Mülheim. Das Bild Styrums ist geprägt von sozialen Problemen. Dabei tut sich in dem Mülheimer Stadtteil viel, das bürgerschaftliche Engagement ist groß.
Kurt Hügen ist Ur-Styrumer. 1936 hier geboren, hat er bis auf einige Kriegsjahre, die er in Ostpreußen verbrachte, immer in dem Mülheimer Stadtteil gelebt. Wer ihn auf der Moltke-Straße besucht, weiß kaum, wo der Blick zuerst hingehen soll, der 83-Jährige hat ein echtes Kleinod mitten in der Stadt geschaffen. „Erbhof Hügen“ steht auf den alten Schildern an der Hausfassade, tatsächlich stand an gleicher Stelle 1856 noch das Bauernhaus Hügen.
An Styrums ländliche Anfänge erinnert jetzt noch der liebevoll gestaltete Innenhof mit Kopfsteinpflaster, gelben Wände, alten Treckern, einer Futtermühle und einer historische Wasserpumpe. Später entstanden Wohnhäuser, die aber nach dem Krieg alle zerstört waren. Hügens Familie baute aus vielen alten Steinen nach und nach Mietshäuser an dieser Stelle und kaufte umliegende Häuser.
Ein historisches Klassenzimmer für Styrum
Seit 1956 baut und renoviert er an der Häuserzeile an der Moltkestraße und ist auch jetzt längst noch nicht fertig. „Das ist eben Styrum“, sagt der 83-Jährige stolz. „Wir sind hier erfinderisch.“
Nächstes Projekt: Die Einrichtung eines historischen Klassenzimmers in einer seiner Scheunen, damit Styrumer Schulklassen sich dies ansehen können. Die alten Schulbänke stehen in dem Raum schon bereit und warten auf die Schüler. Besucher hat Hügen ohnehin genug, er ist in seinem Stadtteil bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund: Zu Styrums Blütezeiten führte er an der Oberhausener Straße über 20 Jahre die Gaststätte „Sültenfuß“, hatte auch ein Obst- und Gemüsegeschäft sowie einen Blumenladen.
Dass der Stadtteil wirtschaftlich blühte, ist indes Vergangenheit. Heute ist Styrum voller Gegensätze, ein Viertel, das von außen betrachtet viele Probleme hat: Baulich ist Styrum zerstückelt durch die Bahnlinien und die A40, hat eine hohe Verkehrsbelastung, eine sehr dichte Bebauung, eine hohe Arbeitslosigkeit und viele Menschen mit Migrationshintergrund. Mehr als 90 Nationalitäten leben hier.
„Die meisten Menschen in Styrum wohnen gerne in ihrem Stadtteil“
Ein „Problemviertel“ sagen die einen. „Styrum ist viel besser als sein Ruf“, sagt hingegen Bezirksbürgermeister Heinz-Werner Czeczatka-Simon (SPD). Und zeigt beim Rundgang das Naturbad, den Wasserturm, das Styrumer Schloss, Spielplätze und ruhige Wohnviertel. Er ist überzeugt: „Die meisten Menschen in Styrum wohnen gerne in ihrem Stadtteil.“ Denn der Stadtteil lebt, trotz aller Probleme, vom großen Zusammenhalt der 17.000 Einwohner, von einem sehr aktiven Vereinsleben und vielen engagierten Bürgern.
Bestes Beispiel: Der große Sport- und Bewegungspark an der Von-der-Tann-Straße, der einmalig für Mülheim ist. Im Sportpark steht auch die Tengelmann-Arena, die von durch eine Spende der Familie Haub finanziert wird. „Hier stellen wir wirklich etwas Gutes auf die Beine, mit Hilfe von Vereinen, Schulen und Bürgern“, erklärt Czeczatka-Simon mit Blick auf die Baustelle. „Damit eine Art soziale Kontrolle im Park entsteht und die Nachbarn mit einbezogen werden, ist noch ein Förderverein geplant.“
Es wird viel gebaut in Mülheim Styrum
Auch ein paar Schritte weiter zeigt sich: Es wird viel investiert, viel gebaut, besonders an den Bildungseinrichtungen. Auf dem Schulgelände stehen die Willy-Brandt-Gesamtschule und die Grundschule Augustastraße. Die Grundschule wird kernsaniert und erweitert. Zudem entstehen auf dem Gelände Erweiterungsbauten, damit den Schulen in Zukunft zusätzliche Fach- und Klassenräume zur Verfügung stehen. „Gepaart mit dem motiviertem Unterricht, der hier gegeben wird, wird das Strahlkraft haben“, ist sich Czeczatka-Simon sicher.
Auch Styrums zweite Grundschule wird saniert. Und Aldi-Süd hat direkt neben der Firmenzentrale eine Kita mit Familienzentrum geschaffen, 50 Plätze dort stehen für Styrumer Kinder bereit. Für all diese Projekte flossen in den vergangenen Jahren über 50 Millionen Euro nach Styrum, mit rund 3300 Kindern und Jugendlichen unter 18 ist Styrum der jüngste Mülheimer Stadtteil. „Es geht darum, die Bildungschancen im Stadtteil weiter zu verbessern, damit Kinder hier zur Schule gehen und nicht anderswo“, erklärt Max Schürmann, Leiter der Feldmann-Stiftung an der Augustastraße.
Diese nimmt in Styrum als sozio-kulturelles Zentrum des Stadtteils seit 1988 eine entscheidende Rolle ein. „Wir orientieren uns mit unserer Kulturarbeit besonders an den Bedürfnissen hier“, sagt Schürmann, der die Stiftung seit 1990 leitet. Mittlerweile ist das Angebot in der großen Villa, das von Kindertheater über Rockkonzerte bis hin zum Tanztee reicht, weit über die Grenzen des Stadtteils hinaus bekannt. Viele Styrumer Gruppen treffen sich regelmäßig in den Stiftungs-Räumlichkeiten, wie der Geschichtsgesprächskreis und verschiedene Kunstkreise. „Wir erreichen damit viele Menschen vor Ort, aber es gibt eben auch einige in Styrum, die sich isolieren“, so Schürmann.
„Einige Menschen haben sich entfremdet vom Rest“
Die, das betont Czeczatka-Simon, gelte es, nun ins Boot zu holen „Einige Menschen haben sich entfremdet vom Rest der Bevölkerung in Styrum, da gibt es nichts zu beschönigen“, sagt der Bezirksbürgermeister. Um Förderanträge stellen zu können, um gerade auch so manche marode Ecke sanieren zu können, werde gerade ein Integriertes Handlungskonzept für 2020 erstellt.
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„Wer von außerhalb kommt, glaubt, dass ganz Styrum aussieht wie die Oberhausener Straße, weil das die Hauptdurchgangsstraße ist. Wer hier wohnt, weiß, dass der Rest ganz anders aussieht,“ sagt Czeczatka-Simon über Styrums Knotenpunkt, wo die Verkehrsbelastung hoch ist, die Häuser sanierungsbedürftig wirken und viele Läden leerstehen. Seit der Neugestaltung des Platzes „Sültenfuß“, wo Kurt Hügen einmal seine Gaststätte führte, ist die Oberhausener Straße aber zumindest am einen Ende aufgewertet worden.
Ziel sei eine soziale Durchmischung der Bevölkerung im ganzen Stadtteil, junge Familien mit Kindern sollen sich hier wohlfühlen. Einige attraktive Wohnviertel rund um die Blumenstraße gibt es, sie sollen mehr werden. Auch ein Stadtteilmanager sei angedacht. „Ihn brauchen wir, um die vielfältigen Einzelangebote, die es hier bereits gibt, zu verzahnen und die Menschen, die sich bislang nicht integrieren, einzubinden“, so der Bezirksbürgermeister, der seit 2014 im Amt ist und seit 1981 in Styrum lebt.
Bürgerbus wird von Ehrenamtlichen gefahren
Probleme, so berichtet Max Schürmann, habe es in Mülheims Norden immer schon gegeben, der Styrumer aber habe seine ganz eigene Art damit umzugehen. Beispiel Bürgerbus: Weil der ÖPNV längst nicht mehr alle Ecken des Stadtteils anfährt, hat sich eine Initiative Ehrenamtlicher gegründet. Einmal stündlich fährt der Bus nun zu allen neuralgischen Punkten, bei den Fahrern handelt es sich meist um Rentner. „Das ist typisch“, sagt Max Schürmann. „Der Styrumer resigniert nicht, wenn es Probleme gibt. Er steht auf und ändert was.“