Berlin. Zukunftsforscher Matthias Horx glaubt nicht ans Konzept der Kleinfamilie. Aus seiner Sicht braucht es neue Gemeinschaften.

Wie werden wir lieben oder eine Familie gründen? Zukunftsforscher Matthias Horx erkennt, dass sich das Konzept der Kleinfamilie überlebt hat. Im Interview spricht der 69-Jährige über überreizte Beziehungen und die Notwendigkeit neuer Familienmodelle.

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Herr Horx, welche Rolle wird die Famlie in Zukunft spielen? Werden Beziehungen in Zukunft immer gleichberechtigter?

Matthias Horx: Die Kleinfamilie ist in der modernen Welt eigentlich ständig überfordert. Gleichberechtigung schafft uns ein neues Komplexitäts-Problem, weil man ständig Wünsche und Zeiten regeln und anpassen muss, und das führt auf Dauer zur Überforderung. Es gibt deshalb gerade ein konservatives Rollback.

Sie finden in den Medien immer mehr Diskurse darüber, dass man diese Work-Life-Balance eigentlich nicht hinbekommt, egal was man macht. Wir haben plötzlich wieder „Trad Wifes“, die Hausfrauen-Dasein und Mutterschaft zum Lebenssinn machen. Wir brauchen ein Lebens- und Familienmodell, in dem man Rollen und Funktionen der Familie wieder auf mehr Menschen verteilt. Wir brauchen neue Multi-Familienformen und neue Gemeinschafts- und Wohnformen. Sozusagen eine Familie 2.0. 

Bekommen das Paare in anderen Ländern besser hin?

Horx: Die Skandinavier kriegen das Emanzipative einigermaßen hin, weil sie gesellschaftliche Normen an neue Rollenmuster anpassen. In vielen Betrieben ist dort eine 30-Stunden-Woche die Norm. Die Frauen dort sind doppelt so häufig voll erwerbstätig, wie auch in Frankreich. Aber selbst in diesen beiden emanzipierten Ländern haben sie heute eine Retro-Hausfrauenbewegung. Auch emanzipierte Frauen sagen: Wir wollen zu Hause bleiben, wir wollen uns fokussieren. Dieser permanente Stress, dem Beruf und den Kindern hinterherzurennen, die Partnerschaft interessant zu halten und extrem flexibel im Beruf zu sein, das ist wahnsinnig schwierig.

Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher
Matthias Horx zählt zu den einflussreichsten Trend- und Zukunftsforschern im deutschsprachigen Raum. Sein Buch „Der Zauber der Zukunft“ erscheint am 18. September im Goldmann Verlag.. © Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher (www.horx.com) | Klaus Vyhnalek (www.vyhnalek.com)

Dieses Idealbild der Vereinbarkeit von Partnerschaft, Kind und Karriere ist aus ihrer Sicht gescheitert?

Horx: Es ist zumindest von Illusionen umlagert. Wir machen jetzt eine riesige Hochzeit und dann hält die Ehe ein Leben lang – das ist nicht mehr die Realität. Die Überzeichnung romantischer Liebe führt irgendwann zu einer Art Beziehungs-Verbitterung, die man besonders bei Männern beobachten kann. Männer fühlen sich als Ernährer nicht mehr erst genommen, sie fühlen sich von einem Gleichheitsideal überfordert, das auch Frauen nicht immer einlösen. Unsere Beziehungskultur ist heute auf seltsame Weise überreizt. Patchwork-Familien, in denen viel improvisiert und jongliert wird, sind oft viel haltbarer und auch lebbarer als irgendein romantisches Super-Ideal.

Wie wirkt sich dieser Wandel in Paarbeziehungen auf die Liebe und Sexualität aus?

Horx: Wenn man ehrlich ist, haben wir eigentlich jetzt schon das Modell der seriellen Monogamie. Aber man will eigentlich etwas anderes. Die Menschen sehnen sich wie verrückt nach lebenslanger Treue, die Wirklichkeit ist aber eine andere. Das führt dazu, dass viele Jüngere sich heute beziehungsmäßig eher zurückhalten. Es sieht auch so aus, als ob sie weniger Sex haben, weniger Freude an der Liebe. Oft ziehen sich Jungs auf Jungsgruppen und Mädchen auf Girlie-Groups zurück. Für einen Boomer wie mich, der in den wilden Siebzigern jung war, erscheint die heutige Liebesordnung eher als ein Rückschritt. Das Internet trägt seinen Teil dazu bei. 

Woran machen Sie das fest?

Horx: Die digitalen Partnerschaftsplattformen haben die Partnersuche massiv verändert - und dabei verdorben. Sobald man einen Partner gefunden hat, klickt oder wischt man in den Apps weiter, und das führt zu einer fiesen Verdinglichung: Man ist ständig im Überprüfungsmodus: Gibt es nicht noch einen Besseren? Jetzt sind die digitalen Suchportale in eine Krise geraten, und das weist darauf hin, dass die Liebe eben nicht digitalisierbar ist.