Dinslaken/Voerde/Hünxe. . In zehn Jahren wird es in Dinslaken nur noch zehn Apotheken geben, schätzt der Sprecher des Apothekerverbands. Jetzt schloss die Hagen-Apotheke.
„Danke für Ihre Treue! Wir waren gerne für Sie da!“ So verabschiedet sich die Hagen-Apotheke in Dinslaken laut Aushang von ihrer Kundschaft. Dass Teile der Einrichtung zu verkaufen sind, steht auf einem Zettel daneben, außerdem ein Schreiben der Genossenschaft, die ihr Bedauern über das Aus der Apotheke an der Ernst-Moritz-Arndt-Straße ausdrückt. Ein Standardbrief offenbar, denn immer mehr Apotheken schließen. In zehn Jahren wird es in Dinslaken nur noch zehn Apotheken geben, schätzt Werner Heuking, Apotheker in Dinslaken und Sprecher des Apothekerverbands Nordrhein.
Diese Apotheken sind auch betroffen
In Dinslaken haben zuletzt die Bahnhofsapotheke und die Ringapotheke in Hiesfeld aufgegeben – letztere hat einen Käufer gefunden – auch die Sonnen-Apotheke an der Neustraße steht seit Jahren leer. In Hünxe schloss die Apotheke am Rathaus, in Voerde sucht aktuell die Niederrhein-Apotheke einen Nachfolger.
Auch die Hagen-Apotheke habe zwei Jahre lang nach einem Nachfolger gesucht, erzählt eine Angestellte, die am Montag eine Kiste aus dem Lokal holt – vergeblich. Gerade für die Nahversorgung älterer, nicht mobiler Bürger im Hagenbezirk, die zuletzt schon die Schließung der Sparkassen-Filiale nebenan hinnehmen mussten, ist das bitter: Die nächste Apotheke ist in der Innenstadt.
Das sind die Gründe
Apothekerin Susanne Herkner-Guillen von der Niederrhein-Apotheke in Voerde geht davon aus, dass sie ihre Apotheke im Sommer schließt. Nach zehn Jahren wechselt sie ins Angestelltenverhältnis.
Der Aufwand stehe in keinem Verhältnis zu den Erträgen, fasst sie zusammen, was verschiedene Ursachen habe: Der Versandhandel in den Niederlanden etwa, der Rabatte weitergeben dürfe aber nicht so strengen Prüfungen unterläge wie deutsche Apotheken. Die Versandapotheken ließen die Kunden von der geringeren Mehrwertsteuer (sechs Prozent in NL, in Deutschland 19 Prozent) profitieren. Heuking findet das „unethisch“, denn diese Boni „gehören ja eigentlich dem Sozialversicherungswesen“. Beratung und Aufklärung fänden im Übrigen nicht statt.
Rabattverträge verursachen Verwaltungsaufwand
Weiterer Grund: Die Arzneimittel-Rabattverträge würden den Krankenkassen seit 2007 Ersparnisse bescheren, während der administrative Aufwand und der Erklärungsbedarf den Patienten gegenüber bei den Apotheken verbleibe, so die Apothekerin aus Voerde. Die Statistik der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände zählte 2017 über 27.000 Rabattverträge, die vorschreiben, welches Medikament von welcher Firma der Versicherte von seiner Krankenkasse erstattet bekommt. Das sei bundesweit in knapp zwölf Millionen Datensätzen erfasst worden. „Das sind Milliardensummen, die die Krankenkassen durch die Apotheken eingetrieben bekommen“, ärgert sich Werner Heuking. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände spricht von vier Milliarden.
Verdienste sind reglementiert
Die Verdienste der Apotheker seien hingegen reglementiert: drei Prozent des Einkaufspreises plus 8,35 Euro Beratungspauschale pro Medikament. Der Gesetzgeber wollte „die Apotheke vom Preis abhängen, damit sie nicht mehr darauf aus ist, möglichst teure Medikamente zu verkaufen“, so Heuking, der den Gedanken im Prinzip nicht falsch findet. Die Folge sei aber, dass Apotheken möglichst viele Medikamente am Tag verkaufen müssen, um überleben zu können. Wenn er am Tag ein Medikament für 20.000 Euro verkaufe „habe ich abends 20.000 Euro umgesetzt aber nur 8,35 Euro verdient“, rechnet Heuking. Das passe „nicht in eine moderne Zeit, in der Arzneimittel immer teurer werden“.
Retaxation birgt Risiko
Auch die Retaxation könne für kleine Apotheken zum großen Problem werden. Wenn die Kasse die Erstattung eines Medikaments verweigert, das die Apotheke ausgegeben hat, bleibt die Apotheke auf den Kosten sitzen. In der Anfangszeit der Rabattverträge sei das in der Niederrhein-Apotheke bei zwei jeweils 3000 Euro teuren Medikamenten geschehen, berichtet Susanne Herkner-Guillen. Dieses Risiko wollen viele kleine Apotheken nicht tragen, weiß Heuking.
Blick in die Zukunft
In zehn Jahren, schätzt der Sprecher der Apothekenkammer Nordrhein, werde es in Dinslaken „wenn es hoch kommt“ noch zehn Apotheken geben. Innerhalb der vergangenen fünf Jahre hätten vier Apotheker in Dinslaken aufgegeben. Aktuell versorgen 15 Apotheken die rund 70.000 Menschen in Dinslaken. In Voerde (rund 37.000 Einwohner) sind es sieben Apotheken, in Hünxe (etwa 13.000 Einwohner) drei. In NRW gab es nach Zahlen der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände Ende 2017 24 Apotheken pro 100.000 Einwohner. Im Kreis Wesel waren es nur 22. Im europäischen Schnitt versorgen 31 Apotheken 100.000 Einwohner.
Heuking warnt vor Versorgungs- und Beratungsengpässen außerhalb der Innenstädte. „Wir müssen viel stärker auf Beratung und Zuwendung setzen, aber das können kleine Apotheken immer weniger leisten. Sie müssen möglichst viele Verpackungen am Tag verkaufen um 8,35 Euro mal X als Verdienst zu bekommen.“