Berlin. Sie sind eine wahre Volkskrankheit: Rückenschmerzen. Drei Experten erklären, wie sie entstehen, und was Sie dagegen tun können.
- Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Rückenschmerzen
- Die Ursachen sind vielfältig: zu wenig Bewegung, eine schlechte Haltung oder Stress
- Experten geben Tipps, was Betroffene tun können
Eines der häufigsten Leiden der Deutschen sind wohl Rückenschmerzen. Das zeigen auch Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI): 2020 hatten dort in einer Umfrage 61,3 Prozent der Befragten angegeben, in den zurückliegenden zwölf Monaten Rückenschmerzen gehabt zu haben. Bei 15,5 Prozent waren sie sogar chronisch.
Die Ursachen sind vielfältig: Wer viel sitzt und wenig trainiert, hat ein höheres Risiko. Doch sogar Probleme in der Beziehung können Rückenschmerzen auslösen. Zwei Physiotherapeuten und eine Physiotherapeutin erklären in Gastbeiträgen, was wirklich hilft.
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Jens Bentlage: „Drei Punkte kommen bei Rückenschmerzen immer wieder“
Jens Bentlage, auf Muskeln und Faszien spezialisierter Physiotherapeut: In 30 Berufsjahren habe ich drei Punkte beobachtet, die bei Rückenschmerzen immer wieder aufkommen: viel sitzen, wenig Bewegung und psychosoziale Faktoren wie Stress- und Angstzustände. Viele sitzen den ganzen Tag. Wenn sie noch Stress im Job oder mit dem Partner haben, schüttet der Körper Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol aus.
Für die Faszien im Bindegewebe ist das schlecht. Beträufelt man die Fasern im Laborexperiment mit Cortisol, ziehen sie sich zusammen. Stress kann also Rückenschmerzen auslösen: Im unteren Rücken haben wir eine große Faszie. Aber auch im Nacken tut es oft weh – erst recht, wenn die Person den ganzen Tag am Schreibtisch sitzt oder auf ein Handydisplay schaut.
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Physiotherapeut: Körper will uns mit Rückenschmerzen etwas sagen
Wir sollten Schmerzen nicht ignorieren, denn unser Körper will uns etwas sagen. Wir können viel einfacher reagieren, als es klingt: Tut beim Autofahren der Rücken weh, tendiert man dazu, „die eine Stunde“ noch durchzuziehen. Stattdessen empfehle ich: rechts ranfahren, fünf bis zehn Minuten lang bewegen und dann weiterfahren.
Dabei kann man im Alltag Tricks für mehr Bewegung einbauen. Zügiges Spazieren schafft eine bessere Durchblutung als ein Schaufensterbummel, Fahrradfahren und Treppensteigen mehr Bewegung als Fahrstühle und Autos. Wenn ich aus unserem Keller hochkomme und etwas vergessen habe, freue ich mich über die zusätzliche Bewegung.
Besonders im Alter ist regelmäßige Gymnastik gut für den Körper, aber es hilft, immer mal wieder bewusst die richtige Körperhaltung einzunehmen. Gezielte Übungen helfen auch vorbeugend. Zusammen mit eCovery betreiben wir einen Youtube-Kanal und bieten zertifizierte Online-Präventionskurse an, in denen wir unter anderem Übungen aus unserer Praxis zeigen. Gerade entwickeln wir eine Therapie-App als digitale Gesundheitsanwendung, die auch den Status der Rückengesundheit abfragen kann.
Juliana Afram: „Manchmal passen die MRT-Bilder nicht zur Symptomatik“
Juliana Afram, auf Frauengesundheit und Beckenphysiotherapie spezialisierte Physiotherapeutin: Wenn es um Rückenschmerzen geht, vergessen wir häufig Mütter: Oft kann deren Beckenboden seine Funktion als stützendes Element nicht mehr übernehmen, weil er geschwächt ist oder bei der Geburt Verletzungen davongetragen hat. Das und das ständige Heben und Tragen, der wenige sportliche Ausgleich und der Stress können Rückenschmerzen begünstigen.
Anders als bei spezifischen Rückenschmerzen – die durch ein Trauma ausgelöst werden können – gibt es bei unspezifischen Rückenschmerzen manchmal keinen Anhaltspunkt. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Patienten als Ganzes betrachten, Bewegungstests durchführen und ihre Lebensumstände im Gespräch prüfen, um sie dazu zu ermächtigen, ihre Gewohnheiten anzupassen. Denn manchmal passen die Bilder aus dem MRT nicht zu der Symptomatik und die Ursache liegt woanders.
Physiotherapeutin: „Es gibt bei Rückenschmerzen kein Schema F“
Auch hier gibt es ein Beispiel aus der Frauengesundheit: Oft entwickeln Frauen drei bis fünf Jahre nach einem Kaiserschnitt Rückenschmerzen, obwohl sie Übungen machen oder zur Physiotherapie gehen. Die Ursache kann eine Überlastung des Rumpfkapselsystems und des Beckenbodens sein, weil von der Operationsnarbe Spannungen ausgehen.
Auch bei anderen Patienten passiert es, dass der Rückenschmerz nicht im Rücken beheimatet ist. Vielleicht gab es eine Sprunggelenksverletzung, durch die sich die Belastung im Becken verändert hat. Die veränderte Haltung könnte Rückenschmerzen begünstigen. Von diesen Dingen hängt die Therapie ab. Es gibt bei Rückenschmerzen kein Schema F in der Behandlung.
Um Rückenschmerzen vorzubeugen, bewege ich mich regelmäßig und mache Sport. Ich bin nebenbei Pilates- und Yoga-Lehrerin, meine Matte liegt immer ausgerollt da. Ich bemühe mich, drei- bis viermal wöchentlich eine Yoga-Sitzung oder funktionelles Training einzubauen – auch wenn mein innerer Schweinehund es mir manchmal schwer macht.
Maximilian Lang: „Nicht jeder Rückenschmerz ist vergleichbar“
Maximilian Lang, Physiotherapeut mit Spezialisierung im Sportbereich und Personal Training: Profisportler haben weniger Rückenschmerzen. Das sehe ich bei Profi-Basketballern und -Handballern, die ich behandle. Natürlich gibt es auch Profisportler mit einem instabilen Rücken, aber die Verletzungen bewegen sich eher im Bereich der Sprunggelenke, der Knie oder bei Handballern an den Schultern. Profis haben eher Überlastungssymptome. Der Großteil der Bevölkerung ist aber nicht über-, sondern unterbelastet. Das Resultat sind unspezifische Rückenschmerzen.
Die Profis haben allerdings nicht nur einen körperlichen Vorteil. Sie erhalten auch ohne größere Verletzungen eine sofortige Intervention von ihren Physiotherapeutinnen oder Ärzten. Wenn der Profi-Basketballer mit einem Hexenschuss und einer Bewegungseinschränkung kommt, behandle ich ihn mithilfe der manuellen Therapie, einem hochfrequenten Stromgerät, und bringe ihm bei, den verspannten Muskel anzusteuern. Nach einer Behandlung ist es oft besser.
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Physiotherapeut: Rückenschmerzen durch Verstopfung
Im deutschen Kassensystem dauert es lange, einen Termin zu bekommen, und viele Therapeuten und Therapeutinnen müssen am Tag 15 bis 25 Leute behandeln. Da bleibt kaum Zeit für eine Sozialanamnese. Dabei halte ich die Bewertung der individuellen Lebenssituation als einen der wichtigsten Punkte bei der Befundung. Zwei Patienten oder Patientinnen haben unterschiedliche Lebenssituationen, Ernährungen, psychische Erkrankungen oder Aktivitätslevel. Selbst unterschiedliche Menstruationszyklen oder Verhütungsmethoden können einen Körper beeinflussen.
Ich hatte eine Patientin, deren Rückenschmerzen durch eine Kolonmassage weggingen. Das bedeutet: Ich habe ihren Dickdarm massiert und den Vorstuhl in einer schmerzhaften Behandlung mechanisch weitergeschoben. Der Speisebrei in ihrem Dickdarm hatte sich angedickt und für Spannungen gesorgt. Auch wenn es ungewöhnlich klingt: Selbst Verstopfungen können Rückenschmerzen auslösen.