Dinslaken. Der Dinslakener Stadtteil Lohberg galt lange als Salafisten-Hochburg. Doch das ist nicht das einzige Problem dort. Eyüp Yildiz hält dagegen.
Wenn Eyüp Yildiz durch die Straßen seines Stadtteils läuft, dann trifft er immer irgendwen. Ein „Hallo“ hier, ein „Merhaba“ dort, in Dinslaken-Lohberg kennen sie ihn. Der 51-Jährige ist Sozialwissenschaftler und Lokalpolitiker, sitzt für die SPD im Stadtrat und ist stellvertretender Bürgermeister. Yildiz ist in Dinslaken geboren, kennt Lohberg und seine Bewohner. Denkt er an Lohberg, dann an seinen Vater, den Bergmann, an die Schließung der Zeche vor fast 15 Jahren, die für den Stadtteil ein einschneidendes Erlebnis war, und an den besonderen Duft auf den Straßen im Herbst. „Man kann teilweise die Kohle noch riechen“, sagt Yildiz. Für viele andere aber steht Lohberg für etwas ganz anderes.
Um dieses schlechte, alte, lästige Bild, das immer noch am Dinslakener Stadtteil Lohberg klebt, zu erahnen, reicht eine kurze Suchanfrage im Netz: Schnell tauchen da Bilder von Männern in Tarnkleidung und mit langen schwarzen Bärten auf – manche halten Sturmgewehre in ihren Händen, andere stehen vor der schwarzen Fahne der islamistischen Terrororganisation „Islamischer Staat“. Es ist erst wenige Jahre her, dass einige Söhne Lohbergs ihren Stadtteil bundesweit in Verruf brachten. Als „Lohberger Brigade“ ziehen sie im Jahr 2011 in den Bürgerkrieg nach Syrien. Der kleine Dinslakener Stadtteil, er gilt da schon längst als Salafisten-Hochburg.
„Lohberg ist viel mehr als sein Ruf“
Auch interessant
Ein Thema, über das der 51-Jährige nicht gerne spricht. „Es hat die Lohberger damals schwer getroffen.“ Mittlerweile, so glaubt er, spiele der Salafismus im Viertel keine Rolle mehr. Das Image aber, es bleibt, sehr zum Missfallen von Eyüp Yildiz: „Lohberg ist viel mehr als sein Ruf, es atmet durch die Leute, die hier wohnen und nicht durch ein paar entfremdete Jugendliche.“
Doch radikale Islamisten sind nicht das einzige Problem in der alten Bergarbeiter-Siedlung. Blickt man auf die Zahlen, zeichnet sich ein miserables Bild ab. Yildiz hat sie alle im Kopf: rund 5800 Menschen leben in Lohberg, 24 Prozent davon beziehen Arbeitslosengeld – rund 60 Prozent der Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund, fast die Hälfte sind Kinder und Jugendliche und junge Erwachsene unter 35 Jahren. Mehr als ein Fünftel der Einwohner ist unter 18 Jahren. Ein Drittel der Kinder lebt in Haushalten, deren Jahreseinkommen weniger als 15.000 Euro beträgt. Zahlen, die nachdenklich machen, aber „sie sagen nichts über die Seele Lohbergs aus“, ist sich Yildiz sicher. „Um Lohberg zu beschreiben, bräuchte man zahlreiche Buchbände.“
Umgang mit Lohberg sei „oberflächlich und verlogen“
Den Umgang mit seinem Stadtteil nennt der Lokalpolitiker „oberflächlich und verlogen“. Es gäbe kaum Interesse an den Menschen, die dort leben. Stattdessen würden Fördermittel – die durchaus in den Stadtteil fließen – für Projekte eingesetzt, die den Menschen vor Ort nur wenig oder gar nicht helfen, ist der SPD-Mann überzeugt. Wie etwa der Bergpark auf dem alten Zechengelände. Für viele Millionen Euro wurde hier ein Park mit Spielplatz und See geschaffen. „Um das Image zu verbessern“, so Yildiz, doch „was bringt mir das, wenn ich arbeitslos bin? Nichts.“
Solche Projekte seien ausschließlich für die Öffentlichkeit bestimmt, viele Lohberger würden aber schon längst merken, dass es nichts bringt. „Wir wollen hier keine Projektitis.“ Besonders negativ aufgefallen ist ihm eine Skulptur, mitten im Park. Ein großer Hase – knallrot. Es sei, als prallten hier Welten aufeinander. „Ein roter Hase wird die Probleme in Lohberg nicht lösen.“
Was stattdessen helfen könnte, davon ist der Sozialwissenschaftler überzeugt, sei gute und konstante Bildungsarbeit, die schon in der Kita beginnt. „Es ist falsch, erst dann anzusetzen, wenn die Schule vorbei ist.“ Denn ohne entsprechende Bildung sei es kaum möglich, einen Arbeitsplatz zu bekommen – gerade wenn man aus Lohberg kommt. Denn der Ruf des Stadtteils, er reiche bis in die Personalabteilungen.
Außerschulische Aktivitäten für Kinder und Jugendliche
Es ist aber nicht nur die Bildung in Kita und Schule, für die sich Yildiz stark macht, sondern auch für außerschulische Aktivitäten. Die bietet er gemeinsam mit der Caritas im Stadtteil an. Eine offene Tür für Kinder und Jugendliche, wo gespielt, gelacht, geredet, gekickert und an der Playstation gezockt wird. „Hier kommen jeden Tag rund 30 Kinder hin, türkische, deutsche, syrische.“ Serviert wird Tee, dazu frisches Obst. Aber auch Hausaufgabenhilfe und Bewerbungstraining gehören dazu. Als Mittel, um den Menschen in Lohberg zu helfen: „Alle Problemviertel weisen die gleichen Symptome auf: eine hohe Arbeitslosenquote und eine prekäre Bildungssituation.“ Das vorrangige Ziel der Arbeit: das Wir-Gefühl stärken. „Wir setzen uns ein für eine Gesellschaft, die zusammenwächst. Wir wollen sie zu Erwachsenen heranziehen, die sich für eine pluralistische Gesellschaft einsetzen, gegen Rassismus, gegen Frauenhass, gegen Antisemitismus.“ Denn die Gefahr besteht, dass Lohberg weiter abrutscht: „Ich befürchte, hier könnte ein Ghetto entstehen aus Erzkonservativen und radikalen Religiösen.“
Auch interessant
>>> NRZ-Serie „Kein Problem mit meinem Viertel“
Die Bundesregierung will für gleichwertige Verhältnisse sorgen. Doch welche Hilfe gibt es in den Problemvierteln? Wie gehen die Stadtteile mit ihrem angekratzten Image um? In unserem Schwerpunkt „Kein Problem mit meinem Viertel“ widmen wir uns diesen Fragen und zeigen auf, warum es Grund zur Hoffnung für die Zukunft gibt. Wir besuchen Viertel wie Duisburg-Hochfeld, Dinslaken-Lohberg oder Altkalkar.