Berlin. Unsere Autorin erzählt von acht Jahren Manipulation und psychischer Gewalt durch ihren Mann – und wie der Befreiungsschlag gelang.

Ich liege im Bett und halte mir die Ohren zu. Tränen laufen unkontrolliert und lautlos über mein Gesicht. Ich versuche, die Worte nicht durchdringen zu lassen. Mit der Zeit habe ich gelernt, dass Widerspruch nur zu heftigeren Wutausbrüchen führt. Ich habe also zwei Möglichkeiten: schweigen und aushalten oder flüchten. Allerdings – es ist mitten in der Nacht. Wohin also?

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Narzissmus: „Ich war von ihm abhängig wie von einer Droge“

Der, der mich da anschreit, ist mein Ehemann. Worum es genau geht, weiß ich nicht mehr. Vermutlich habe ich die Wohnung mal wieder nicht gründlich genug geputzt, die Wäsche nicht korrekt aufgehängt, einen Mann gegrüßt oder sonst irgendwo irgendwas falsch gemacht. In seinen Augen zumindest. Jetzt liege ich hier und lasse mir Dinge sagen, die schwer zitierfähig sind.

Ich habe mich häufig gefragt, wie ich in eine solche Situation geraten konnte. Warum ich mir all das gefallen lasse. Mensch, du bist doch immer eine selbstbewusste, starke Frau gewesen. Ich bin die, die um Rat gefragt wird, die lebensfroh ist und andere so gern zum Lachen bringt. Heute weiß ich, dass er mich durch Manipulation abhängig von sich gemacht hat wie von einer Droge. Zu meinem eigenen Schutz und dem meiner Familie habe ich diese Geschichte anonym aufgeschrieben.

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Was war ich begeistert von diesem eloquent wirkenden Mann. Hin und weg war ich. Alles wirkte perfekt. Inzwischen bin ich klüger, würde besser aufpassen. Würde mich stören an vielen seiner Erzählungen wie der, dass alle seine Ex-Frauen und Partnerinnen total daneben waren. Damals dachte ich: „Der arme Mann, hat’s auch nicht leicht gehabt, aber jetzt bin ich ja da.“

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Er gab mir das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein, überschüttete mich mit Komplimenten. Mein Aussehen, mein ganzes Wesen, mein hervorragender Musikgeschmack und überhaupt. Die perfekte Frau. Und wie aufmerksam er war. Es gab Blumen, kleine Geschenke und selbst gemachten grünen Wackelpudding mit Vanillesoße, weil ich den so gern mag.

Auf Liebesbekundungen folgt Erniedrigung

Zwei Monate nach unserem Kennenlernen spielte sich die erste verstörende Szene ab, die der Beginn eines acht Jahre andauernden Horrortrips sein sollte, aus dem ich viel zu lange nicht in der Lage war, mich zu befreien. Wir waren in einer Bar und gerade im Begriff zu gehen, als ich einen Bekannten entdeckte. Ich ging zu ihm und begrüßte ihn. Normal halt. „Mensch, lange nicht gesehen. Wie geht es dir, deiner Frau, eurer Tochter?“ Ein kurzes Gespräch.

Angst, Selbstzweifel, Hilflosigkeit. Viele Betroffene wissen gar nicht, was mit ihnen passiert, wenn sie von psychischer Gewalt betroffen sind. (Symbolbild)
Angst, Selbstzweifel, Hilflosigkeit. Viele Betroffene wissen gar nicht, was mit ihnen passiert, wenn sie von psychischer Gewalt betroffen sind. (Symbolbild) © Getty Images/iStockphoto | ViktorCap

Als ich ging, sah ich, dass ER weg war. Auf mehrfaches Klingeln an seiner Haustür öffnete er nicht. Stattdessen bekam ich stakkatoartig unzählige Whatsapp-Nachrichten. Wie eine Schlampe hätte ich mich benommen, wie ich da so breitbeinig auf dem Hocker gesessen hätte. Das sei ja wohl ein eindeutiges Angebot gewesen. Er schrieb, ich hätte ihn vor allen anderen bloßgestellt. ALLE hätten kopfschüttelnd zu mir geschaut, in Anbetracht meines unsäglichen Verhaltens.

Psychische Gewalt in Beziehung: „Plötzlich war ich nichts mehr wert“

Egal, was ich zurückschrieb, seine Beleidigungen wurden immer heftiger. Bis ich aufgab. Ich schüttete mich mit Wein zu, heulte Rotz und Wasser und verstand die Welt nicht mehr. Hatte ich mich wirklich so furchtbar verhalten? Eigentlich sieht mir das gar nicht ähnlich. Irgendwann bin ich völlig entkräftet eingeschlafen. Keine Nachricht am nächsten Morgen und keine in vielen darauffolgenden Tagen. Meine Nachrichten an ihn blieben nicht nur unbeantwortet, sondern auch ungelesen. Weggeworfen. Entsorgt. Plötzlich nicht mehr wert, geliebt zu werden.

Ich weiß noch genau, wie erleichtert ich war, als die erste knappe Nachricht von ihm kam. Ein Stein fiel mir vom Herzen. Gott sei Dank. Er war wieder da. Aber ich war ein paar Zentimeter kleiner geworden. In den folgenden acht Jahren würde ich immer weiter schrumpfen. So klein werden, dass ich mich selbst nicht mehr sah.

Sex, um Streit zu vermeiden: „Ich ließ es einfach über mich ergehen“

Auf den ersten Streit folgte die erste Versöhnung. Stundenlanger Versöhnungssex, bei dem ich die Störgefühle, völlig beliebig und austauschbar zu sein, mehr oder weniger erfolgreich ausblendete. Einmal traute ich mich zu sagen, dass ich mich fühlen würde wie eine Puppe die, einmal kaputt, einfach neu gekauft werden könne. Danach folgte ein verbales Donnerwetter. Was mir einfalle. Ob es mir keinen Spaß mache. Ich dachte: „nein, eigentlich nicht“.

Aber ich sagte es nicht. Stattdessen weinte ich, schwieg und beschwerte mich nie wieder. Zukünftig ließ ich den Akt einfach über mich ergehen. Besser kurz Augen zu und durch, statt mir hinterher tagelang anhören zu müssen, dass ich es ja auch nicht mehr bringe und sowieso zu nichts tauge.

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Mein Leben war in dieser Zeit eine dauerhafte Zitterpartie. Ich ging permanent auf rohen Eiern. Angst davor, welche Laune er hatte, wenn er nach Hause kam. Angst davor, etwas zu sagen, das Falsche zu sagen. Angst davor, etwas zu tun, das Falsche zu tun. Er kontrollierte mich, durchsuchte mein Handy, warf mir permanent vor, eine Affäre zu haben. Ich, die sonst so fröhliche, aufgeschlossene Frau, wurde immer leiser. Freunde sagten, ich hätte mich verändert. Er tue mir nicht gut.

Für unsere Autorin war ihre Ehe eine dauerhafte Zitterpartie. (Symbolbild)
Für unsere Autorin war ihre Ehe eine dauerhafte Zitterpartie. (Symbolbild) © Getty Images/iStockphoto | Gorodenkoff

„Heute weiß ich, ich bin nicht schuld“

Ich nahm meinen Mann in Schutz. Erzählte nichts. Zu sehr habe ich mich geschämt. In erster Linie vor mir selbst, weil ich das einfach mit mir machen ließ. Es klingt vermutlich furchtbar, wenn ich sage, dass ich mir manchmal gewünscht habe, er würde mich schlagen. Ein blaues Auge kann man sehen, aber eine kaputte Seele? Wie soll ich das erklären?

Kann ich die Polizei rufen, weil mein Mann mir in der eigenen Wohnung Zimmer für Zimmer nachläuft und mich kleinmacht, anschreit? Das kommt mir nicht in den Sinn. Schließlich schlägt er mich nicht.

Mittlerweile weiß ich, dass das, was er mit mir gemacht hat, auch eine Form der Gewalt war und vor allem: dass ich nicht schuld bin. Jahrelang habe ich mich gefragt, was mit mir nicht stimmt. Irgendwann, noch während meiner Ehe, erlaubte ich mir, mich zu fragen, was mit ihm nicht stimmt. Ich googelte, ich las, ich besuchte eine Selbsthilfegruppe für Opfer von narzisstischer Gewalt. Was für ein Befreiungsschlag zu hören, dass ich nicht allein war, denn: Alle erzählten eine Geschichte, die nahezu identisch mit der meinen war.

Nach Kontrolle und massiver Eifersucht folgte die totale Gleichgültigkeit

Nach acht Jahren trennten wir uns. Mittlerweile waren die krasse Eifersucht und der Kontrollzwang der totalen Gleichgültigkeit gewichen. Ich nehme an, dass er eine andere Frau kennengelernt hatte. Er tippte ständig auf dem Handy und blieb häufig über Nacht weg, ohne Bescheid zu sagen. Wenn ich am nächsten Tag nachfragte, sagte er, ich sei hysterisch. Das gehe mich nichts an, ich würde ihn einengen. Also fragte ich nicht mehr und war im Grunde froh, meine Ruhe zu haben.

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Vier Jahre ist die Trennung jetzt her. Es geht mir gut. Aber mein Selbstbewusstsein ist längst noch nicht zurück. Wenn mir jemand etwas Nettes sagt, kann ich das nur sehr schwer annehmen. Ich glaube es schlicht nicht. Manchmal, in Situationen, die mich an ihn erinnern, laufen mir wieder unkontrolliert die Tränen über das Gesicht. Und manchmal halte ich mir sogar reflexartig die Ohren zu, bis ich merke, dass es gar keine Stimme von außen gibt. Die Stimme kommt von innen. Sie ist noch in meinem Kopf. Aber sie wird leiser. Und irgendwann, da bin ich sicher, wird sie verstummt sein.

Hier finden betroffene Frauen Hilfe

  • Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen 08000 116 016
  • Notruf der Polizei 110
  • Frauenhäuser in Ihrer Umgebung
  • Opferberatung Weißer Ring
  • Frauenberatungsstellen in Ihrer Stadt