Berlin. „Keine Tür ist für immer zu“: Linken-Chef Jan van Aken wirbt um reumütige Überläufer zur Wagenknecht-Partei – und nennt Bedingungen.

Welche Antwort hat die Linkspartei auf den tödlichen Messerangriff von Aschaffenburg? „Das ist für mich gar keine Asylfrage“, sagt Spitzenkandidat und Parteichef Jan van Aken im Interview. An die Anhänger von Sahra Wagenknecht sendet er ein überraschendes Signal.

Freuen Sie sich über die ‚Mission Silberlocke‘, Herr van Aken?

Jan van Aken: Ja, tatsächlich. Wie sagt Gregor Gysi so schön? Wir Alten machen jetzt die Tür auf und die Jungen sollen da durchgehen. Das finde ich einen guten Ansatz für einen Generationswechsel.

Dass Gregor Gysi (77), Bodo Ramelow (68) und Dietmar Bartsch (66) die Linkspartei über Direktmandate in den neuen Bundestag führen wollen, ist auch ein Misstrauensvotum gegen die Spitzenkandidaten. Die ‚Silberlocken’ trauen Ihnen und Heidi Reichinnek nicht zu, die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen …

Wir kriegen ja die fünf Prozent, weil wir die drei Direktmandate holen. Die Leute müssen keine Angst mehr haben, dass sie ihre Stimme verschenken, wenn sie die Linke wählen. Dass wir in den Umfragen jetzt wieder bei fünf Prozent liegen, hat auch damit zu tun.

Ein Grund, warum Sie um den Einzug in den Bundestag bangen müssen, ist Sahra Wagenknecht. Können Sie Ihrer ehemaligen Parteifreundin verzeihen, dass sie die Linke gespalten hat? 

Ich komme aus einer streng katholischen Familie und würde Begriffe wie Verzeihen sehr vorsichtig benutzen. Ich bin nicht nachtragend. Meine Mutter hat mir beigebracht, dass Schadenfreude auch ein schlechtes Gefühl ist. Sagen wir so: Ich beobachte sorgfältig, wie das BSW in Umfragen hinter uns zurückfällt. 

Bleibt die Tür für Dissidenten offen, falls sie zurück zur Linken wollen? 

Wer gegen Migranten hetzt, nach Bürgergeldempfängerinnen tritt und krude Kremlpositionen vertritt, hat in unserer Partei keinen Platz. Aber Menschen können sich ändern. Keine Tür ist für immer zu.

Auch nicht für Wagenknecht selbst?

Für das Szenario fehlt mir die Fantasie. 

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#2 Sahra Wagenknecht über den Bruch mit der Linken

Meine schwerste Entscheidung

Das BSW hat im Bundestag mit der Union für schärfere Regeln zur Migration gestimmt - die Linke dagegen. Warum?

Ich bin wirklich schockiert, dass Friedrich Merz entgegen aller Versprechen in dieser Woche versucht hat, Mehrheiten mit der AfD herzustellen. Das darf nicht passieren, so jemand hat im Kanzleramt nichts verloren. Und dass das BSW dabei mitgemacht hat – mir fehlen die Worte. Unvorstellbar, dass einige davon mal in unserer Partei waren. Ich bin wirklich froh, dass der Versuch, sogar ein Gesetz mit der AfD zu beschließen, am Freitag gescheitert ist. Aber es war höllisch knapp. Und es ist ein Vorgeschmack auf das, was uns nach der Wahl erwartet. Der Widerstand gegen den Faschismus ist jetzt noch wichtiger.

Thema Migration im Wahlkampf: So positionieren sich die Parteien

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    Welche Antworten hat denn die Linkspartei auf die Terrortaten von Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg?

    Jede Tat ist eine Tragödie und reißt Wunden in unsere Gesellschaft. Jedoch würde ich diese Taten nicht in einen Topf werfen. Aschaffenburg ist für mich gar keine Asylfrage. Es geht darum, wie unsere Gesellschaft mit bekannten psychisch kranken Gewalttätern umgeht. Manche werden in geschlossene Psychiatrien eingewiesen, andere nicht. Dabei passieren Fehler.

    Moment! Alle vier Täter hatten Migrationsgeschichte. Zwei von ihnen hätten gar nicht mehr in Deutschland sein dürfen…

    Der Täter von Aschaffenburg hat gesagt, er reist freiwillig aus. Warum hat das niemand kontrolliert? Weil die Ausländerbehörden überlastet sind. Da muss man nicht über das Asylrecht reden, sondern über die Ausstattung von Kommunen. 

    Machen Sie es sich da nicht zu einfach?

    Ich bestreite nicht, dass wir ein Sicherheitsproblem haben. Jedoch müssen wir auch anerkennen, dass in den vergangenen 20 Jahren die Gewalttaten in Deutschland kontinuierlich gesunken sind. Das subjektive Unsicherheitsgefühl hat auch damit zu tun, dass die Debatte immer wieder hochgejazzt wird.

    Dass in Aschaffenburg ein zweijähriger Junge erstochen wurde, ist keine Einbildung. 

    Es ist eine Tragödie und unentschuldbar. Aber die Politik hätte die Debatte über den Umgang mit psychisch kranken Gewalttätern führen können, statt immer nur zu rufen: Der Migrant ist schuld. 

    Fürs Protokoll: Sie wollen die Migrationspolitik gar nicht verschärfen?

    Noch schärfer? Das Grundrecht auf Asyl ist eine Lehre aus Nazi-Deutschland. Die Linke ist die Partei, die es verteidigt. 

    Wie denken Sie über Forderungen, die Asylgründe auszuweiten – etwa auf Klimaflüchtlinge?

    Ich bin sehr dafür, Asyl auch Menschen zu gewähren, die vor den Folgen des Klimawandels flüchten. Es ist ein realer Grund. Wenn meine Heimat zerstört wird, muss ich woanders hingehen. Die Klimakatastrophe macht schon jetzt ganze Landstriche unbewohnbar – etwa in Pakistan oder Bangladesch. Innerhalb der nächsten 20 oder 30 Jahre werden mehrere Dutzend Millionen Menschen fliehen müssen, weil sie nicht mehr in ihren jetzigen Gebieten leben können.

    Und Deutschland soll für alle die Tore öffnen?

    Die meisten gehen in ihre Nachbarländer. Aber wir sollten Klimaflüchtlingen die Aufnahme nicht von vornherein verwehren.

    Sehen Sie nicht, dass viele Kommunen in Deutschland die Belastungsgrenze überschritten haben?

    Viele kommen gut klar und würden gern noch mehr Asylbewerber aufnehmen - bekommen aber keine mehr zugeteilt. Andere Kommunen haben ihre Schwierigkeiten. Aber das liegt nicht daran, dass zu viele Flüchtlinge kommen. Unsere Städte und Gemeinden werden kaputtgespart. 

    Sind Sie für unbegrenzte Zuwanderung? 

    Eine Grenze der Belastbarkeit gibt es immer. Aber liegt sie in Deutschland bei 100.000, einer Million oder zehn Millionen Migranten im Jahr? Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine sind mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge zu uns gekommen. Das ist eine völlig überschaubare Zahl.

    Überschaubar?

    Wir schaffen das!

    Der ukrainische Präsident Selenskyj will seine geflüchteten Landsleute zur Rückkehr bewegen. Sollte ihm die Bundesregierung dabei helfen?

    Wir schaffen das! Wir haben privat eine ukrainische Familie aufgenommen – eine Frau und zwei erwachsene Kinder. Es wäre total falsch, alle Ukrainerinnen und Ukrainer zurückzuschicken, nur weil Selenskyj das will. Das müssen die Menschen selbst für sich entscheiden. Niemand darf dazu gezwungen werden, im Krieg zu leben. Und reden Sie mal mit mittelständischen Unternehmern. Die brauchen die ukrainischen Arbeitskräfte dringend.

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    Was kommt auf Deutschland zu, wenn US-Präsident Donald Trump die Unterstützung für die Ukraine zurückfährt?

     Die Frage ist, ob sich Trump mit dem Kreml anlegt oder die Ukraine alleine lässt. Wir brauchen eine Lösung, die zu einem gerechten Frieden führt. Entscheidend ist dabei nicht die Waffenhilfe. 

    Wenn die Ukraine nicht mehr kämpfen kann, hört sie auf zu existieren. 

    Es gibt andere Möglichkeiten, Druck auf den Kreml auszuüben. Wenn man immer nur auf Waffenlieferungen guckt, kommt man gar nicht zu Friedensverhandlungen. 

    Wie wollen Sie Putin an den Verhandlungstisch zwingen?  

    China hat immer die Möglichkeit, Putin an den Verhandlungstisch zu bringen. Die Frage ist, welche Gegenleistung Peking dafür erwartet. Der andere Druckpunkt ist die Schattenflotte, mit der Russland die westlichen Sanktionen unterläuft und außerdem Unterseekabel in der Ostsee zerstört.

    Worauf wollen Sie hinaus?

    Wir können Nadelstiche setzen. Die Küstenwachen der Ostsee-Anrainer haben die Möglichkeit, Inspektionen zu machen und Schiffe über Tage und Wochen festzuhalten. Das jubelt die Transportkosten so an die Decke, dass sich dieser Ölhandel nicht mehr lohnt. Putins Kriegskasse wird richtig geleert.