Im Rheinland. Wären Enteignungen für Braunkohle angesichts der Energiewende noch statthaft? Garzweiler-Anwohner wollen das notfalls juristisch klären lassen.

RWE muss sich auf eine juristische Auseinandersetzung zum Tagebau Garzweiler II einstellen, falls der Energieriese dort noch - wie geplant - mehrere Ortschaften wegbaggern will. Eine Gruppe von Anwohnern will dann anhand eines Grundstücks vorm Dorf Keyenberg beispielhaft geklärt wissen, ob angesichts von Energiewende und geplantem Kohleausstieg Enteignungen noch statthaft sind.

Rechtsanwalt Dirk Teßmer, der u. a. für den Umweltverband BUND schon mehrere Kohleentscheidungen in NRW juristisch ausgefochten hatte, hat dem Energiekonzern an diesem Montag (30. September 2019) schriftlich angezeigt, dass „unsere Mandanten der RWE Power AG dieses Grundstück zu keinem Preis verkaufen oder anderweitig zum Zwecke bergbaurechtlicher Inanspruchnahme überlassen werden“.

Anwalt: RWE kann sich nicht mehr aufs Allgemeinwohl berufen

Der Anwalt forderte den Konzern auf, bei den Behörden ein Enteignungsverfahren anzustrengen, falls man die Ortschaften nicht vom Bagger verschonen wolle. Dagegen will man dann juristisch vorgehen. Eine Enteignung ist ein tiefer Grundrechtseingriff. Jurist Teßmer und die insgesamt zwölf Eigentümer aus neun Familien zeigen sich überzeugt, dass RWE sich nicht mehr das notwendige „Allgemeinwohl“ berufen könne - im Gegenteil. Für eine Sicherstellung der Stromversorgung sei man auf die unter den Dörfern liegende Braunkohle nicht angewiesen.

https://www.nrz.de/meinung/die-gruenen-ambitionen-von-rwe-und-die-garzweiler-doerfer-id227244731.htmlRWE verwies in einer ersten Stellungnahme darauf, dass die Kohlekommission die laufenden Umsiedlungen im Rheinischen Revier nicht in Frage gestellt habe. Ausdrücklich widersprach der Konzern der Aussage, dass die Braunkohle nicht mehr benötigt werde. Die Kohle unter Keyenberg werde schon in den frühen 20er Jahren für den Betrieb der verbleibenden Kraftwerks- und Veredlungsbetriebe gebraucht. Ein RWE-Sprecher erinnerte daran, dass die Nutzung der Braunkohle laut Kohlekommission erst 2038 auslaufen soll.

Umsiedlung ist laut RWE weit fortgeschritten

Keyenberg, Kuckum, Berverath, Unter- und Oberwestrich: Diese fünf Erkelenzer Stadtteile sowie die Aussiedler-Bauernhöfe Holzweiler Höfe sollen dem zwischen Mönchengladbach und Köln gelegenen Tagebau Garzweiler II noch weichen. Garzweiler ist mit einer jährlichen Kohleförderung von zuletzt rund 35 Millionen Tonnen der zweitgrößte der drei Tagebaue im Rheinischen Revier. Laut RWE lebten in den fünf Ortschaften mit insgesamt 584 Anwesen einstmals 1.550 Einwohner. Die Umsiedlung ist weit fortgestritten.

Der Energiekonzern ist nach eigenen Angaben mit 70 Prozent der Eignern einig und mit weiteren 16 Prozent im Gespräch. Erst jüngst hatte man die Flächen die katholischen Pfarrei Christkönig übernommen (was von Kohlegegnern scharf kritisiert wurde). Mit Erkelenz Nord soll ein neues gemeinsames Dorf entstehen. RWE sieht den neuen Standort „gut angenommen“: Über 50 Häuser seien schon fertig, weitere 120 in Bau oder Planung.

„Wir werden unser Zuhause nicht freiwillig verlassen“

Schaufelradbagger arbeiten sich durch das Erdreich: Garzweiler II ist der zweitgrößte der drei Tagebaue im Rheinischen Revier.
Schaufelradbagger arbeiten sich durch das Erdreich: Garzweiler II ist der zweitgrößte der drei Tagebaue im Rheinischen Revier. © dpa | Federico Gambarini

Aber: Es wollen eben längst nicht alle gehen. Marita Dresen bewohnt mit Mann, Kindern und Eltern sowie Pferden und Hühnern einen aus dem 17. Jahrhundert in Familienbesitz befindlichen Bauernhof in Kuckum. Einen alten Stall hat sie zusammen mit ihrem Mann nach der Heirat vor 28 Jahren als Wohnhaus umgebaut. „Mir blutet das Herz, wenn ich mir vorstelle, dass ich mein bis hierhin gesamtes Leben im Loch eines Braunkohlebaggers verschwinden soll“, sagt Dresen. Sie kündigte an diesem Montag an: „Wir werden unser Zuhause nicht freiwillig verlassen!“

Und deshalb soll nötigenfalls geklärt werden, ob eine Enteignung rechtmäßig wäre. Direkt betroffene Anwohner wie Dresen, aber auch Nachbarn aus Grubenranddörfern haben sich in einer Solidargemeinschaft namens „Menschenrecht vor Bergrecht“ zusammengefunden und die Eigentümerschaft an eben jenem einem strategisch günstig gelegenen Grundstück vor Keyenberg unter sich aufgeteilt. Keyenberg ist das Dorf, das 2023 besenrein sein soll und dann als erstes der fünf in der Grube aufgehen würde.

Letzte juristische Klärung war 2013

„Ein Umsiedlungsschicksal stellt eine unglaubliche Härte dar“, sagt Anwalt Teßmer. Die letzte Enteignung im Tagebaugebiet nebst juristischer Klärung ist lange her. 2013 erkannte das Bundesverfassungsgericht die Zwangsabtretung der einst vor Otzenrath gelegenen BUND-Streuobstwiese für verfassungswidrig – allerdings erst im Nachhinein. Jurist Teßmer erklärte, dass man jetzt gerne auf einen Rechtsstreit verzichten könne, falls RWE erkläre, die Ortschaften zu verschonen. Der Energiekonzern müsste dann auf die Kohle unter den Dörfern verzichten und die Förderung in Garzweiler II runterfahren.

Vertreter der Solidargemeinschaft forderten die schwarz-gelbe Landesregierung auf, entsprechend auf RWE einzuwirken. Die Empfehlung der Kohlekommission, mit Betroffenen im Garzweiler-Gebiet den Dialog zu suchen, verstehen sie so, dass es gegen den Willen von Betroffenen keine Umsiedlung geben dürfe, also keine Enteignungen.