Jerusalem. 481 Tage lang war die 29-jährige Arbel Yehoud Geisel der Hamas, nun ist sie frei. In Gaza war sie ihren Peinigern alleine ausgesetzt.

Angst und Hilflosigkeit sind ist ihr ins Gesicht geschrieben: Als die 29-jährige Arbel Yehud 481 Tage nach ihrer gewaltsamen Verschleppung in den Gazastreifen endlich ans Rote Kreuz in Gaza übergeben werden soll, sieht es auf den Videoaufnahmen der Freilassung kurz so aus, als könnte alles noch schiefgehen.

Dutzende bewaffnete und mit Gesichtsmasken vermummte Männer drängen sich rund um die Deutsch-Israelin, es scheint nicht klar, in welche Richtung sie steuern. Sie tragen die Stirnbänder der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihad. Dichte Massen an johlenden Menschen haben sich hier in Khan Junis versammelt. Als Ort der Übergabe wurde zu Propagandazwecken jener Ort gewählt, wo das Haus des getöteten Hamas-Führers Yahya Sinwar stand. Die Lage ist unübersichtlich und angespannt. Es muss nur ein Schuss fallen, der alles zum Kippen bringt.

Nahost: Deutsch-Israelis unter weiteren freigelassenen Geiseln

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    80-Jähriger kommt frei – als erste männliche Geisel

    Doch am Ende geht alles gut: Arbel Yehud wird ans Rote Kreuz und dann an Israels Militär übergeben – und kann zu ihrer Familie zurückkehren. Mit Yehud werden auch die 20-jährige Soldatin Agam Berger und der 80-jährige Gadi Moses freigelassen, sowie fünf Arbeitsmigranten aus Thailand. Gadi Moses ist der erste Mann, der befreit wird. Laut Ärzten war sein Gesundheitszustand nach einer oberflächlichen Untersuchung „normal“.

    Arbel Yehud ist eine von mehreren deutschen Staatsbürgern, die nach Gaza verschleppt wurden. Sie ist deutsch-israelische Doppelstaatsbürgerin, ihr Urgroßvater war laut einem Bericht der Deutschen Welle ein Künstler aus Hamburg. Nur wenige Details sind über die lange Zeit bekannt, die Yehud in Gaza in der Gewalt der Terroristen ausharren musste.

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    Arbel Yehoud sah nach 16 Monaten erstmals wieder einen Israeli

    Die 29-Jährige soll die gesamte Zeit alleine festgehalten worden sein. Ihr Wiedersehen mit Gadi Moses, der wie sie aus dem Kibbutz Nir Oz verschleppt worden war, ihr erstes Treffen mit einem Israeli nach fast 16 Monaten in Gaza, wo sie von Terroristen des Palästinensischen Islamischen Dschihad (PIJ) festgehalten wurde. Am Donnerstagmorgen hatte der PIJ ein kurzes Video veröffentlicht, auf dem Yehud und Moses zu sehen sind, wie sie sich einige Stunden vor ihrer Befreiung in die Arme fallen und innig aneinander klammern. Beiden ist die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Eine junge Frau, ein älterer Mann – beide hatten 481 Tage in der Gewalt der Islamisten überlebt, inmitten von Hunger, Krieg und mit der ständigen Angst vor dem Tod.

    Arbels Eltern waren überglücklich über die Rückkehr ihrer Tochter. „Unsere Lebensmission, Arbei wieder zu uns zurückzubringen, war erfolgreich und wir sind überwältigt und sehr aufgeregt“, erklärt die Familie. „Jetzt haben wir als Familie einen lebenslangen Heilungsprozess vor uns.“

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    Arbek Yehuds Vater soll mit Baerbock und Steinmeier gesprochen haben

    Yehuds Vater Yechti soll mehrmals mit deutschen Politikern gesprochen haben, allen voran auch mit Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er soll sie aufgefordert haben, mehr dafür zu tun, dass es zu einer Waffenruhe in Gaza kommt – nicht nur, um seine Tochter zu retten, sondern auch den Menschen in Gaza zuliebe.

    Arbel gilt in der Gemeinschaft von Nir Oz als äußerst beliebt und gut integriert. Ihre Familie lebt seit drei Generationen in dem Kibbutz, Yehud war einige Zeit als Kinderbetreuerin im Kibbutz tätig. Später entwickelte sie ein brennendes Interesse für Astronomie und Weltraumforschung. Sie begann, sich bei GrooveTech zu engagieren, einer Bildungswerkstatt im Süden Israels, in der Kinder auf innovative Weise über Technik und Forschung lernen können. Yehud führte Kindergruppen durch das Zentrum, das auch ein Planetarium enthält. Kurz vor dem 7. Oktober war sie von einer längeren Reise in Südamerika zurückgekehrt.

    Arbel Yehuds Bruder ist tot, ihr Lebensgefährte weiterhin in Gefangenschaft

    In Israel warten düstere Nachrichten auf Arbel Yehud: Ihr Bruder Dolev, der nach dem Massaker vom 7. Oktober monatelang vermisst worden war, ist nicht mehr am Leben. Seine sterblichen Überreste wurden erst acht Monate nach dem Massaker im Kibbutz Nir Oz identifiziert.

    „Es ist sehr schmerzhaft für uns als Familie, wir vermissen unseren Dolev“, erklären Yehuds Eltern in einer schriftlichen Stellungnahme. „Unsere Arbel ist zwar zurück. Trotzdem ist unsere Mission noch nicht beendet: Ariel, Arbels Lebensgefährte, wird immer noch in Gaza festgehalten.“

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    Platzt der Deal, könnte es das Todesurteil für Arbels Lebensgefährten sein

    Wann Ariel Cunio freigelassen wird, ist völlig ungewiss. In der ersten Phase des Geiselabkommens sollen 33 Geiseln an Israel übergeben werden, Cunio steht jedoch nicht auf der Liste. Wenn der Deal noch vor dem Übergang in die zweite Phase platzt, könnte das das Todesurteil für Cunio bedeuten.

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    Die Familien der Geiseln verlangen daher von Israels Regierung, dass alles getan wird, um das Abkommen bis zum Schluss zu erfüllen. Dazu gehört aber auch, dass Israel den Krieg beendet – und das ist in der rechtsreligiösen Regierung höchst umstritten.

    Die Regierung unter Benjamin Netanjahu zog nach den tumulthaften Szenen bei der Übergabe von Arbel Yehud jedenfalls Konsequenzen: Sie ordnete an, die Freilassung von 110 palästinensischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen vorerst zu verschieben. Die Verhandler in Katar sollten garantieren, dass sich solche Szenen nicht wiederholen. Künftig müsse garantiert sein, dass die Geiseln unter sicheren Bedingungen übergeben werden, forderte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Diese Zusage kam Donnerstagnachmittag aus Doha, die Gefangenen wurden freigelassen – unter ihnen auch Terror-Drahtzieher, die zu mehrfach lebenslanger Haft verurteilt worden waren.

    Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl