An Rhein und Ruhr. In Apotheken in NRW fehlen immer mehr Medikamente, weil Hersteller nicht genug liefern können. Apotheker: „Die Situation ist fürchterlich.“
„Manche Kunden meinen, wir erzählen ihnen Märchen, wenn wir sagen, dass ein Medikament nicht lieferbar ist.“ Michael Jilek klingt beinahe resigniert. Bei bis zu 300 Medikamenten beobachtet der Weseler Apotheker Lieferschwierigkeiten. Das führt nicht nur zu Unverständnis, sondern auch zu jeder Menge Erklärungsbedarf: „Wo wir eigentlich Beratungsgespräche führen wollen, müssen wir erklären, warum Kunden bestimmte Mittel nicht bekommen können.“
Hinzu kämen Telefonate mit Ärzten, Praxen und Lieferanten, um geeignete Ausweichpräparate zu finden: „Dabei gehen locker 20 bis 30 Stunden pro Woche drauf“, rechnet Jilek vor. Eine Besserung sei derzeit nicht in Sicht, sagt auch sein Essener Kollege Rolf-Günther Westhaus. „Die Kunden kennen teilweise die Erklärungsnöte von uns Apothekern schon.“ In den meisten Fällen, so Westhaus, könnten die Kunden doch noch zufrieden gestellt werden, häufig mit entsprechenden Ersatzmedikamenten.
Lieferengpässe belasten Apotheker in NRW
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Dafür würden größere Apotheken Medikamente teilweise auf Vorrat bestellen, wenn diese dann mal wieder lieferbar sind, sagt Westhaus. Kleinere Apotheken ohne entsprechende Lagerkapazitäten könnten das aber nicht leisten.
Besonders eng werde es, wenn bei bestimmten Wirkstoffen ganze Lieferungen ausfallen, weil diese etwa in der Herstellung verunreinigt wurden. Hier komme es schnell zu einer Abwärtsspirale, weil Apotheken und Kunden auf Ersatzprodukte zurückgreifen müssen, die dann selbst schnell vergriffen seien. Wirkstoffe verschwinden so für eine gewisse Zeit fast komplett vom Markt, erklärt Westhaus. Betroffen sind dann fast alle Apotheken, sagt Michael Jilek: „Bei uns ist die Situation genau so fürchterlich wie überall.“
Die Zahl der Medikamente wie Schmerzmittel oder Blutdrucksenker, die Hersteller nicht an Apotheken liefern können, ist gestiegen. 9,3 Millionen Packungen sind 2018 nicht geliefert worden. Das entspricht fast einer Verdoppelung zum Jahr 2016 (5 Millionen Packungen).
Arzneimittelknappheit frisst viel Arbeitszeit
Dem aktuellen Apothekenklima-Index zufolge wendet jeder fünfte Inhaber mehr als 20 Prozent dafür auf, die Arzneimittelknappheit zu managen. Dazu gehört zum Beispiel die Kontrolle von Arzneiverfügbarkeiten und die Beschaffung von Ersatzmedikamenten, die immer schwieriger wird. Der Anstieg der Lieferengpässe ist besonders mit dem Blutdrucksenker Valsartan verbunden. In dem Wirkstoff sind 2018 Verunreinigungen festgestellt worden.
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Für die Patienten bedeute eine Medikamentenumstellung immer eine Belastung, erklärt Mathias Arnold, Vizepräsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA).Auf die Frage nach den größten Ärgernissen ist im Apothekenklima-Index, einer Umfrage unter 500 Apothekeninhabern, der Lieferengpass auf Platz zwei vorgerückt. 91,2 Prozent der Befragten benennen die Engpässe (2018: 57,5%) nach dem bürokratischen Aufwand (92,6%).
Wirkstoffe werden häufig in Fernost hergestellt
Das Problem, dass Medikamente – vor allem Schmerzmittel, Blutdrucksenker und Antidepressiva – nicht zu haben sind, wird sich so auf kurze Sicht nicht gänzlich lösen, prognostiziert Mathias Arnold. Um dem Problem Herr zu werden, hat die Apothekenvereinigung Forderungen an die Politik formuliert.
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Dazu gehört, dass Hersteller Lieferengpässe umgehend bekannt geben müssen. Bislang sei diese Information freiwillig. Außerdem sollten Krankenkassen Rabattverträge mit mehreren Herstellen statt nur mit einem abschließen. So könnten Apotheken ein Medikament leichter austauschen können.
Die Forderung, die Produktion von Wirkstoffen nach Europa zu verlagern, lasse sich allerdings nicht kurzfristig umsetzen, meint Arnold. Bislang werden die Wirkstoffe häufig in Fernost hergestellt. Kommt es dort zu technischen Problemen, sei gleich ein ganzer Markt betroffen. Weiteres Problem: Da in Deutschland Medikamente im EU-Vergleich günstig seien, werden sie aufgekauft und in anderen Ländern auf den Markt gebracht.
Das E-Rezept verändert die Branche
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Das alles in einer Zeit, in der sich die Branche gravierend verändern wird. „Vorne am Verkaufstresen sieht man immer noch den weißen Kittel, aber im Hintergrund verändern sich die Dinge gravierend“, sagt Werner Heuking, Pharmazeut aus Dinslaken. Denn die Einführung des elektronischen Rezeptes wird den Alltag von Apothekern und Kunden stark verändern. „Es ist etwas vollkommen neues.“
Statt dem Patienten ein Papierrezept in die Hand zu drücken, soll der Arzt es demnächst direkt an die Apotheke schicken können. „Den Papieraufwand zu minimieren, ist nicht falsch“, sagt Heuking, „aber jede Apotheke benötigt dann die entsprechende Soft- und Hardware.“
Apotheken bekommen Konkurrenz aus dem Internet
Vor der Einführung gelte es aber noch entsprechende Unwägbarkeiten in den Griff zu kriegen. „Bei vielen Patienten gibt es große Unsicherheiten beim Thema E-Rezept“, so Heuking. Und auch bei Apothekern kocht das Thema hoch: „Das Rezept ist untrennbar verbunden mit dem Verbot vom Versand verschreibungspflichtiger Medikamente“, sagt Jilek. Käme das nicht, könnten noch mehr Kunden zu Versandapotheken wechseln, so die Sorge. Das wären keine guten Aussichten für viele Apotheker vor Ort.