Wesel. . Raus aus der Preußen-Uniform! Das neue Landesmuseum widmet sich nun der Geschichte einer spannenden Region der Einwanderer. Sonntag ist Eröffnung

Vorm Haus dröhnen Gärtner mit ihren Rasenraspelmaschinen, am Empfang sperren die Damen Stofftierchen in kleine Kisten, zutzeln Kopfhörer für Audioguides aus Plastikfolien, drapieren Bücher in Glasvitrinen und in den Museumsräumen stehen Handwerker mit Akkuschrauber vor den letzten Holzkisten mit Schaustücken, die bis Sonntag endgültig ihren Platz finden müssen.

Kein Wunder, dass Museumsdirektor Veit Veltzke kaum ruhig auf seinem Platz sitzen kann bei der Eröffnungspressekonferenz; nicht nur, weil er die lautstarken Gartenarbeiten dämpfen will. Im Haus verbreitet sich die typische Hektik eines Umzugstages – obwohl man eigentlich in alten Gemäuern sitzt.

Aus der steifen preußischen Uniform befreit

Das vor gut 20 Jahren eröffnete Preußenmuseum in der alten Zitadelle feiert Wiederauferstehung als „LVR-Niederrheinmuseum Wesel“. Hier scheint die böse Redensart von der Krise als Chance tatsächlich mal ihre Berechtigung zu haben. Weil in der Null-Zins-Phase seit der Bankenkrise die Stiftung für die Preußenmuseen in Minden und Wesel nicht mehr genug Geld für den Betrieb abwarf, mussten neue Träger her – damit kam der neue Name und das neue Konzept.

Niederrheinische Schätze erzählen Geschichten – und die sind manchmal ziemlich brutal.
Niederrheinische Schätze erzählen Geschichten – und die sind manchmal ziemlich brutal.

Für das Museum lautet die Chance: Der LVR übernimmt und das Preußenmuseum wird Landesmuseum für den Niederrhein – Sonntag ist Eröffnung. Endlich, muss man sagen, und das aus zweierlei Gründen. Erstens sollte alles wie immer früher und günstiger fertig geworden sein – wie so oft bei Sanierung von Heizung, Lüftung und Brandschutz. Am Ende flossen 5,24 Millionen Euro für das runderneuerte Museum.

Zweitens, weil es wirkt, als befreie sich das Haus aus einem Korsett, aus einer steifen Uniform, die die Konzentration auf die preußische Geschichte mit sich brachte. Nun hat Veit Veltzke die Lizenz zum Schlendern, kann unbedarfter über die Dörfer und die sieben niederrheinischen Perlen des Herzogtums Kleve gehen (Kleve, Wesel, Emmerich, Rees, Kalkar, Xanten und Duisburg).

Er darf den Dreiklang ausspielen, den der Klever Stadthistoriker Friedrich Gorissen (1912-1993) anschlug: den Akkord von den „Niederrheinlanden“, dessen Noten Niederlande, Rheinland, Niederrhein heißen. Daraus folgt wiederum ein Dreiklang von aktuellen Fragen, die in der Region zwischen Köln, Kleve und Utrecht anklingen – aber nicht nur dort.

Ein Hoodie aus dem Mittelter: Skulptur eines Karthäusermönches in der Austellung.
Ein Hoodie aus dem Mittelter: Skulptur eines Karthäusermönches in der Austellung.

Der Niederrhein, das macht die erste Ausstellung „Wesel und die Niederrheinlande“ deutlich, ist zum einen selbstverständlich Heimat für viele. Zum zweiten aber ist der Niederrhein seit je her ein Land der Migranten. Sie kommen als Händler oder als Besatzer oder weil ihr jeweiliger Glaube in der alten Heimat gerade mal nicht wohlgelitten ist: Mal kamen die Katholiken aus den Niederlanden, mal die Hugenotten aus Frankreich, mal die Protestanten aus Preußen.

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Foto: Heiko Kempken / FUNKE Foto Services
Von Heike Waldor-Schäfer

Wobei, auch das erläutert die Ausstellung, schon mehr als ein Jahrhundert vor dem Westfälischen Frieden die Herzöge von Kleve religiöse Toleranz walten ließen: Selbst katholisch, erlaubten sie den Lutheranern (in gewissen Grenzen) ihren Glauben. Vielleicht auch, weil Wesel und Rees als eher protestantische Städte weiter Abgaben an den Herzog entrichten sollten.

Statt „Cuius regio, eius religio“: (Was der Landesherr glaubt, haben auch die Untertanen zu glauben), galt dem Herzog: Wer mir Steuern entrichtet, dessen Religion toleriere ich. Veit Veltzke weiß davon viel zu erzählen in der Ausstellung, die die Geschichte der Region klugerweise vor allem mit Geschichten von hier lebenden Menschen erzählt.

Mehr als Ritter und Skulpturen: Das Museum erzählt vor allem Ideengeschictehn und Menschen.
Mehr als Ritter und Skulpturen: Das Museum erzählt vor allem Ideengeschictehn und Menschen.

Veltzke vergisst darüber für eine Weile Umzugshektik und Handwerker, nicht aber den dritten Aspekt: Der Niederrhein ist historisch keine fest definierte Region. Daher will das neue Museum die Niederlande, Flandern und Brabant mit in den Blick nehmen, dort Partner finden. Die Idee der Einheit Europas wird aus der Einheit einer Region mit fließenden Grenzen entwickelt, als Graswurzelbewegung gewissermaßen. Insofern ist der erste Dreiklang der Nieder-rheinlande vor allem dies: ein verheißungsvoller Auftakt.

>>>EINMAL IM MONAT FREIER EINTRITT

Am Sonntag wird das Museum eröffnet mit der Ausstellung „Wesel und die Niederrheinlande“ (bis 14. Oktober). Dazu ist ein gleichnamiges Begleitbuch im Mercatorverlag erschienen, 520 Seiten, 28 Euro, Hrsg: Museumschef Veit Veltzke. Ab Dienstag, 20. März beginnt der Betrieb.

Geöffnet ist täglich außer montags von 11 bis 17 Uhr. Am ersten Freitag im Monat ist der Eintritt frei, ebenso jederzeit für Menschen unter 18 und Schulklassen. Erwachsene zahlen 4,50, Familien (min. zwei Kinder) 8 Euro. Mehr Infos: www.niederrheinmuseum-wesel.lvr.de