Düsseldorf bietet die Caritas eine Suchtberatungs- und Therapiezentrum Fachambulanz (0211 / 7353 - 264). Adressen und weitere Infos gibt es auch auf der Seite der Landeskoordinierungsstelle www.gluecksspielsucht-nrw.de oder telefonisch bei der Infoline Glücksspielsucht NRW (deutschsprachig) 0800 0776611 und in türkischer Sprache unter 0800 3264762.