Berlin. Die Industrie strauchelt, viele Unternehmen streichen Jobs. Wahlkämpfer Habeck erklärt, was bis zur Wahl im Februar passieren muss.
Die jüngste wirtschaftliche Horrormeldung war am Montag gekommen, aus Nordrhein-Westfalen: Dort will Thyssenkrupp Steel 11.000 Stellen abbauen. Der Stahlkonzern reiht sich damit ein bei vielen anderen Industrieunternehmen, vor allem in der Autobranche, die in den vergangenen Monaten angekündigt haben, in Deutschland Personal abzubauen. Bosch will 3800 Stellen streichen, bei den Autozulieferern ZF und Schaeffler sind es 1800 und 2800 Jobs, die wegfallen sollen. VW plant, gleich ganze Werke zu schließen, auch Audi will tausende Arbeitsplätze abbauen.
Die Industrie in Deutschland, sie stolpert nicht mehr, sie strauchelt längst. Das ist die Kulisse, vor der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an diesem Dienstag eingeladen hatte – nicht an den Küchentisch, sondern zur Industriekonferenz im Gasometer in Berlin-Schöneberg.
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Die Konferenz ist keine Erfindung Habecks, seit 2014 gab es bereits sieben solcher Treffen. Trotzdem fügt sie sich auf besondere Weise in diese Zeit. Schon vor dem Bruch der Ampel-Koalition hatte Olaf Scholz mehrere Industriegipfel im Kanzleramt veranstaltet – ohne seinen Wirtschaftsminister einzuladen. Zeitgleich hatte sich die FDP, damals noch Teil der Regierung, ebenfalls an einem ähnlich gelagerten Gipfeltreffen versucht.
Die Liste der Probleme der deutschen Wirtschaft ist lang, aber nicht neu
Nun also einige Wochen später die Konferenz des Wirtschaftsministeriums, die durch ihr Timing zu einer Art Bilanzveranstaltung für den Minister gerät. Und diese Bilanz fällt aus Wirtschaftssicht durchwachsen aus: Für Habecks Krisenmanagement nach dem Überfalls Russlands auf die Ukraine gibt es vom BDI nach wie vor Applaus. Doch auf die Schwäche, die sich seitdem in der deutschen Wirtschaft zeigt, hat man im Wirtschaftsministerium keine funktionierende Antwort gefunden.
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Die Liste der Probleme, die Habeck an diesem Dienstag selbst aufzählt, ist lang, aber nicht neu. Die langsamen Genehmigungsprozesse, die vielen Berichts- und Dokumentationspflichten, der Mangel an Fach- und Arbeitskräften, die fehlenden Investitionen in digitale und analoge Infrastruktur und auch die Energiepreise, das alles kostet die deutsche Industrie Wettbewerbsfähigkeit. Seit zehn bis 15 Jahren sei zu wenig in die Innovationskraft investiert worden, sagt Habeck. Und der Ampel sei es nicht gelungen, darauf ausreichend große Antworten zu geben: „Wir haben viel getan, aber häufig zu wenig und zu spät.“
Angesichts der Lage hofft der Grünen-Politiker, dass in den letzten Monaten noch einmal nachgearbeitet werden kann bei der Unterstützung der Wirtschaft – auch ohne, dass SPD und Grüne als Rest-Regierung eine eigene Mehrheit im Bundestag hätten.
Konkret geht es um drei Punkte, die Habeck noch durch den Bundestag bringen will: Unter anderem brauche es für niedrigere Stromkosten eine Senkung der Netzentgelte für 2025. Das Geld für einen entsprechenden Zuschuss könne aus den Intel-Milliarden im Klima- und Transformationsfonds kommen. Die hatte Habeck vor dem Bruch der Regierung bereits zur Haushaltskonsolidierung ins Spiel gebracht. Das Kraftwerkssicherungsgesetz, das den Bau von neuen Gaskraftwerken fördern soll, könnte laut Vizekanzler noch in diesem Jahr im Kabinett und Anfang nächsten Jahres im Bundestag beschlossen werden. Und auch bei der Wachstumsinitiative, auf die SPD, Grüne und FDP sich im Sommer geeinigt hatten, hofft Habeck, dass diese noch zum Teil verabschiedet werden könnte. „Man kann, wenn man will, noch in den nächsten drei Monaten bedeutende Dinge verabschieden“, sagt er.
Der Wirtschaftsminister Habeck droht zur Belastung zu werden für den Wahlkämpfer Habeck
Darauf hofft auch die Industrie selbst. Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, warnt davor, bis nach der Bundestagswahl Ende Februar zu warten mit Hilfen für die Unternehmen. Sollte es nicht gelingen, vorher zu handeln, würde wertvolle Zeit verloren gehen, sagt Russwurm: „Wir würden sechs Monate verlieren, in einer Situation, in der Entscheidungen gegen Investitionen in Deutschland oder zumindest nicht für Investitionen jeden Tag und jede Woche getroffen werden.“
Dass Habeck Druck macht, noch vor der Neuwahl Erleichterungen für die Wirtschaft auf den Weg zu bringen, hat auch damit zu tun, dass die Performance des Wirtschaftsministers Habeck für den Kanzlerkandidaten Habeck angesichts immer neuer Schreckensmeldungen zur Belastung zu werden droht.
Die Vision vom grünen Umbau der Produktion als neues Zugpferd der Wirtschaft ist bisher nicht Wirklichkeit geworden. Im Gegenteil, zuletzt gerieten neben traditionellen Industriebetrieben auch reihenweise Firmen und Projekte in Schieflage, in die man im Wirtschaftsministerium große Hoffnungen gesetzt hatte, etwa der schwedische Batteriehersteller Northvolt oder die Wasserstofffirma HH2E. In einer Umfrage von Anfang November sprachen nur sechs Prozent der Befragten den Grünen Wirtschaftskompetenz zu.
Habeck über die Ampel-Jahre: Nicht das Falsche, nur zu wenig
Dass Habeck trotzdem weiter regieren will, sich als „Kandidat für die Menschen“ sogar um das oberste Regierungsamt bewirbt, begründet er mit seiner Lesart der Wirtschaftspolitik der Ampel-Jahre: Danach seien die Antworten der Dreierkoalition auf eine seit 2018 bestehende Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft nicht falsch gewesen seien, sondern lediglich „zu spät und zu klein gedacht“. Das Rezept für die nächste Legislatur wäre demnach also: mehr davon, und entschlossener.
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Ob Habeck dann noch in der Position sein wird, das umzusetzen, ist offen. Die Aufgaben, betont er, blieben aber dieselben, egal wer im Ministerium ist: „Diese Probleme“, sagt Habeck, „gehen nicht weg, wenn eine Regierung wechselt oder eine Neuwahl stattfindet.“
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