Berlin. Deutsche Sicherheitsbehörden haben mit dem IS schon einmal erlebt, wie der Terror hierherkam. Ist die Lage diesmal anders?

Eine Nachricht der Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf fand bisher wenig Beachtung. Doch mit dem Sturz des Diktators Assad in Syrien durch Rebellengruppen rückt die Meldung in den Vordergrund. Die Anti-Terror-Ermittler haben vor einigen Wochen Anklage erhoben gegen einen 28 Jahre alten Mann aus Oberhausen. Der Verdacht: Er soll 500 Euro über einen Mittelsmann an ein Mitglied der Gruppe Hayat Tahrir al-Scham, kurz: HTS, überwiesen haben.

Und: Der mutmaßliche Islamist soll über soziale Netzwerke „eine Anleitung zur Herstellung einer unkonventionellen Sprengvorrichtung“ verbreitet haben. Nicht nur das: Die Staatsanwälte werfen dem Mann vor, Propaganda von Terrorgruppen geteilt zu haben, darunter ein Pamphlet, in dem eine „Belohnung“ ausgelobt wird für die Tötung eines Polizisten.

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    Terrorfinanzierung, Propaganda, Gewalttaten – in den vergangenen Jahren haben deutsche Ermittler etliche dieser Staatsschutzverfahren geführt. Meist gehören die Tatverdächtigen dem sogenannten Islamischen Staat an, oftmals auch der Terrorgruppe Al-Kaida. Der Mann in Oberhausen aber soll vor allem Unterstützer von Hayat Tahrir al-Scham sein – jener Gruppe, die an der Spitze der Milizen steht, die Diktator Baschar al-Assad aus Syrien verjagt haben.

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    Sicherheitsbehörden stufen die HTS international als Terrororganisation ein. Die Miliz war aus der syrischen Al-Nusra-Front erwachsen, einem Ableger von Al-Kaida. Die HTS und ihr Anführer Muhammad al-Dschaulani machen weltweit Schlagzeilen, ihr Triumph findet nicht nur in islamistischen Foren Anerkennung.

    Anführer der mächtigen Miliz Hayat Tahrir al-Scham (HTS): Muhammad al-Dschaulani. Ein pragmatischer Radikaler?
    Anführer der mächtigen Miliz Hayat Tahrir al-Scham (HTS): Muhammad al-Dschaulani. Ein pragmatischer Radikaler? © AFP | OMAR HAJ KADOUR

    Mit dem militärischen und politischen Erfolg wächst auch eine Sorge bei den Sicherheitsbehörden in Deutschland: Der Siegeszug der Islamisten kann auf die hiesige Dschihadisten-Szene Wirkung entfalten. „Wir schauen da sehr aufmerksam hin“, sagt ein deutscher Nachrichtendienstler. Die Terroranklage in Düsseldorf ist kein Einzelfall. Verfahren gegen mutmaßliche HTS-Sympathisanten liefen etwa auch an Gerichten in Celle und Stuttgart.

    Das Bundesinnenministerium schreibt in einer Antwort auf Nachfrage unserer Redaktion: „Der Konflikt und die kurzfristigen Erfolge der HTS-Offensive könnten die islamistische Szene in Deutschland motivieren, die Propaganda der HTS zu verbreiten sowie Ausreiseversuche in Richtung Syrien zu unternehmen und sich an dortigen Kämpfen zu beteiligen.“ Auch Sympathisanten des IS, eigentlich Rivalen der HTS, „kommentieren den Vorstoß in den sozialen Netzwerken bisweilen positiv“, so das Ministerium. Und: „Generell können militärische Erfolge – soweit sie propagandistisch entsprechend instrumentalisiert werden – das Ansehen und die Attraktivität dschihadistischer Gruppierungen erhöhen.“

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    Die Gefahr, die auch Ermittler sehen: Islamisten auch in Deutschland fühlen sich gestärkt durch den Siegeszug der HTS, der viele überrascht hat. Innerhalb weniger Tage hat die Miliz die staatlichen Truppen Assads zurückgedrängt.

    „Eine Erhöhung der Gefährdungslage in Deutschland ist zumindest vorerst nicht zu erwarten“

    Zugleich hält das Innenministerium fest, dass sich HTS – anders als der „Islamische Staat“ – nicht einem „globalen Dschihad“ verschrieben hat. Hayat Tahrir al-Scham verfolge eine „regional-dschihadistische“ Agenda, so die Behörde. Ähnlich bewerten es auch Terrorfachleute wie Peter Neumann vom Londoner King’s College oder Aaron Y. Zelin vom Washington Institute in Analysen der HTS. Im Visier der Gruppe sind also nicht „Ungläubige in aller Welt“, sondern Gegner im eigenen Land und Funktionäre des Assad-Regimes. Was auffällt: HTS geht sogar gegen Dschihadisten des „Islamischen Staates“ vor, hob mehrere IS-Zellen in Syrien aus. HTS-Anführer Dschaulani gibt sich gemäßigt, distanzierte sich in der Vergangenheit deutlich vom IS und Al-Kaida, auch vom globalen Dschihad. Manche nennen ihn einen „pragmatischen Radikalen“.

    Für Polizei und Nachrichtendienste in Deutschland ist das erst mal eine gute Nachricht. Das Ministerium schreibt deutlich: „Eine Erhöhung der Gefährdungslage durch dschihadistische Akteure der HTS in Deutschland ist daher zumindest vorerst nicht zu erwarten.“

    Zugleich bleibt die Lage in Syrien für die deutschen Behörden eine Blackbox. Es ist völlig offen, welche Kräfte sich in den verschiedenen islamistischen Gruppen vor Ort durchsetzen. Neue Bündnisse zwischen Terrorgruppen sind möglich. Auch der Einfluss aus dem Ausland auf die Milizen kann die Lage verschärfen. Es sind Dynamiken, die durch die sozialen Medien sofort auch die islamistische Szene in Deutschland beeinflussen können.

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      Wer mit Ermittlern spricht, hört keinen akuten Alarm, aber durchaus Besorgnis. Der Grund dafür liegt auch in der Vergangenheit: Vor zehn Jahren erlebten die deutschen Sicherheitsbehörden ein Trauma. Hunderte junge Menschen aus Hamburg, Berlin, Essen oder Bremen reisten als Terrorkämpfer aus und schlossen sich dem „Islamischen Staat“ in Syrien und dem Irak an. Das „Kalifat“ des IS entfachte eine Sogwirkung für Europas Extremisten. Die Lage entglitt den Behörden. Auch Anschläge in Deutschland und Europa sind die Folge. Bis heute gelten „Syrien-Rückkehrer“ bei der Polizei als großes Sicherheitsrisiko, auch wenn sie unmittelbar nach der Ankunft in Deutschland überwacht und betreut werden. Viele sitzen in Gefängnissen.

      Wer jahrelang in Kriegsgebieten lebt, ist trainiert an Waffen, ist indoktriniert

      „Syrien ist ein Sehnsuchtsort für die deutsche Islamisten-Szene“, sagt ein Nachrichtendienstler. Terroristische Organisationen in Somalia oder Mali haben in der Vergangenheit kaum deutsche Islamisten anlocken können. Ganz anders Syrien. Mehr als 1000 IS-Sympathisanten sind seit 2011 dorthin ausgereist.

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      Der mutmaßliche Attentäter von Solingen: Issa al H. Er schwor dem „Islamischen Staat“ die Treue. © IMAGO/dts Nachrichtenagentur | IMAGO/dts Nachrichtenagentur

      Mit dem Siegeszug der HTS könnte dieser Ort nun an Attraktivität gewinnen. Der Extremismus-Forscher Zelin beobachtet, dass etwa der Terrorist Abu Fatah al-Firghali, der wegen einer zu radikalen Haltung einst aus der HTS ausgeschlossen wurde, nun auf Fotos in der syrischen Hauptstadt Damaskus auftaucht – in Sieger-Pose.

      Was die Ermittler in Deutschland wissen: Konflikte wie jetzt in Syrien wirken sich immer auf die Lage auch in Deutschland aus. Der Krieg zwischen der Terrororganisation Hamas und der israelischen Armee im Gazastreifen hat die Sicherheit in Deutschland massiv verschärft. Die Gewalt auf den Straßen ist gewachsen. Vor allem aber schlachten Dschihadisten das Leid der Palästinenser in ihrer Propaganda aus, rufen zu Taten auch „im Westen“ auf.

      Wer hier als Syrer lebt und Asylstatus hat, kann ausgewiesen werden, wenn er Terrorakte plant. Auch die Ausreise zum Kampf an der Seite von Terroristen steht in Deutschland unter Strafe. Das war eine Konsequenz im Einsatz gegen den IS. Nun ist ein Islamist in Syrien erst mal vor allem eine Bedrohung für seine Gegner vor Ort. Doch wer jahrelang in Kriegsgebieten lebt, hat Gewalt erlernt, ist trainiert an Waffen, ist indoktriniert. Noch immer kehren in einzelnen Fällen junge Menschen nach Deutschland zurück, die einst zum IS nach Syrien ins „Kalifat“ ausgereist waren. Viel Aufwand investieren die Behörden hierzulande, damit von ihnen kein Risiko ausgeht. Mit Erfolg, bisher. Keiner der IS-Rückkehrer hat einen Anschlag in Deutschland verübt.

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