Kreis Wesel/Duisburg. Niederrheinische IHK und Branchenverband Vero schlagen neun alternative Standorte für Kiesabbau vor. Einer davon liegt nicht im Kreis Wesel.
Im Streit um den Kiesabbau am Niederrhein versucht die Wirtschaft, die verhärteten Fronten zu lösen. Im Vorfeld der am 8. Oktober in Wesel geplanten Abgrabungskonferenz haben Niederrheinische IHK und Rohstoffverband Vero eine Liste von neun alternativen Abbaustandorten vorgelegt. Mit dem Mündelheimer Rheinbogen in Duisburg liegt erstmals in der laufenden Diskussion auch ein Gebiet außerhalb des Kreises Wesel. Vero-Vertreter deuteten auf Nachfrage an, dass es auf Duisburger Stadtgebiet weitere Optionen gäbe.
Industrie- und Handelskammer wie auch Branchenverband wollen die Liste ausdrücklich als Versuch verstanden wissen, mit Kritikern wieder ins Gespräch zu kommen. Auf Druck der Landesregierung hat der für die Planung zuständige Regionalverband Ruhr (RVR) Kommunen, Wirtschaft und Bürgerinitiativen für den 8. Oktober eingeladen. Vertreter mehrerer Kommunen und Initiativen hatten bereits erklärt, die Konferenz zu boykottieren.
Kies-Kritiker Landscheidt sieht „strategisches Manöver“
Christoph Landscheidt (SPD), Kamp-Lintforter Bürgermeister, will daran auch festhalten. „Stand jetzt kann ich niemandem empfehlen, dahin zu gehen“, sagte Landscheidt an diesem Donnerstag (26. September 2019) auf Nachfrage der Redaktion.
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Die Alternativvorschläge der Wirtschaft wertete er als strategisches Manöver: „Durch sie wird kein Quadratmeter weniger ausgekiest.“ Die Region brauche „nicht noch den 120. Baggersee“. Auch Günter Rinke vom Umweltverband BUND meinte: „Über einzelne Flächen zu reden, macht jetzt keinen Sinn.“ Erst müsse über Grundsätzliches wie den tatsächlichen Kiesbedarf diskutiert werden.
Bei der IHK hat man dafür kein Verständnis: „Sich der Suche nach Kompromissen zu entziehen, ist bedenklich“, meinte Hauptgeschäftsführer Stefan Dietzfelbinger an diesem Donnerstag. Weil bestehende Abgrabungen auslaufen, ohne neue Planung aber keine neuen Fördergebiete in Sicht sind, wachse der Druck auf die für die Region traditionsreiche Kiesbranche. Rund 16.000 Arbeitsplätze seien mit ihr direkt oder indirekt verbunden.
Genehmigungsverfahren dauern im Schnitt fünf bis zehn Jahre
Allein in den nächsten fünf Jahren laufen nach Vero-Angaben zehn Kieswerke aus – eben weil Vorkommen erschöpft sind und Genehmigungen enden. Angesichts der anhaltend guten Konjunktur, etwa beim Straßenbau, sei das eine bizarre Situation: „Kies und Sand werden gebraucht, das wird sich nicht ändern“, meinte Vero-Hauptgeschäftsführer Raimo Benger. Er verwies darauf, dass es nach der Ausweisung neuer potenzieller Flächen noch einmal fünf bis zehn Jahren vergehen, bis wirklich gegraben werden kann. Solange dauerten erfahrungsgemäß Genehmigungsverfahren.
Folgende Bereiche bringen IHK und Vero als sogenannte Bereiche zur Sicherung und zum Abbau von Bodenschätzen (BASB) ins Gespräch, also als potenzielle Abgrabeflächen:
- In Wesel-Ginderich könnte das Pettenkaul-Kieswerk erweitert werden. Es geht um eine Fläche von brutto 80 Hektar, eine Erschließung ist vorhanden. IHK und Vero sehen nur geringes Konfliktpotenzial.
- In Wesel-Bislich-Vahnum (62 Hektar) halten die Wirtschaftsvertreter eine Abgrabung in Verbindung mit einer Hochwasserschutzmaßnahme für denkbar. Probleme könnte es mit dem Artenschutz geben.
- Ebenfalls in Wesel-Bislich könnte es eine Erweiterung (100 Hektar) im Bereich Leckerfeld geben. Auch dort wird nur geringes Konfliktpotenzial gesehen.
- In Duisburg könnte sich die Branche vorstellen, im Mündelheimer Rheinbogen auf brutto 92 Hektar graben. Der Bereich würde lange Sicht ohnehin zur Baustelle, wenn die nötige neue Rheinbrücke kommt. Eine Erschließung wäre über die B 288 möglich, die nächste Wohnbebauung liegt weit ab.
- In Rheinberg könnte eine kleinere Fläche (13 Hektar) im Bereich Alte Landstraße die bestehende Abgrabung Gelinde II ergänzen. Die Wirtschaftsvertreter betonen den hohen Kiesanteil in dem Gebiet.
- In Kamp-Lintfort schlagen IHK und Vero eine ebenfalls kleinere Fläche (elf Hektar) an der Nordtangente vor, die eine bestehende Abgrabung ergänzen soll. Auch dort wird der hohe Kiesanteil betont.
- Ebenfalls in Kamp-Lintfort kann sich die Branche auf brutto 38 Hektar eine Grabung am Landwehrgraben vorstellen. Das Konfliktpotenzial mit der Bevölkerung wird als „unklar“ bewertet.
- In Neukirchen-Vluyn regen IHK und Vero eine Grabung (50 Hektar) im Bereich Geldernsche Straße an. Eine Erschließung sei vorhanden.
- In Hünxe-Bruckhausen wird auf 28 Hektar eine Grabung im Bereich Schwarzer Weg vorgeschlagen. Über den Tenderingsweg sei verkehrstechnisch eine Anbindung an die B8 möglich. Auch in diesem Bereich wird der hohe Kiesanteil betont. In der Nähe gibt es eine bestehende Abgrabung.
IHK und Vero wollen die Flächen als Vorschläge zur fachlichen Prüfung verstanden wissen. Es gelte die Möglichkeiten zu nutzen, welche sich durch die Änderung des Landesentwicklungsplanes böten, hieß es. Andere Gebiete sollen den Vorstellungen zufolge aus den vom RVR vorgelegten Planungen genommen werden - so die 44 Hektar große Fläche an der Marienthaler Straße in Wesel-Obrighoven. die beiden Gebiete von brutto 22 und 38 Hektar an der Bönnighardt in Alpen sowie das Wickrather Feld mit 85 Hektar in Kamp-Lintfort. In diesen vier Bereichen sehen die Wirtschaftsvertreter ein hohes Konfliktpotenzial. Zudem sind Firmen von den Flächen alles andere als überzeugt, was die erwarteten Rohstoffe betrifft („hier liegt überhaupt kein Kies“). In einem Fall verliefen zudem Hochspannungstrassen durch das Gebiet. Man sei erstaunt gewesen, dass der RVR diese Flächen überhaupt vorgebracht habe.
Wirtschaft: Der 8. Oktober kann nur ein erster Aufschlag sein
Die Einladungsliste ist lang
Die Abgrabungskonferenz soll am 8. Oktober im Kreishaus stattfinden. Die Einladungsliste Liste ist lang, es gibt aber auch schon erste Absagen aus Kommunen. Eingeladen sind laut RVR: Einladungen die Hauptverwaltungsbeamten der kreisangehörigen Kommunen, des Kreises und der Stadt Duisburg, Vertreter des zuständigen Ministeriums und der Bezirksregierung Düsseldorf, die Ratsfraktionen des Kreistags sowie die beim RVR, der Geologischer Dienst NRW, die Niederrheinische Industrie- und Handelskammer, die Landwirtschaftskammer, das Landesbüro der Naturschutzverbände NRW, der Rheinischer Landwirtschafts-Verband, die Bürgerinitiativen Niederheinappell, Eden e.V., IG Dachsbruch, Heier Kiesgegner Bönninghardt, IG Kiesgegner Alpen/Millingen, VSR-Gewässerschutz e.V., Auskiesungsgegner Rheinberg Vierbaum, IG-Bedburg-Hau, der Verband der Bau- und Rohstoffindustrie (Vero) sowie die in der Region tätigen Abgrabungsunternehmen. (dum)
Ohnehin gibt es seitens der Wirtschaft scharfe Kritik an dem für die Planung zuständigen RVR mit seinem ohnehin unter Druck geratenen Chefplaner Martin Tönnes (Grüne). Der Konflikt um den Kies sei ohne Not entstanden, ist Vero-Hauptgeschäftsführer Raimo Benger überzeugt. Irritationen hätten sich laut Benger vermeiden lassen, wenn die Wirtschaft im Vorfeld so beteiligt gewesen wäre wie zum Beispiel im Bereich der Bezirksregierungsregierung Köln, wo es mehrere Abgrabungskonferenzen gab. Für Vero wie IHK ist klar, dass der Termin am 8. Oktober auch nur ein erster Aufschlag sein kann, weitere Konferenzen müssten folgen.
Der RVR hatte auf Abgrabungskonferenzen bislang verzichtet. Dem Vernehmen nach hatte man die Wirtschaft über sogenannte „Fachdialoge“ auch so genügend beteiligt gesehen. Man respektiere aber, dass das Land jetzt betont habe, dass es solche Konferenzen geben solle, hieß es. Kamp-Lintforts Bürgermeister Landscheidt aber stellt gegenüber der Redaktion den Sinn solcher Treffen infrage: „Ansprechpartner ist für mich die Planungsbehörde und nicht die Kies-Lobby.“ Einzelne Gebiete und Kommunen dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Kritiker: Kiesabbau muss reduziert werden
Landscheidt kritisierte scharf, dass sich die IHK bei den Vorschlägen jetzt an die Seite der Kiesbranche gestellt habe. Am Niederrhein verursache der Kiesabbau immer wieder tiefe Eingriffe in Natur und Landschaft. Die Kommunen hemme er bei der Entwicklung neuer Gewerbegebiete. Die schwarz-gelbe Landesregierung komme der Kiesbranche durch die Ausweitung der Versorgungszeiträume entgegen, so Landscheidt. Ziel müsse aber sein, den Kiesabbau zu reduzieren. Kamp-Lintforts Bürgermeister setzt dabei auf die geplante Klage gegen den Landesentwicklungsplan. Der Kreisausschuss in Wesel gab an diesem Donnerstag am späten Nachmittag grünes Licht für eben diese Klage.