An Rhein und Ruhr. Großstädte und kleine Gemeinden haben mit Verwahrlosung zu kämpfen, meint NRW-Heimatministerin Scharrenbach. Kommunalpolitik müsse hinsehen.
Soziale Schieflagen, eine hohe Arbeitslosigkeitsquote, Angsträume: In unseren Städte an Rhein und Ruhr gibt es Viertel, die abgehängt sind. Die Politik müsse sehr aufmerksam sein, um es erst gar nicht so weit kommen zu lassen, meint Ina Scharrenbach (CDU), NRW-Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung.
Frau Scharrenbach, wie definieren Sie Problemviertel?
Scharrenbach Es gibt eine Definition von Problemhäusern, die sich übertragen lässt. Es geht immer um Verwahrlosung, Missstände, die dazu führen, dass die Viertel aus dem Gleichgewicht fallen, oder eine Vielfalt von sozialen Belastungen. Ein schlechtes Image von Stadtteilen hält sich immer relativ lange, selbst wenn die Städte viel investieren und sich die Stadtteile im Positiven drehen.
Was macht das Land, um Kommunen dabei zu helfen, Problemviertel zu drehen?
Im Grunde beginnt die Förderung immer mit den Kommunen. Die stellen Anträge, wir schauen, welche wir bewilligen können. In Duisburg-Marxloh haben wir über die Städtebauförderung beispielsweise in diesem Jahr 18 Millionen Euro für den Aufbau eines Campus bewilligt. (Entstehen soll ein neuer Bildungsort, Anm. der Redaktion). Insgesamt wurden in diesem Jahr 155 Millionen Euro für zahlreiche Projekte im Ruhrgebiet bewilligt. Übrigens verbinden die Städte mit diesen Projekten immer auch den Klimaschutz. In den Ausschreibungen stehen oft auch energetische Optimierungen, mehr Grün oder die Einbindung von Wasser zur Steigerung der Aufenthaltsqualität.
Mit Problemvierteln einher gehen oft auch Schrottimmobilien. Was können Kommunen tun, wie unterstützt das Land?
Es gibt Städte, die mehr Wohnraum haben als sie brauchen. Das zieht Probleme nach sich, wie den Verfall von Mieten oder den Zuzug bestimmter Bevölkerungsstrukturen aus dem osteuropäischen Raum, zum Beispiel in Duisburg oder Gelsenkirchen. Die Frage ist: Wie will eine Kommune perspektivisch mit dem Problem, das sie nicht von jetzt auf gleich lösen kann, umgehen? Ein Viertel gleitet auch nicht von jetzt auf gleich ab. Deshalb ist wichtig, dass eine kommunale Politik wachen Auges früh hinguckt, wenn sich etwas verändert. Lasse ich das laufen, muss ich irgendwann mit ungeheuer viel Geld versuchen, zu stabilisieren.
Dann waren Revierstädte wie Duisburg, Essen, Dortmund nicht wach?
Das ist der Umkehrschluss. Aber inzwischen hat sich das verändert. Der Dortmunder Norden hat mit dem Entwicklungsprojekt Emscher Nordwärts eine klare Perspektive, in Essen ist das genauso. In Duisburg hatte das Thema über Jahre nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die notwendig gewesen wäre. So unterstützen wir als Landesregierung auch massiv die Bekämpfung der Clankriminalität.
Immer wieder hört man aber auch von Kommunen, dass es ist ein unglaublich bürokratischer Aufwand sei, an Fördergelder zu kommen. Ist das so?
Wir verhandeln mit dem Bund, dass es weniger Städtebauprogramme bei gleichem Geld gibt, die dafür aber flexibler im Einsatz sind. Dadurch soll die Bürokratie verringert werden. Wir hatten in der Vergangenheit auch immer wieder Kommunen, die auf gut Glück Förderbescheide beantragt haben, bis heute aber nicht Gelder verbaut haben. Das ist schwierig, weil wir ja dafür die Liquidität vorhalten müssen und andere Kommunen das Nachsehen haben, weil ihr Antrag abgelehnt wurde. Deshalb nehmen wir nur Förderanträge an, die bewilligungsreif sind und wo klar ist, dass die Kommune ihren Eigenanteil zahlen kann. Das haben die Kommunen verstanden. Sie wissen, dass sie nicht fünf, sechs Anträge stellen können, sondern priorisieren müssen. Und das bekommen die kleineren Städte oft besser hin, als die größeren.
Bei Problemviertel denken viele an Marxloh, Altendorf, die Dortmunder Nordstadt. Wie sieht es am Niederrhein aus?
Problemviertel sind nicht nur ein Großstadtphänomen. Es kommt auch in kleineren Gemeinden vor, dass es herausfordernde Viertel und verwahrloste Immobilien gibt, die auf das gesamte Dorf eine negative Ausstrahlung haben. Wir wollen den Kommunen die Möglichkeit geben, an diese Immobilien zu kommen und diese dann abzureißen, um Platz für Neues zu schaffen.
Viele Kommunen sind aber aufgrund ihrer Kassenlage finanziell nicht in der Lage, einen Eigenanteil aufzubringen. Finanzschwache Städte und Gemeinden fordern Bundes,- und Landeshilfen für den Altschuldenabbau. Berlin kündigte an, einen Beitrag leisten zu wollen. Und das Land?
Die Gespräche mit dem Bund laufen noch. Es reicht nicht, wenn nur NRW etwas erklärt, auch die anderen Länder müssen mitziehen. Wir versuchen gerade, eine gemeinsame Position zur Abstimmung zu bringen, so dass wir sprachfähig sind gegenüber dem Bund. Die Haushaltsregeln müssen für die Kommunen verändert werden, wenn es um die Wiederverschuldung geht. Die Herausforderung in NRW ist eine besondere, weil wir noch rund 22 Milliarden Euro an Kassenkrediten in den Kommunen haben. Rund 50 Prozent aller Kassenkredite bundesweit liegen in NRW. Ob und inwieweit sich der Bund beteiligt, ist noch nicht ganz so klar, wenn man auch sieht, dass die Beschlüsse zum Klimaschutzpaket 50 Milliarden Euro schwer sind. Das ist ziemlich viel Geld. Auch der Bund kann das Geld nur einmal ausgeben.
Jüngst ist die Stadt Neukirchen-Vluyn daran gescheitert, eine Schrottimmobilie per Zwangsversteigerung zu erwerben, weil der Eigentümer eine halbe Stunde vor der Verfahrenseröffnung seine Schulden beglich. Die Stadt befürchtet nun einen weiteren jahrelangen Stillstand. Bietet die Gesetzeslage den Kommunen genügend Handlungsspielraum?
Die Kommunen haben unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten. Die Schwierigkeit ist die Abwägung des Eigentumsschutzes, der durch das Grundgesetz geregelt ist. Es ist schwierig für die Kommunen, gegen Eigentümer anzugehen, die nicht wollen. Aber die Rechte gehen bis zur Enteignung. Es gibt bereits Kommunen, die Abrissverordnungen gegen Eigentümer durchziehen. Nordrhein-Westfalen hat sich massiv auf Bundesebene für Änderungen eingesetzt: Im Herbst beginnt ein neues Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Baugesetzbuches. Unter anderem sollen die Vorverkaufsrechte und die Fristen verändert werden.
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Im Mai berichtete die NRZ darüber, dass niederländische Firmen osteuropäische Leiharbeiter in maroden Häusern in den Grenzregionen am Niederrhein unterbringen. Das sorgte dort für Konflikte. Sie kündigten damals an, sich mit den betroffenen Kommunen in Verbindung zu setzen. Ist das passiert? Mit welchem Ergebnis?
Nach den ersten vorliegenden Rückmeldungen aus Kommunen des Kreises Kleve, versuchen die kommunalen Ordnungsbehörden, verschiedene Herausforderungen mit den Mietern und gegebenenfalls auch mit den Vermietern im Dialog zu lösen. Zudem finden regelmäßige Kontrollgänge statt. Mit der Landesbauordnung und dem Wohnungsaufsichtsgesetz haben die Kommunen einen entsprechenden Instrumentenkasten gegen Missstände. Wie angekündigt, wird das Ministerium dem Sachverhalt weiter nachgehen. Dazu befinden wir uns im Austausch – auch mit der niederländischen Seite - und werden dazu weiterhin mit allen Beteiligten Gespräche führen.