Essen. Im Gespräch über Talebs Flucht aus Syrien und die Begegnung mit Viktoria hört unser Autor schon romantische Geigen spielen. Und Peter Alexander.

Mein Oberstübchen ist mitunter eine Gummizelle. Es versucht mir hinter bestimmte Bilder, die das Auge liefert, stets den entsprechenden Soundtrack zu legen. Manchmal passt das prima. Dann höre ich etwa beim Befahren einer Allee Musik von James Taylor, schöne Stimmung, vielen Dank.

Jetzt aber kam es wieder zu einer eher peinlichen Einspielung. Ich sitze Taleb und Viktoria gegenüber, die beiden erzählen mir von ihrer jungen Liebe, klar sind sie dabei auch etwas turtelig, aber ich bin dann doch erstaunt, als ich folgendes Musikstück vernehme, erst leise, dann lauter werdend: Verliebte muss man gar nicht erst in Stimmung bringen, die sind‘s ja schon. Peter Alexander. 60er-Jahre. Man glaubt es nicht. Mal sehen, wie das weitergeht…

„Ich war neugierig, wollte die Geschichten der Flüchtlinge hören.“

Peter Alexander war nie in Aleppo. Dort beginnt unsere Geschichte aber. Vor sechs Jahren etwa. Taleb studiert Elektro-Technik. Als die Uni bombardiert wird, verlässt er Syrien, geht in die Türkei, arbeitet in einer Fabrik, bleibt ein Illegaler, die Eltern aber wollen eine Zukunft für den Jungen, kratzen Geld zusammen, er wird im Sommer 2015 Teil des großen Trecks gen Westen. Mit dem Schlauchboot nach Kos, durch Mazedonien und Serbien, der lange Marsch durch Ungarn. Mit dem Zug nach München. Blumen am Bahnhof. Willkommen. Gab es damals eine kurze Zeit. Flüchtlingsheim Aachen, Flüchtlingsheim Essen.

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Die Begegnung. Viktoria hatte ihren Vater begleitet, der als Ehrenamtlicher half. „Ich war neugierig, wollte die Geschichten der Flüchtlinge hören.“ Mit Taleb kommt sie eher zufällig ins Gespräch. Auch weil er Englisch spricht. Sie verabreden, sich Mails zu schreiben. Näher interessiert war Viktoria nicht. „Er war mir zu alt. Ich war ja erst 17. Ich wollte dann auch das Schreiben stoppen, weil ich keine falschen Hoffnungen machen wollte.“ Aber Taleb ist zäh. Er lässt nicht locker.

Der Glaube als Hürde?

Ein Jahr lang schreiben sie sich. Viktoria ist beeindruckt und denkt um: Gib ihm eine Chance. Dann endlich das Treffen und das komplette Feuerwerk. „Verknallt, verliebt, Liebe.“ Viktorias Kurzversion. Taleb hat inzwischen die deutsche Sprache schon recht gut in den Griff bekommen bis hin zur Marotte. Er beginnt wie alle jungen Leute jeden zweiten Satz mit „genau“. Inzwischen hat er eine Aufenthaltsgenehmigung, bekommt bald BAFöG und studiert dann wieder Elektrotechnik, Viktoria macht jetzt nach dem Abitur eine Ausbildung zur Kauffrau.

Sie haben schon einen Masterplan für die gemeinsame Zukunft. Keine Hürde, die ihnen unüberwindbar scheint. Viktoria ist Christin, Taleb Moslem. Na und? Es ist derselbe Gott. Wo ist das Problem? Mein Kopfradio spielt: Kann denn Liebe Sünde sein? Ruhe da oben.

Unterstützung kommt von beiden Familien

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Wichtig dagegen: Die Eltern jeweils freuen sich über das Glück ihrer Kinder, unterstützen sie. In Essen, von Syrien aus. Viktoria hofft, die Familie des Liebsten irgendwann mal besuchen zu können. Noch ist nicht daran zu denken. Zu gefährlich. Auch die Freunde stehen hinter dem Paar. Taleb lächelt, Viktoria lächelt. Und du ahnst: Hier sind die wichtigsten Grenz-Pflöcke schon alle gesetzt. Viktoria legt ihre Hand auf seinen Arm. Und die beiden versichern mit dem Brustton der Verliebten, dass es allein entscheidend sei, im anderen den gefunden haben, der sie einzig und am besten versteht.

Und jetzt noch überall Geigen. Also wirklich.