Berlin. Wer empathisch ist, verbessert seine Beziehungen. Aber kann man Empathie lernen? Und hat sie auch negative Seiten? Eine Expertin klärt auf.

„Ach, wären wir doch alle ein wenig empathischer!“ Diesen Satz haben viele von uns vermutlich schon mal gehört. Empathie – die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, mit ihnen mitzufühlen und ihre Perspektive einzunehmen – gilt als Wundermittel, um Konflikte in Beziehungen zu lösen und verständnisvoll miteinander umzugehen.

In einer Gesellschaft, die zunehmend gespalten ist und in der viele Menschen einander nicht mehr zuhören möchten, wird der Ruf nach mehr Empathie von vielen Seiten lauter. Die Sprechtrainerin und Rednerin Monika Hein hat dem Thema ein Buch gewidmet („Empathie: Ich weiß, was du fühlst“). Im Gespräch mit dieser Redaktion erklärt sie, warum Empathie für einen selbst und die Gesellschaft so wichtig ist.

Empathie – was ist das eigentlich?

Der Begriff Empathie sei in der Wissenschaft nicht einheitlich geklärt, sagt die Autorin. „Egal in welche Richtung man schaut, ob es Philosophie, Psychologie oder auch Hirnforschung ist, es gibt ganz unterschiedliche Herangehensweisen an Empathie.“

Aus ihrer Sicht ist Empathie die Fähigkeit, den eigenen Denk- und Fühl-Raum zu verlassen, um eine andere Person zu verstehen – und dann angemessen zu handeln. Sich darauf einzulassen, eine andere Perspektive einzunehmen: Das sei gar nicht so leicht, erklärt Hein. Die Trainerin arbeitet in ihren Coachings häufig mit Führungskräften, die sich besser in ihre Angestellten hineinversetzen möchten. Den meisten Menschen sei es wichtig, das Gefühl zu haben, „in ihrem Sein“ gesehen zu werden, sagt sie. Das falle vielen Menschen schwer, besonders in der Führung. Aber den einfühlsamen Umgang mit Mitarbeitern und Kollegen könne man lernen.

So können Führungskräfte Empathie einsetzen

Hein rät ihren Klienten in der Berufswelt dafür zunächst, den Status Quo anzuerkennen. „Es ist wichtig, die Gefühle der Mitarbeiter zu erfassen und anzuerkennen“, so Hein. Anschließend versuche sie mit der Führungskraft, die Empfindungen der anderen Person nachzuvollziehen. „Ich muss das gar nicht selbst erlebt haben, sondern kann mir überlegen: Ah, die Person ist anscheinend traurig. Wie ging es mir denn mal, als ich traurig war?“

Also zunächst einmal abstrahieren, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser verstehen zu können. Im nächsten Schritt gehe es um die bessere Stimmung in einer schwierigen Situation. „Manchmal reicht nur ein Satz, damit ein Mensch sich gesehen und anerkannt fühlt“, sagt Hein. Was auch helfen könne, um empathischer zu werden, seien Situationsanalysen. Sie reflektiere dabei eine Begebenheit aus der Vergangenheit.

Monika Hein befasst sich als Trainerin und Autorin mit dem Thema Empathie.
Monika Hein befasst sich als Trainerin und Autorin mit dem Thema Empathie. © Privat | Privat

Was hat der Klient gesagt, was nicht empathisch genug war und was hätte er oder sie stattdessen sagen können? Dabei sei es aber auch wichtig zu wissen: Immer empathisch sein, ist kaum möglich. Manchmal komme es auf eine schnelle Entscheidung an. Es gehe eher um „die Grundhaltung, dass auch die Gefühle und Bedürfnisse anderer Menschen wichtig sind“, sagt Hein.

Ob Familie, Erziehung oder Lebenserfahrung: Es beeinflusst die Empathie

Kann es nicht sein, dass manche Menschen einfach von Natur aus weniger Empathiefähigkeit haben als andere? Auch dazu gebe es unterschiedliche wissenschaftliche Ansätze, sagt Hein. „Man geht eigentlich davon aus, dass wir alle mit einem ganzen Set ausgestattet sind.“

Verschiedene Faktoren, vor allem unsere Erziehung in der Familie, könnten aber beeinflussen, wie gut wir auf unsere Empathie-Fähigkeiten zugreifen können. „Die Frage ist: Wie sehr habe ich die Erfahrung gemacht, dass auch meine Wahrnehmung und mein Sein richtig sind und anerkannt und geliebt werden?“, sagt Hein. Wer das nicht erfahren habe, lege sich oft schon in der Kindheit einen Schutzpanzer zu. Letztlich gehe es darum, diesen Schutzpanzer wieder fallen zu lassen.

Hein spricht von einem „Empathie-Muskel“, der „das Ego und die Rechthaberei“ kleiner werden lasse. Und diesen Muskel können man trainieren, doch dazu müsse erst mal die Bereitschaft da sein. „Es ist toll, wenn man den Willen spürt, seine Kommunikation und seine Beziehung zu verbessern“, sagt die Trainerin.

Wann Empathie aber auch negative Folgen haben kann

Zu viel Empathie kann aber auch gefährlich sein – denn wer mit allen mitfühlt, werde sehr weich und vergesse, Grenzen zu setzen. „Haltung beziehen und Grenzen setzen ist wichtig“, sagt Hein. „Obwohl ich die Bedürfnisse eines Menschen erkenne, muss ich das weder einlösen für denjenigen noch muss ich einverstanden sein“, so die Expertin. Dazu reiche es, sich selbst zu fragen: Was sind meine Außengrenzen der Empathie? Hier spielen persönliche Werte, Moral und Ethik eine Rolle, etwa bei der Bewertung von Kriminalität.

Die Gesellschaft kann von Empathie profitieren

Monika Hein sieht aber klar die Vorteile einer einfühlsamen Kultur. „Die Welt wird eine bessere werden, wenn wir uns der Empathie mehr zuwenden“, sagt die Trainerin. Kritik übt sie vor allem an Instagram, TikTok und Co, wo es um Selbstdarstellung und Konfrontation geht. Für Empathie sei auf den Social-Media-Plattformen wenig Platz.

Ein Mehr an Empathie könne unsere Beziehungen weicher und warmherziger machen, unsere Kontakte verbessern, unseren Zusammenhalt in der Gesellschaft und unser Verständnis füreinander stärken. „Es gibt so viele Benefits von Empathie, die kann man gar nicht zählen“, sagt Hein. „Und es ist sehr berührend, zu sehen, was passiert, wenn Menschen das Gefühl haben, gesehen zu werden.“