Berlin. Pochers grenzwertige Witze treffen oft Frauen, allen voran seine Ex-Partnerinnen. Eine Expertin erklärt, was dieses Verhalten motiviert.
Grenzwertiger Humor – ein, wenn nicht das Markenzeichen von Oliver Pocher. Auffallend oft scheint der Comedian es mit seinen Witzen auf Frauen abgesehen zu haben. Bei einem Auftritt im Mai stellte der 46-Jährige eine Zuschauerin wiederholt mit Anspielungen auf ihr Sexualleben bloß, nannte sie „Zuckerschnecke“. Zuletzt machte er von sich reden, als er sich im Rammstein-Shirt bei einem Konzert von Taylor Swift in Gelsenkirchen zeigte. Eine Anspielung auf den Skandal um Rammstein-Frontmann Till Lindemann.
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Swifts – überwiegend weibliche – Fans verhöhnte Pocher in seiner Insta-Story obendrein noch als „Swiffer“ statt „Swifties“, wie sie sich selbst nennen. Es ist nur eine von vielen Pocher-Aktionen, bei denen sich die Öffentlichkeit fragt: Ist das noch Witz oder schon Frauenfeindlichkeit? Wie Pochers Verhalten einzuschätzen ist und warum er trotz allem so viele weibliche Fans hat, erklärt die Hamburger Psychologin Jessica Mentrup im Interview.
Mariah Carey nannte er mal „Presswurst“, einer Zuschauerin bei „Wetten, dass..?“ legte er eine Schönheits-OP nahe, Influencerinnen bezeichnete Pocher als „Bumsbirnen“ – was motiviert dieses Verhalten gegenüber Frauen?
Jessica Mentrup: Das kann natürlich zunächst einmal mit Pochers Image-Gestaltung als Comedian zusammenhängen. Wenn wir andere bewusst angreifen, kann dem aber auch ein niedriger Selbstwert zugrunde liegen: Der Betroffene erhebt sich über seine Mitmenschen, um die Situation im Griff zu behalten und die eigene Unsicherheit zu kompensieren. Aber auch gewisse Prägungen aus der Kindheit können ein solches Verhalten in Menschen bedingen: Welche Rollenkonzepte wurden vorgelebt? Wie war das Verhältnis zur ersten weiblichen Bezugsperson? Wie geht man miteinander um? Wie drückt man Liebe aus und wie funktionieren Konflikte?
Wenn solche Prägungen, etwa im Streit in die Offensive zu gehen oder Frauen abzuwerten, schon sehr früh in der Kindheit erlebt worden sind, kann dieses Verhalten Teil der eigenen Identität werden. Frauen zum Beispiel tappen aufgrund ihrer Prägung häufig in die Harmoniefalle und stehen nicht für sich ein, weil sie negative Konsequenzen fürchten. Womöglich macht sie das für Menschen wie Pocher zu einem leichten Opfer.
Psychologin über Pocher: „Wenn man ein gutes Gespür hat, weiß man, wo es weh tut“
Die Zuschauerin, die Pocher bei seinem SWR-Auftritt aufs Korn nahm, beschwerte sich beim Sender. Im Netz erntete sie Unverständnis von Fans: Sie sei selbst schuld, weil sie auf dessen Publikumsinteraktion eingegangen sei. Pocher selbst war der Ansicht, wer bei ihm in der ersten Reihe sitze und keinen Spruch aushalten könne, solle sich „verpissen“.
Mentrup: Im Grunde ist diese Reaktion etwas, was wir leider häufig erleben, nämlich eine Täter-Opfer-Umkehr: Die Frau ist selbst schuld, weil sie sich einer Situation aussetzt, in der sie mit sexistischen Kommentaren rechnen und umgehen können müsse. Diese Annahme ist hochproblematisch.
Was macht es mit Frauen, die so behandelt und dann auch noch dafür verantwortlich gemacht werden?
Öffentlich angegangen zu werden, löst Scham aus. Das ist das übelste Gefühl, das man einem Menschen geben kann. Solche Erfahrungen mindern das Selbstwertgefühl und rufen im schlimmsten Fall sogar ernsthafte psychologische Probleme hervor.
Warum geht es bei Pochers Witzen eigentlich so oft um Äußerlichkeiten?
Mentrup: Wenn man ein gutes Gespür hat und intelligent ist – und ich würde Oliver Pocher unterstellen, dass er über einen gewissen Intellekt verfügt –, dann weiß man, wo es weh tut. Gerade eben beim Aussehen, womit viele Unsicherheiten verbunden sind, ist das der Fall.
Pochers Umgang mit Ex-Partnerinnen womöglich „eine Art Bewältigungsstrategie“
Pocher ist nicht der einzige Comedian, der auf sexistischen Humor setzt und Klischees bedient. Warum finden manche Menschen das witzig?
Mentrup: Auch das kann mit einer gewissen Prägung zu tun haben, sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Sexismus ist ein jahrtausendealtes Phänomen und tief verwurzelt. Manchmal so tief, dass er uns selbst gar nicht oder nicht auf Anhieb bewusst ist, wenn wir ihn erleben. Das sind Muster, die sich zum Glück auflösen, aber nur sehr langsam.
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Aber wo endet Humor und wo beginnt Sexismus? Und warum hat ein Pocher trotzdem so viele weibliche Fans?
Mentrup: Der Übergang ist fließend, hängt aber auch von der Interpretation des Einzelnen ab. Eine Person hat vielleicht eine niedrigere Reizschwelle als die andere. Wenn ich selbst in meiner Kindheit viele Erlebnisse hatte mit emotionalem Missbrauch, bin ich dafür sensibilisierter als eine Person, die das nicht erlebt hat. Für viele Frauen ist Sexismus gefühlt so alltäglich, dass sie ihn wegbagatellisieren. Aufgrund der Werte und Normen, mit denen sie selbst sozialisiert sind. Hinzu kommt die Angst vor Sanktionen, wenn man sich wehrt, vor allem in einer Gruppensituation: Was, wenn das, was danach kommt, viel schlimmer ist als der eigentliche Angriff?
Nicht nur gegen Fans, auch gegen seine Ex-Partnerinnen teilt Pocher aus. Seiner Ex-Frau Amira Aly unterstellte er jüngst eine Affäre mit einem Life-Coach, die beide bestritten. Warum empfinden manche Menschen nach einer Trennung das Bedürfnis, den Ex-Partner zu diskreditieren?
Mentrup: Wir Menschen geraten in Ausnahmesituationen in merkwürdige und leidvolle Bewältigungsmechanismen. Oft hat auch das mit Scham zu tun. Und da gibt es zwei Möglichkeiten: Offensive oder Rückzug. Wer in die Offensive geht, will Dominanz demonstrieren. Dieses Ausschlachten in der Öffentlichkeit, wie in Pochers Fall, kann eine Art Bewältigungsstrategie sein. Außerdem sind diese Angriffe natürlich sehr PR-trächtig.
Pocher zufolge verhalten Amira und er sich vor den gemeinsamen Kindern „hochprofessionell“. Aber was macht es mit Kindern, wenn die Eltern ihren Streit so öffentlich austragen?
Mentrup: Kinder schauen sich Emotionsregulierung ab. Sie lernen: So geht also Streiten. Das destabilisiert eine Kinderpsyche, weil sie in einen Loyalitätskonflikt kommt. Kinder wollen Papa und Mama, nicht die beiden gegeneinander. Im schlimmsten Fall wird dort schon früh angelegt: Der Liebe kann man nicht vertrauen. Das ist sehr leidvoll und kann toxische Verhaltensweisen aufbauen.
Frauenfeindliche Witze: „Ist sich seiner Wirkung bewusst“
Harald Schmidt hat Pocher mal als „kleine, miese Type“ bezeichnet, als letzterer sich in der gemeinsamen Show abfällig über die norwegische Sängerin Maria Mena äußerte. Würden Sie sagen, Pocher ist ein Sinnbild der viel zitierten „toxischen Männlichkeit“?
Mentrup: Das kann man schon sagen. Gerade junge, instabile Persönlichkeiten internalisieren so etwas schnell: Wenn ich mich toxisch verhalte, komme ich weit.
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Auffällig ist auch, dass Pocher sich nur selten zu Entschuldigungen herablässt. Man könnte den Eindruck bekommen, ihm mangele es an Empathie.
Mentrup: In der Tat. Ein Unrechtsbewusstsein ist Voraussetzung dafür, dass ich Schuldgefühle empfinden kann. Denn ohne Empathie sind immer nur die anderen schuld. Der Schaden, den man anderen zufügt, dient dazu, den eigenen Selbstwert aufzupolieren und die eigene Unzulänglichkeit zu kompensieren. Ein Mangel an Empathie kann übrigens auf gewisse narzisstische Persönlichkeitszüge – darunter auch Herabsetzung anderer oder den Wunsch nach Aufmerksamkeit durch Inszenierung – hindeuten. Diese Züge trägt jeder in sich, die Frage ist nur, wie stark sie ausgeprägt sind. Dem könnte man in diesem Fall nachgehen.
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Alles in allem: Ist Oliver Pocher ein Frauenfeind?
Mentrup: Wenn wir uns seine Auftritte ansehen, seine Witze und die Klischees, die er bedient, sind da durchaus Tendenzen zu erkennen, die man zumindest als problematisch einschätzen kann. Vor allem, wenn man unterstellt, dass Pocher sich seiner Wirkung bewusst ist und scheinbar sehr bewusst so agiert. Mit frauenfeindlichen Aussagen generiert er Aufmerksamkeit, womit wir wieder bei seinem Image wären. Aber seine persönliche Einstellung gegenüber Frauen kennt letztlich nur er selbst.