Berlin. Heute Abend treffen vier Spitzenkandidaten im TV-Quadrell aufeinander. Können solche Shows Wahlen entscheiden? Ein Blick in die Geschichte.
- Vier Kanzlerkandidaten treffen heute im TV-Quadrell aufeinander: Olaf Scholz, Friedrich Merz, Alice Weidel und Robert Habeck
- Die Diskussionen sind fester Bestandteil des Wahlkampfes und können diesen prägen
- Doch wie groß ist der Einfluss wirklich? Ein Blick in die Vergangenheit
Noch nie traten zu einer Wahl in Deutschland so viele Kanzlerkandidatinnen und -kandidaten an wie bei der bevorstehenden im Februar. Friedrich Merz (CDU) und Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne), Alice Weidel (AfD) und auch Sahra Wagenknecht (BSW) erheben mit diesem Titel den Anspruch auf besondere Beachtung im Wahlkampf, so unwahrscheinlich die Berufung ins Kanzleramt auch ist, je weiter hinten sie in dieser Reihe stehen.
Die Nominierung von Habeck und Weidel dient dabei auch dem Zweck, an den Fernsehdebatten der Spitzenkandidaten teilnehmen und dies im Zweifel rechtlich erzwingen zu können. Dabei ist völlig offen, welche Bedeutung solche Auftritte im linearen Fernsehen heute noch haben, da immer mehr Menschen ihre Informationen und Meinungen viel eher aus den rund um die Uhr aktiven sozialen Netzwerken beziehen.
Legendäre Fernsehduelle: Los ging es in den USA
Den Anfang machten 1960 in den USA die Präsidentschaftskandidaten John F. Kennedy und Richard Nixon. Kennedy, der sonnengebräunte, blendend aussehende junge Bewerber der Demokraten, schlug den gesundheitlich angeschlagenen und schlecht rasierten amtierenden Vizepräsidenten von den Republikanern in der öffentlichen Wahrnehmung um Längen. Er ging mit dem Medium Fernsehen gekonnt um. So sprach er das Publikum mit Blick in die Kamera immer direkt an, während Nixon sich an seinen Kontrahenten wandte, als wolle er ihn überzeugen. Diese Debatte schuf den bis heute wirkenden Mythos vom wohlmöglich wahlentscheidenden Fernsehduell, denn Kennedy besiegte den als Favorit in den Wahlkampf gezogenen Nixon.

Als der SPD-Kanzlerkandidat Willy Brandt 1969 den amtierenden Regierungschef Kurt Georg Kiesinger erstmals zu einem Duell im deutschen Fernsehen aufforderte, lehnte der CDU-Vorsitzende ab: „Es steht dem Kanzler der Bundesrepublik nicht gut an, sich auf ein Stühlchen zu setzen und zu warten, bis ihm das Wort erteilt wird“, sagte er zur Begründung. Stattdessen trafen die beiden dann in der ZDF-Reihe „Journalisten fragen – Politiker antworten“ aufeinander, an der auch die Vorsitzenden der CSU und FDP, Franz-Josef Strauß und Hans-Dietrich Genscher, teilnahmen.
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Es wurde geraucht, Unterbrechungen waren unüblich
Damit begann eine Tradition heute legendärer sogenannter „Elefantenrunden“, die ab 1972 unter dem Titel „Drei Tage vor der Wahl“ von ARD und ZDF live übertragen wurden. Sie fanden fünf Mal, bis zur Wahl 1987, statt. Wenn man sie sich heute auf Youtube anschaut, sieht man, wie sehr sich die politische Kultur der Bundesrepublik verändert hat.
Man sieht sechs Männer an einem runden Tisch, vier Politiker und zwei Journalisten, die sich mit einer bemerkenswerten Ruhe und Langsamkeit auseinandersetzen. Es wird geraucht, Helmut Schmidt greift zum Schnupftabak, die Moderatoren stellen ab und an eine Frage, greifen aber in die Diskussion kaum ein. Die Politiker können oft minutenlang ihre Positionen vortragen, aus Papieren zitieren, sich ausbreiten, kaum einmal unterbricht der eine den anderen.
Schmidt gegen Kohl – ein vierstündiges Duell
Und doch entwickeln sich vor allem in den 1980er Jahren zwischen dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Helmut Schmidt und seinem Herausforderer Helmut Kohl meist ruhig, aber mit größter Feindseligkeit geführte Wortduelle. „Sie sind ein unchristlicher Zitatfälscher“, hält Schmidt da dem CDU-Mann vor, und verbittet sich mit eisigem Ton die „unverschämte Beleidigung“, die Sozialdemokraten mit Kommunisten in einen Topf zu werfen, wie es mit der CDU-Wahlkampfparole „Freiheit statt Sozialismus“ geschehe.
Kohl wehrt sich gegen „Ihre sozialistische, pseudo-elitäre Arroganz – was geht in Ihrem Kopf vor? Wer sind Sie denn“? Das Spannende an diesem Format war, dass die Politiker untereinander diskutierten, während die Moderatoren nur Stichworte gaben. ARD und ZDF räumten dafür ihr ganzes Abendprogramm ab. Die Sendung 1976 lief zeitlich völlig aus dem Ruder und dauerte über vier Stunden, fast bis Mitternacht. Politik pur, ohne jeden Showeffekt.
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Viel hängt mittlerweile von der Qualität der Fragesteller ab
In der amerikanischen Variante, die seit Jahren auch in Deutschland praktiziert wird, sind die Moderatoren die Gesprächspartner der Politiker, die auf deren Fragen antworten, aber untereinander nicht ins Gespräch kommen. Die Atmosphäre changiert zwischen Talkshow und Politikerverhör, wobei viel von der Qualität der Fragesteller abhängt. Diese Duelle sind streng reguliert, die Themen und Redezeiten vorher ausgehandelt. Es gibt wenige Überraschungsmomente, die aber können dann doch großen Einfluss auf die Wahlentscheidung entfalten.

Ein Beispiel dafür war die Debatte zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Oppositionsführerin Angela Merkel 2005. Schröder wurde nach einer Äußerung seiner Frau über Merkel gefragt, die nach ihrer Ansicht nicht für die vielen Frauen stehe, die Beruf und Kindererziehung unter einen Hut bringen müssten. Schröder sagte dazu: „Meine Frau lebt das, was sie sagt, und ich füge hinzu: Das ist nicht zuletzt der Grund weshalb ich sie liebe.“
Merkel wusste sofort, was das bedeutete: „Ich dachte nur: Bingo für die andere Seite, damit erreicht er die Herzen alle Ehefrauen und Ehemänner und vieler mehr“, schrieb sie in ihrer jüngst erschienenen Biografie. Blitzumfragen zeigten tatsächlich, dass Schröder mit dem Satz das Duell gewonnen hatte. Der Abstand zwischen CDU/CSU und SPD wurde in den folgenden Wahlumfragen immer geringer, Merkel gewann nur knapp. Bis heute verweisen Wahlkampfstrategen auf diesen fast entscheidenden Moment vor 20 Jahren. Und deshalb wollen alle unbedingt an den TV-Duellen teilnehmen.